Die Frage, die
@****yn hier stellt, hat wohl so ziemlich jeder und jedem schon mal den Schlaf geraubt. Ich selbst bin damals mit einer ziemlich kräftig ausgestatteten Hochsensibilität in das Liebesspiel eingestiegen - passend dazu war mein Selbstbewusstsein während meiner familiären Prägung alles andere als stabil gewachsen und verankert.
Wie dieses "Spiel der Liebe" für mich in den ersten Jahren bis Jahrzehnten ablief, lässt sich vermutlich leicht fantasieren...
Dann passierten ein paar Dinge...
Inzwischen arbeite ich als Coach und Therapeut in genau diesem Feld. Ich nenne es "die Königsdisziplin", denn wohl nirgendwo sind wir so verletzlich (und bereits verletzt), so konfrontiert mit unseren Unvollkommenheiten und Selbstzweifeln - und überdies so innerlich oft so blockiert, dass es vielen von uns schwer fällt, aus unseren gewohnten Interpretations- und Handlungsmustern auszusteigen und eine vollkommen neue Perspektive auszuprobieren...
Ich spreche ungern von "Liebe", "Verlieben" und Co.. Erstens sind diese Begriffe emotional allzumeist hochgradig aufgeladen. Zweitens verschleiern diese Worte, worum es wirklich geht. Darum verwende ich lieber den Begriff der "Anziehung"!
Wenn wir uns zu einem Menschen hingezogen fühlen, sei dies körperlich oder emotional, dann bedeutet das doch, dass dieser Mensch "in den Augen unseres Systems" etwas mit sich bringt, das in unserem Leben derzeit (oder bislang) nicht besonders viel Platz hat.
Die Anziehung, die wir spüren, wenn wir uns "verliebt" haben, sagt also nicht: "Das ist der Mann oder die Frau deines Lebens!" oder "Dies ist der einzige Mensch, der uns glücklich machen kann!" oder gar "Ich brauche ihn/sie!!!" Sie sagt lediglich: "Das ist etwas, das uns fehlt! Davon wollen wir mehr!"
Was uns in unserer emotionalen Achterbahn meist nicht auffällt: Der konkrete Mann oder die konkrete Frau sind gar nicht das, worum es geht. Das, was die Anziehung in uns auslöst, ist nicht die Person, sondern die Erfahrungen, die für uns durch diese Person greifbar und spürbar wurden.
Dies vor Augen hier nun mein persönliches Rezept zum schrittweisen Auflösen einer toxischen Anziehung:
1. Erkenne an, dass es in dir Sehnsüchte gibt, die dein Leben, wie du es bislang oder derzeit führst, dir nicht erfüllt.
2. Erkenne an, dass da ein Mann oder eine Frau ist, der/die auf Teile in dir (In der Tat: Deine Psyche ist ein Plural!) wirken, als wäre er oder sie die Verheißung auf geradezu himmlische Glückerfahrungen.
3. Erkenne an, dass es ganz natürlich ist, dich von diesem Menschen angezogen zu fühlen, so lange du keinen anderen (bzw. eigenen!) Weg gefunden hast, dir deine Wünsche oder Sehnsüchte zu erfüllen.
4. Erkenne an, dass der Mensch, den du in ihm oder ihr zu sehen glaubst, weniger damit zu tun hat, wie er oder sie wirklich ist, als damit, wonach sich dein System möglicherweise schon seit langer Zeit sehnt oder gar verzehrt.
5. Werde dir bewusst, dass deine Wahrnehmung und Interpetation dieses Menschen massiv verfälscht ist. Beginne damit, dich selbst bewusst zu ent-täuschen. Frage dich selbst, welche schwierigen Seiten an ihm oder ihr du möglicherweise halbbewusst ausblendest. Frage dich ganz bewusst: "Was wäre schwierig mit ihm/ihr?" oder auch: "Was wäre der Preis, den du die Nähe, nach der du dich sehnst, dich kosten würde?"
6. Werde dir bewusst, dass kein Mensch außer dir verantwortlich ist für das Glück und die Erfüllung, die du in deinem Leben erfährst oder entbehrst. Ein einzelner Mensch ist ebensowenig bedeutsam für dein Liebesglück wie ein einzelner Apfel für deine Ernährung. Werde deiner Verantwortung für dein eigenes Leben, Glück und Wohlbefinden gerecht. Mache dich selbst und deine eigene Entfaltung zur Priorität Nummer eins in deinem Leben.
7. Tauche ein in dich selbst. Lerne dich kennen, wirklich kennen. Gehe auf Entdeckungsreise in dir. Hebe die Schätze, Talente und Gaben, die du mitgebacht hast in diese Welt. Entdecke ebenso die vergrabenen, fast vergessenen Sehnsüchte in dir, suche und finde das bislang ungelebte Leben, staune darüber, was dir möglich ist, und lebe all das, was in dir lebendig und wahrhaftig sein will.
8. Sei dir selbst an jedem Tag deines Lebens der/die beste Freund*in, der/die beste Liebhaber*in und der/die beste Gefährt*in, den oder die du dir überhaupt wünschen kannst. Schenke dir selbst die Liebe und Fülle, nach der du dich sehnst.
9. Aus dieser Haltung der Selbstkenntnis, Selbstliebe und Selbstachtung heraus gehe in dein Leben, in die Begegnungen, die es dir schenkt und in das Spiel der Sexualität.
10. Lass dich überraschen, jeden Tag neu, wie dein Blick auf dich selbst Schritt für Schritt dein ganzes Leben, dein Lieben und deine Lust transformiert.
...
Ich bin mir sehr bewusst, dass der Weg, den ich hier beschrieben habe, bei Weitem leichter zu erzählen ist als zu leben. Immer wieder sind toxische Anziehungen und deren auslaugende Wirkung Thema in meiner Praxis. Dann gehe ich mit meinen Klient*innen ganz individuell und persönlich auf die Suche: Nach Sehnsüchten, nach Selbstverleugnungen und immer wieder nach ungelebtem Leben.
Ein Forum kann so ein intensives 1:1-Coaching nicht ersetzen. Vielleicht aber können meine Hinweise aus dem eigenen Nähkästchen zumindest eine Idee davon geben, was es braucht und wie es möglich ist, sich aus ungesunden und auszehrenden Verstrickungen ein wenig zu lösen, um mit etwas freierem Kopf wieder einen Blick auf den Horizont erhaschen zu können.
Genug philiosophiert ("Philiosophie": "Die Weisheit von der Liebe").
Ich wünsche euch allen einen Sonntag, der euch leidenschaftlich da küsst, wo ihr es gerne habt!
Volker