Selten lese ich eine derartige Fülle von guten Ratschlägen, die alle in eine Richtung zielen, und bei denen ich ständig zustimmend nicke. Aber wenn ich zu sehr nicke, dann fällt mir der Kopf ab. Deswegen halte ich ihn mal fest und beginne, nachzudenken:
@ D_elia
Und noch etwas, ich will nicht solche Beiträge wo ich mit Samthandschuhen angefasst werde, sondern ich will eure Gedanken hart aber herzlich lesen. Wenn ich Mitleid wöllte, dann gehe ich zu meinem Nachbarn seinen Dackel, der klotzt mich auch immer ganz mitleidig an, wenn ich mich mit ihm unterhalte.
Ok, dann mal los. Ich lese von Schuldgefühlen und von dem Gefühl, die Verantwortung für ihn übernehmen zu müssen. Auf der anderen Seite lese ich aber von Deiner Angst, von ihm manipuliert zu werden, eben durch Deine Bereitschaft, Verantwortung für ihn zu übernehmen.
Für mich ergibt sich daraus das Bild einer Partnerschaft von gegenseitiger Abhängigkeit. Bei der natürlich die Steuerungsmechanismen, den anderen in eine potentielle Unmündigkeit zu halten, unbewusst sind.
Die Sichtweise von Deinem Partner kennen wir natürlich alle nicht. Aber was Deine Gefühle und Empfindungen betrifft, so finde ich diese durchaus hinterfragbar. Sie machen auch Dich unfrei, keine Frage, daher sind die hiesigen Appelle, Dich von ihnen zu befreien, auch nachvollziehbar.
Aber ich habe den Eindruck, Du kannst Dich von ihnen auch deswegen so schwer trennen, weil diese Empfindung, Verantwortung für Deinen Partner übernehmen zu müssen, auch mit einem erheblichen Gewinn für Dich verbunden sind. Der Gewinn ist ein doppelter: Zum einem besteht er darin, dass Du Dich nicht so sehr mit Dir beschäftigen musst. Wenn er, und nicht Du, den Ausschlag Deiner Handlungen gibt, entlastet er Dich davon, über Dich selbst nachdenken zu müssen.
Du spürst gerade, wie verlustbringend dieser "Gewinn" ist, weil er Dich um Deine Selbstständigkeit bringt. Dennoch steht er weiter im Raum: Sich von ihm zu trennen, würde bedeuten, dass Dir dieser entlastende Partner, über den Du Dir so ständig Gedanken machen kannst, verloren geht. Du würdest künftig auf Dich selbst zurückgeworfen sein, und das ist der Grund, weswegen Du diesen Schritt scheust. Aber Du maskierst und kaschierst Dir diese Angst, auf Dich selbst zurückgeworfen zu werden, als Mitleid für den Partner. Aber als "Mitleid" ist es nicht lösbar, weil das dahinstehende Gefühl eben nicht das Mitleid ist, sondern die eigene Angst um Dich.
Schon wieder funktioniert dieser entlastende Trick: dass die scheinbaren Sorgen um Deinen Partner Dich davon entlasten, Dich Deinen eigenen Ängsten und Wünschen zu stellen. Pointiert und etwas böse gesagt: In Wirklichkeit sorgst Du Dich nicht um Deinen Partner. In Wirklichkeit sorgst Du Dich um Dich selbst. Nämlich allein zu sein, und niemanden anderen mehr zu haben, um den Deine Gedanken kreisen können.
Der zweite Gewinn scheint mir zu sein: dass Du einen Parter an Deiner Seite hast, der immer schön berechenbar ist. Denn nicht nur Du wirst manipuliert, Du manipulierst ja auch, und zwar nicht zu knapp. Und zwar schon dadurch, indem Du ihm wichtige Geschehnisse und Erlebnisse bewiusst verheimlicht, natürlich immer hübsch in dem philantropen Gefühl des "Mitleids" verpackt. Du übernimmst nicht nur Verantwortung, Du nimmst ihm auch Verantwortung weg, Du raubst sie ihm förmlich. Und da frage ich: Mit welchem Recht eigentlich?
Schon in einer Partnerschaft, die beide wollen, gibt es eine sehr beherzigende - ich nenne es mal: Regel, und sie ist die einzig faire Regel. Und die Regel lautet: den anderen immer wissen zu lassen, wer man ist. Gerade auch dann, wenn man sehr wohl weiß, das der andere daran schwer zu tragen hat. Denn was man ist, was mit einem geschieht, ob einem etwas steigen oder fallen macht, dafür kann man nichts. Man kann aber durchaus etwas dafür, wenn man nicht den Mut hat, es den anderen wissen zu lassen.
Denn nur so hat der Partner eine Chance, sich damit auseinanderzusetzen und sich selbst dazu, aus eigenen Kräften, zu verhalten. Das nicht zu tun, bedeutet: den anderen dafür zu benutzen, um nicht der zu sein, der man ist. Und diesen Partner dann in eine unfreiwillige Unmündigkeit zu halten.
Zu harte Worte? Ob der Spiegel, den ich Dir hier etwas mutwillig vorhalte, Dir etwas richtiges zeigt, kannst natürlich nur Du selber sehen. Aber einen Rat würde ich Dir trotzdem noch hinterherschicken: den nämlich, Deinen Parter zu sagen, dass Du unglücklich bist und schon Trennungsüberlegungen hast und Dich dann mit ihm in den geschützten Raum einer Paartherapie zu begeben.
Mir erscheint Eure gegenseitige Abhängigkeit derart in sich verstrickt zu sein, dass es einer geduldigen Operation mit Hilfe eines Therapeuten bedarf, Euch daraus wieder zu lösen. Ein Internet-Austausch wie hier kann nur mit "Ratschlägen" aufwarten, und Ratschläge allein helfen Dir nicht weiter.