dann steige ich auch 'mal ein...
Moin,
bin wieder da und versuche mich hier (und im Parallel-Thread) einzulesen, was gar nicht so einfach ist. [b]seufz[/b]
Michael, in Deinem zweiten Posting schreibst Du
[...]Diese Vorurteile wiederum basieren auf gesellschaftlichen Prägungen.
Ich möchte hier gerne über diese Gesellschaftsprägung diskutieren. [...]
• darauf möchte ich hier noch einmal zurückkommen.
Ich denke, die Thematik "BDSM" beinhaltet mindestens zwei "Problembereiche", die an der "political correctness" rühren - und das nicht erst, seitdem dieser Begriff in Mode gekommen ist:
Sexualität
In unserem Kulturkreis befinden wir uns in der Morgendämmerung nach einer langen Nacht der Sexualfeindlichkeit. Über Jahrhunderte sind Moralvorstellungen gepredigt worden, die den lustvollen Anteil der Sexualität mit ewiger Verdammnis geahndet sehen wollten - so etwas bleibt in einer Gesellschaft nicht ohne "psychohygienische" Folgen. Ganz langsam beginnen wir, aus diesem Dunkel herauszukrabbeln. Wie bei einem Schulkind, welches zum ersten Mal alleine auf Klassenfahrt ist, werden dabei auch Dinge ausprobiert, die eigentlich "verboten" sind, dennoch aber ihren Reiz haben. Manche dieser Dinge stellen sich für das Kind im Nachhinein als Irrweg heraus, andere als Bereicherung. Übertragen auf die Gesellschaft und deren Sexualität heisst das, dass zur Zeit eine Öffnung stattfindet, ohne dass jetzt schon gesagt werden kann, wohin sich alles letztendlich entwickelt. Phasen des Aufwachens sind immer spannend.
Macht und "Ohnmacht"
In halbwegs demokratischen Zeiten, derer wir uns seit einigen Jahren erfreuen dürfen, wird Macht - zudem wenn sie mit "Gewalt" verbunden ist, stets kritisch bis ablehnend beäugt. Dass gerade im BDSM-Bereich die Macht nur verliehen wird, wird geflissentlich ignoriert. Würde dieses zur Kenntnis genommen, müsste ja eine eingehendere Beschäftigung mit der Materie stattgefunden haben. Und das ist etwas, was anstrengend und somit für den grössten Teil der Gesellschaft nicht wünschenswert ist.
Zwischenfazit
Die Prägung unseres Kulturkreises kann bei der Masse der ihm angehörenden Menschen gar nicht zulassen, sich ausführlich und unvoreingenommen mit der Thematik BDSM auseinanderzusetzen. Wenn es doch jemand macht, so läuft er Gefahr, selbst schnell zum "Exoten" zu werden. Und hier beginnt der eigentliche Schutzmechanismus eines jeden Menschen zu greifen:
"In der Gesellschaft geniesse ich Schutz, Geborgenheit und Sicherheit. Warum alles das auf's Spiel setzen zur Befriedigung meiner persönlichen Neugier? Ich bin zwar ein Individuum, aber nur in dem Rahmen, wie es die mich umgebende Herde zulässt. Also falle ich lieber nicht auf, dann habe ich es bequemer."
Je grösser eine solche Herde ist, desto gleichförmiger ist sie - zumindest aus der Entfernung betrachtet. Es findet eine Nivellierung statt und das ist ja letztlich auch das zentrale Prinzip oder die Überlebensstrategie einer jeden Gesellschaft bzw. Herde.
BDSMler stellen sich bewusst in einem Teilbereich ausserhalb dieser Normen. Sie verlassen zwar die Herde nicht, aber sie schaffen sich ihren eigenen Freiraum. So etwas kann vom Rest der Herde nicht geduldet werden, da es scheinbar das Überleben aller gefährdet, ergo kommt es zu Repressalien gegenüber den Abweichlern. Dass wir heutzutage deswegen nicht mehr auf dem Scheiterhaufen enden, ist eine Folge moderner Zeiten.
Dennoch sind wir "Geächtete".
Vielleicht noch ein weiterer Aspekt zum Thema "Herde": Es ist für das Überleben derselben allerdings ebenfalls zwingend notwendig, dass ab und wann einmal Mitglieder ausbrechen und eine andere Perspektive suchen. Nur so kann nämlich ein frischer Input in die Herde zurückkommen, der ihr weiteres Überleben sichert. "Ausbrecher" werden allerdings zumeist kritisch gesehen und in den seltensten Fällen sind sie selbst stark genug, dieses bis zum Ende auch durchzuhalten.
Ich schreibe schon wieder viel zu viel - seht's mir bitte nach, ich habe dafür auch eine Woche still gehalten.
Mir fällt noch etwas zum gern ins Felde geführten Ausdruck "Toleranz" ein: Da möchte ich drei Gruppen von Anwendern unterscheiden:
- Gruppe-1: ... spricht von "tolleranz" und ist für mich nicht beachtenswert.
- Gruppe-2: ... setzt Toleranz gleich mit Duldung, Gleichgültigkeit oder Ignoranz. Auf die kann ich verzichten, da "Toleranz" für sie nur eine bequeme Ausrede für Desinteresse ist.
- Gruppe-3: ... versteht unter "Toleranz" Interesse an der Auseinandersetzung, Hinwendung und die Anwendung von Wissen und Erfahrungen. Mit Mitgliedern dieser Gruppe trete ich gerne in einen Dialog, auch wenn unsere Meinungen nicht dieselben sein müssen.
Fazit:
Als BDSMler bin ich anders als viele und demzufolge habe ich kein bequemes Leben. In freier Entscheidung habe ich für mich das Schicksal gewählt, meinen Horizont zu erweitern. Diese Erweiterung wiegt mögliches persönliches Ungemach innerhalb meiner Herde mehr als auf. Ginge ich vom Rand der Herde wieder zurück in deren Mitte, so würde mir der freie Blick sehr fehlen.
Gruss
Flloyd
EDIT 17:43: Tippfehler bereinigt