Über Sex reden in der Kennenlernphase
Hallo liebe Community,ich bin etwas ratlos. Ich habe einen Mann kennengelernt der mir außerordentlich gefällt. Der Sex - wahnsinnig toll (für mich!), der Mann weiß wie er seinen ganzen Körper einsetzt, viel Lust und viel Lachen...mit jedem Mal wird es stimmiger und intensiver.
Ich bin 34 Jahre und hatte beim Sex noch nie einen vaginalen Orgasmus. In jüngeren Jahren eine riesige Unsicherheit deswegen, die ich erst später loslassen konnte. Ich beschäftige mich seit längerem ohne Druck damit, theoretisch&praktisch (bei der Selbstbefriedigung mit einem Dildo klappt es mittlerweile gelegentlich!) und kommuniziere das auch meinen Sexpartnern gegenüber, denn Fakt ist: ich habe unglaublich Spaß am Sex, intensive Lust am Spielen und fühle mich auch ohne Orgasmus tief befriedigt, wenn tollen Sex hatte...und der Sex mit diesem Mann ist granatenmäßig!
Gestern nun brach er aber plötzlich ab und pampte, es würde keinen Sinn machen wenn ich nicht käme, denn dann könne er auch nicht kommen: er bräuchte die entsprechenden Kontraktionen und was Sex überhaupt solle, wenn man keinen Orgasmus bekäme. Puh. Zwei völlig unterschiedliche Perspektiven. Und schwierig für mich, wie man da nun kommunizieren soll.Ich fühle mich ziemlich reduziert...und war auch vor den Kopf gestoßen: in vergangenen Beziwhungen hat man andere Wege zum Orgasmus gefunden, darüber gesprochen, ausprobiert...ohne Druck.
Dieser Mann, 37, hat eine derart leistungsorientierte Definition von Sex, dass ich mich frage ob da Annäherung überhaupt möglich ist? Er wurde während 5 Jahren Beziehung mehrfach betrogen, erzählt, er habe deshalb hart trainiert um ein guter Liebhaber zu werden und fühle sich wie ein Versager, wenn er mich nicht zum Orgasmus brächte. Er konsumiert seit Jahren Pornos, befriedigt sich niemals ohne Pornos und fragte mich, wie er das denn bitte sonst machen solle. Dass ich mich zu Sexfantasien befriedige - völlig abwegig für ihn.Dass ich ihn mit Händen oder Mund zum Orgasmus bringen könnte - hat er noch nie drüber nachgedacht ob das klappt.Für mich klingt das alles schrecklich. Als hätte er nie irgendwie liebevolle Erfahrungen in der Hinsicht gemacht.Beim Küssen fühle er sich geborgen wie nie vorher, keine Frau vorher hätte seinen Körper gestreichelt und geküsst und er genießt das sichtlich. Deshalb raff ichs nicht.
Er hat noch nie was vom klitoralen oder vaginalen Orgasmus gehört. Er sagte ernsthaft, ich könne locker 10 Orgasmen haben wenn ich nur WOLLE...er empfindet es als persönliche Kränkung, dass ich nicht komme und fragt, warum ich es nicht einfach MACHE. Er glaubt, ich würde ihm meinen Orgasmus verweigern. Alles was er täte, täte er auschließlich dafür, mich zum Orgasmus zu bekommen.
Ich bin... vielleicht doof... wir haben heute früh fragmenthaft und etwas anstrengend darüber gesprochen...ich war teils sehr wütend und gekränkt und musste sehr oft durchatmen, um da bloß nichts Vorwurfsvolles zum formulieren; ich weiß, wie sensible man/frau/mensch da ist und da können falsche Worte Böses anrichten, das will ich nicht. Es kam heraus, dass er einfach ein Problem mit seinem Selbstwert hat (dabei ist der Mann an sich fantastisch, nur irgendwie komplett unbewusst!) Und ich meine Bedürfnisse ins Spiel bringen will, ohne seine zu degradieren.
Ach ich weiß auch nicht. Klingt das irgendwie lösbar? Oder einfach zu unterschiedliche sexuelle Zugänge? Oder kifft der einfach zuviel...
Geht es vielen von euch Männern so, dass der weibliche Orgasmus für euch eine derartige Wichtigkeit hat, also ausschlaggebend für eure Lust ist? Ist ein Orgasmus durch zB Oralsex bloß ein "Trostpreis" für euch? Wieviele von euch definieren den Orgasmus ganz klar zum Ziel, das es zu erreichen gilt? Kann Sex ohne Orgasmus für euch Männer nicht erfüllt sein?
So eine Situation kratzt auch an meinem Selbstvertrauen; ich denke beim Sex nicht an den Orgasmus sondern bin einfach nur versunken im Spiel...das ist die tiefe Befriedigung, die ich daraus ziehe...im Moment sein, schauen riechen atmen schmecken fühlen...das genieße ich alles, das zeige ich auch und ich bin entspannt im Sprechen über Sex, auch nicht dominant oder grob oder so. Aber es verunsichert mich schon auch, dass mein Orgasmus für meinen Partner wichtiger ist als für mich.
Ich befürchte, dass wir das gar nicht aufdröseln können, bzw ich weiß nicht WIE darüber reden. Die einzige Art ist für mich Ehrlichkeit, und ich bin wirklich achtsam in meinen Formulierungen, doch er glaubt mir nicht, hört sich mein Empfinden gar nicht an. Ist für ihn unlogisch: Spaß am Sex, ohne Orgasmus. Das trägt er auch echt pampig vor und beansprucht da Allgemeingültigkeit. Und ich glaube, wenn er keine Offenheit und Neugier übrig hat, um das mal durch meine Brille zu sehen, dann hilft auch keine Erklärerei, oder?
Ich würde uns gern eine Chance geben, ich finde ihn total liebenswert und habe sehr zärtliche Gefühle für ihn. Es ist sonst vieles wunderbar, manches möchte ich noch kennenlernen, niemand ist perfekt und bin absolut offen dafür, miteinander zu lernen und zu wachsen. Aber ich kann meinen Orgasmus eben nicht einfach MACHEN. Deshalb habe ich auch keinen Schimmer, wie ich mich sexuell auf ihn zubewegen sollte... ich bin voll da.
Übersehe ich etwas? Etwas, das ich aus eurer Sicht verändern kann oder sollte? Es wäre doch zu schön wenn wir miteinander loslassen könnten.
Puh, langer Text, ganz lieben Dank für geduldige Lesende und Ratgebende.