Ich könnte schonend drumherum reden. Mach ich aber nicht. Schon deswegen nicht, weil ich früher auch mal in einer Ehe festgefahren war, wo nicht offen geredet wurde und MIR nur harsche Kritik von Dritten, die Situation nicht mehr schönzureden, geholfen hat.
Eure Beziehungskommunikation ist vollkommen unangemessen, von Angst und falscher Rücksichtnahme geprägt. Die Folgen sind die von Dir beschriebenen Effekte wie Schweigen, Unlust, Scham, Zweifel.
Das, was Ihr gegenseitig an vermeintlicher Rücksichtnahme walten lasst, ist nüchtern psychologisch betrachtet eine Mischung aus kindlicher Angst und passiv-aggressiver Manipulation.
Du hast Angst, ihr ganz offen und simpel zu zeigen oder zu sagen, dass Du Lust auf Sex hast. Und drängst sie mit einem Riesenbrimborium dahin, so dass sie nach Deiner Vorstellung eigentlich nicht mehr Nein sagen kann, wo Du Dir doch so viel Mühe gibst. Du glaubst, dass si8e zu schwach für die Wahrheit ist und Deiner sanften Diplomatie bedarf.
Sie traut sich nicht zu sagen, was sie will oder nicht will und traut Dir ebenfalls nicht zu, klare Worte zu vertragen.
Regelmäßige offene Gespräche, wo ihr über Eure Gefühle, Ängste und Bedürfnisse sprecht, gibt es offenbar bei Euch nicht. So gesehen ist Eure Beziehung schwer gestört.
Der gestörte Sex ist ein wichtiges Problem in Eurer Beziehung. Allerdings gleichzeitig auch "nur" ein Symptom der fehlenden Offenheit.
Die gute Nachricht ist, dass Ihr keineswegs die Einzigen seid, denen es so geht. Es ist sogar einer der klassischen Fälle, die Paartherapeuten überall auf der Welt so tausendfach behandeln.
Theoretisch könnte Ihr sehr leicht aus der Sackgasse heraus kommen, indem Ihr einfach anfangt zu reden: "Liebling, ich habe nach dem Sex immer ein schlechtes Gewissen, weil …. Ich fühle mich dabei …. Ich weiß nicht, ob du auch … Ich würde mich wünschen, dass wir …." .
"Ja, dass ist mir auch schon aufgefallen. Ich dachte immer, dass du …. Dabei fühle ich mich meistens …. Ich wüsste gerne von dir, ob du …" Alles andere würde sich damit vermutlich mit etwas gutem Willen ändern und verhandeln lassen.
Ohne Euch genauer zu kennen, hört sich Deine Schilderung aber so an, als wenn Ihr Euch kaum noch am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Schweigens herausziehen könntet.
Ihr hofft vermutlich, "dass der er/sie endlich mal merkt, wie ich leide". Ich wartet "auf die gute Gelegenheit." Und hofft insgeheim auf irgendeine Fügung, ein klärendes Ereignis - zu deutsch: auf die gute Fee
Ich vermute, Euch hilft nur eine Krise. Ein starker Wandel. Ein Cut. Ihr habt Euch so im Zentrum einer sicheren "Wohlfühlinsel" eingeigelt, dass ein kleiner Tippelschritt auf den anderen zu nicht ausreicht.
ganz ohne Anleitung seid Ihr damit vermutlich überfordert.
Eure Situation und wie anderer Paare es geschafft haben, ins Gespräch zu kommen, wird von dem amerikanischen Psychologen David Schnarch in seinem Buch beschrieben. Mir hat das Buch die Augen geöffnet, mir Worte für meine diffusen Gefühle gegeben und mir Mut gemacht, überhaupt etwas verändern zu können.
Schnarch ist ein konservativer Mann, der unglückliche Paare vor der Scheidung bewahren will. Das dürfte Dir gefallen.
Ich sage aber auch ganz klar: Der Eintritt in offene Gespräche wird im Idealfall Eure Beziehung retten und auf ein neues, viel freudvolleres Niveau heben. Es kann aber auch sein, dass unüberwindbare Widerstände zu Tage treten.
Ehrlichkeit ist nichts für Schisser