Das Verhalten beider Partner ist, glaubt man den Schilderungen von Therapeuten, nicht ungewöhnlich, sondern nahezu ein Standardfall: unterschiedliche Interessen treffen aufeinander, beide reden aber nicht konsequent genug darüber, beide vermeiden eine klärende Krise und treffen sich in einer kleinen Schnittmenge, die einigermaßen konfliktfrei, aber zumindest für den TE (von ihm wissen wir es explizit) frustrierend ist, weil er zur Aufrechterhaltung des "lieben Friedens" wichtige Teile seiner Persönlichkeit verleugnen und unterdrücken muß.
Typisch auch die Schilderung, wo der Betroffene eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten beim Partner entdeckt und meint, dass alles gut laufen könnte, wenn der Partner sich nur endlich ändern würde. Das Opfer redet über den Partner, statt mit ihm. Zarte Gesprächsversuche, die beim kleinsten Widerstand abgebrochen werden, werden als Beweis angeführt, dass man "alles versucht habe".
Besonders ist lediglich, dass beide es so lange miteinander ausgehalten haben, ohne dass es vorher in einer Krise eskaliert ist bzw. einer frustriert fremdgeht oder einfach die Beziehung verlässt.
Es ist aus meiner Ferneinschätzung (meine persönliche Meinung!) mehr als offensichtlich, dass der TE wenig Disharmonie aushält. Deshalb quälen ihn auch spürbaren Konflikte: vor dem Sex spürt er einerseits sein Bedürfnis nach Sex, seinen Wunsch, als lustvoller Mann angenommen, bei intimen, lustvollen Sex befriedigt zu werde und die Harmonie mit seiner Partnerin zu spüren und andererseits wie wenig sie seinen Wünschen entspricht. Nach dem Sex quält ihn sein schlechtes Gewissen, dass er seiner Gier folgend sich auf den Sex eingelassen hat, bei dem er eben nicht ihre Freude an ihm, nicht die Harmonie als paar beim Sex spürt, sondern ihre Gefälligkeit, die ihn sich als bedürftig und unangemessen wahrnehmen lässt. Er nimmt sich als Opfer wahr. Hat aber nicht den Mut, einen Konflikt zu riskieren um seine Wünsche zu adressieren. Da für ihn eine Trennung als Ausstiegsszenario keine erstrebenswerte Variante ist, kann er seinen Wünschen auch keinen Nachdruck verleihen.
Er kommt also ohne Konflikt nicht dichter an sie heran, aber auch nicht von ihr weg. Er ist als Harmoniebedürftiger gefangen in der engen Zone, wo er eine klärende Krise vermeiden kann.
Jedes Verhalten "nützt" dem, der es zeigt, aus seiner (verkehrten) Sicht irgendwie!!!!! Immer! Selbst der Selbstmord meint, dass das ein probates Mittel ist, seinen Konflikten auszuweichen und seinem Peiniger ein schlechtes Gewissen zu machen.
Von diesem Blickwinkel aus wird alles Verhalten des TE erklärbar, weil er schmerzhaft empfundene Konflikte um fast jeden Preis vermeiden will.
Das eigentlich tragische ist, dass Grundlage dieser Harmoniesucht vermutlich eine Fähigkeit zu inniger Liebe ist. Der TE ist vermutlich ein zärtlicher, freundlicher Mensch, der ein weiches Herz hat - aber dessen Zähigkeit bei Bewältigung von kleinen Krisen in einer Partnerschaft völlig unterschätzt.
Vemutlich (aber das ist reine Spekulation, weil wir keine Aussagen darüber haben) wird es bei der Frau ähnlich sein: Auch sie wird irgendetwas zu schützen versuchen. Eine Angst, eine befürchtete Unzuläglichkeit, eine seit Kindheit verinnerlichte geglaubte Schwäche. Das Drängen ihres Mannes macht ihr vielleicht Angst, sich diesem Gefühl stellen zu müssen. Sie tut also (vermutlich mehr unbewusst, als kühl berechnend) alles, um ihn mit geringen Aufwand und schnell wieder auf Distanz zu bringen, so dass sie die schmerzhafte Arbeit an diesem Trauma weiter aufschieben kann.
In vielen Alltagssituationen stören die ungeklärten Gefühle der Partner, das fehlende offene Gespräch, die Möglichkeit, ohne Angst über seine größte Ängste und Sorgen zu sprechen, sich dem Partner "nackt" anvertrauen zu können, nicht. Beide haben das Gefühl, als Paar ganz gut "zu funktionieren" und wollen ihre Ehe deswegen auch nicht riskieren. Beim Sex aber, wo man sich eben kaum voreinander verstecken kann, wo man Emotionen hautnah spürt, wo heikle Themen (könnte ja peinlich sein) zu klären sind, wo man eigentlich jede Maske und Rolle ablegen sollte, da tritt die fehlende Nähe der Partner schmerzhaft zu Tage.
Viele von Euch weiter oben in Erwägung gezogene Lösungen wie "Ihr Nein ist ein Nein, da muß man nicht mehr drüber quatschen" oder die Öffnung der Beziehung für Sex mit Dritten helfen dem Paar, seinen ängstlichen und sprachlosen Zustand weiter auszuhalten - lösen tun sie ich nicht.
Ob beide Partner erst einmal jeder seinen eigenen "emotionalen Keller" gründlich aufräumen und sich dann als Paar ganz neu begegnen wollen, ist ihre Entscheidung. Genauso könnten sie auch alle Varianten von "Stillhalte-Abkommen" leben (wie sie es zZ machen). Oder einer einfach einen Schnitt machen und gehen.
"Seelisch hygienisch" bleibt aus meiner Sicht nur der Weg: 10 Sekunden Angst-Überwindung beim TE, "Ich bin sehr unglücklich und möchte darüber offen sprechen, obwohl ich viel Angst davor habe. Und ich glaube, dass wir das ohne professionelle Hilfe nicht allein schaffen." Und das Eingeständnis, dass in dem dann folgenden Prozess entweder eine neue Partnerschaft auf ganz neuem Level entsteht oder - bei unüberwindbaren Gegensätzen - Trennung auch eine Option ist.