Vielleicht ist "ungepflegt" nur eine Begriffsverwirrung
Nahmdt !
"Ungepflegt" bedeutet im normalsprachlichen Umgang: versifft, vergammelt, runtergekommen, unkultiviert ... und ist eindeutig negativ besetzt.
Das Aufkommen und die Verbreitung der Intimrasur fand in den 90er Jahren statt, zuvor war kaum je bei FKK eine rasierte Intimität zu sehen; wenn mal ein Mann ("Guck mal n Homo!") oder gar ne Frau ("Die Schlampe !") sich intimrasiert zeigte, dann löste das geradezu Wellen der positiven und negativen Erregung aus, und kaum 10 Jahre später schämten sich die pubertiertenden Kids, nach dem Sport in die Gemeinschaftsdusche zu gehen, wenn sie eben nicht intimrasiert waren: "Meine Eltern erlauben es nicht - ich bin soo verzweifelt !"
In der Anfangszeit jedoch war Intimrasur zumindest in der outdoor-Szene auch ein Erkennungszeichen: man ist sexuell locker drauf, hat zumindest eventuelle Bespannungshindernisse radikal eliminiert, oder besser: epiliert .
Ich vermute, es war auch in der Anfangszeit dieser sexuellen Revolution 2.0, die wesentlich entspannter verläuft, als die erste - und vor allem: gänzlich unpolitisch - als sich in den Kontaktanzeigen der Ausdruck "gepflegt" und "ungepflegt" zunächst als Codebegriff für Intimrasur verbreitete: Gepflegtes Paar sucht ebensolches - ungepflegte Leute lehnen wir ab, und wie diese Formulierungen noch alle hießen. Gelegentlich findet man sie heute noch in Kontaktforen im Netz, meist in ironischer Form, mit Smilies versehen: Wir lehnen Sex mit ungepflegten Leuten, Klammer auf: nicht intimrasierten, Grinsesmily, Klammer zu - ab. Das war die Zeit, als die Kontaktanbahnung noch über verschweisste Magazine erfolgte, die man mehr oder weniger verschämt an der Tanke für teuer Geld kaufte, oder über die Kleinanzeigen der Kleinanzeigenblätter, wo man noch penibeler auf "FSK 16" achtete, als hier.
Es ist zwar schon ein paar Jahre her, aber ich erlebte auch mal in einem Gespräch, daß eine Frau mir eine Geschlechtsgenossin, die ich gerade auf einer Fete kennengelernt hatte, als "ziemlich ungepflegt" bezeichnete, was ich nicht verstand - denn diesen Eindruck machte sie durchaus nicht. Die Aufklärung ihrer "gepflegten" Kollegin: sie - die ungepflegte - rasiert sich noch nicht mal die Achselhaare !
Ach ja - die Achselhaare ... bei den Damen ist es seit langem schick, sie zu rasieren, und die Herren haben nachgezogen. Und solche Frauentypen wie Nena haben es dagegen zum Bestandteil ihres Looks gemacht, stets einen für gepflegte Leute grauslich ungepflegten Urwald unter ihren Achseln in tank-tops (so nennt man das wohl) geradezu exhibitionistisch zur Schau zu stellen.
Die Achselhaare bei der Frau haben eine sexuelle Funktion: die bessere Hälfte des Menschen sondert aus speziellen Drüsen im Achselbereich bei Erregung Sexualhormone aus, die das männliche Menschlein dazu motivieren, sich dem weiblichen Menschlein in unsittlicher Absicht zu nähern. Die Achselhaare wirken für diese Hormone - ich glaube, man nennt sie: Feromone - wie eine Art Zerstäuber: durch Verteilung auf den Haaren wird ihre Verdunstung und damit ihre Wirkung auf das menschliche Männchen intensiviert. Die rasierte Achselhöhle, so ästhetisch sie von vielen empfunden werden wird, ist dagegen in ihrer sexuellen Wirkung erheblich beeinträchtigt. Vielleicht ist das ja auch irgendwo der Sinn der Sache - es sollen nur diejenigen Männchen hormonisiert werden, die der Achselhöhle des Weibchens bereits "auch so" ohne hormonelle Steuerung hinreichend nahe gekommen sind.
Jedenfalls gibt es eine Geste des menschlichen Weibchens, das an diese ursprüngliche Funktion der Achselhaare heute noch erinnert, nämlich das Freilegen der Achseln von Frauen im Zustande mehr oder weniger gelinder Erregung und des Wohlfühlens: Sie strecken die Oberarme nach oben, legen die Hände hinter den Kopf, oder wuseln in einer zu diesem Zwecke angebrachten Löwenmähne herum - ein für im konventionellen Balzbetrieb erfahrene Männchen ein Indiz, daß hier eventuell etwas zu machen sein könnte, und man durchaus noch eine Runde Prosecco bestellen könnte.
Und im übrigen kann ich nur bestätigen, was auch schon ein Vorredner schrieb. Seitdem Intimrasur allgemein üblich geworden ist, und in hunderttausenden von Intimrasur-Threads in Intimrasur-Foren von Intimrasur-Communitys auf Intimrasur-Seiten mit ungeheurer Glaubwürdigkeit versichert wird, daß Intimrasur ja nun wirklich mit Sex überhaupt nichts - definitiv nichts - zu tun habe, sondern nur ästhetisch, hygienisch, praktisch und steuerbegünstigt sei, und nur ganz verwegene Intimrasur-Community-Members dazu stehen, daß es sich "total gut" anfühle - seitdem sieht man beispielsweise in der Gay-Szene immer öfters haarige Tatsachen. Wild gewachsene Urwälder eher weniger, als kunstvolle Kurzhaarfrisuren zu Betonung dessen, was in ihrer Mitte liegt. Beim Stöbern in Gaychat bin ich über ein Profil gestoßen, dessen Inhaber sogar wert darauf legte, daß sein zukünftiger One-night oder Many-night-Partner "volle Schamhaare" habe ...
Tjaja - eine Mode und ihre Geschichte - nicht ganz uninteressant.
Gepflegter Gruß vom
Nacktzeiger (selbstverständlich gepflegt - aber nur vorne
)