Vom Rauchen zum "Wir"
Auch wenn es richtig ist, hier aus diesem Thema keine Raucher-Nichtraucher-Diskussion erwachsen zu lassen, muss ich doch zunächst mal etwas zu der Natur des Rauchbedürfnisses sagen, um deutlich zu machen, dass man es ernst nehmen sollte.
Rauchen lediglich nur als "Sucht" zu klassifizieren, und damit der TE nahezulegen, ihren Freund von der Sucht heilen (was diese deutlich gemacht, dass sie das nicht will), ist a) zu einseitig und und führt b) zu einer Lösung, die den Tod der Beziehung bedeuten würde.
Für die Bewertung des Rauchens sind keine Studien oder objektive Begründungen entscheident. Entscheident für die Beziehung beider ist, welches Verhältnis der Freund selbst zum Bedürfnis seines Rauchens hat. Und dieses Bedürfnis muss man, wie alle Bedürfnisse, ja erstmal ernstnehmen - unabhängig wie störend es der Partner ansieht. Denn ernstnehmen ist einer der Grundlagen einer jeden Beziehung.
Und dazu sei gesagt: Die meisten Raucher rauchen gern! Die meisten Raucher sehen zwar, dass ihr Rauchen ein Laster ist und dass es ihre Gesundheit beschädigt. Aber das Problem (für den Nichtraucher, der ihn von diesem Laster heilen will) ist, das er nicht sehen will: Der Raucher raucht deswegen gern, nicht OBWOHL es gesundheitsschädlich ist, sondern WEIL es gesundheitsschädlich ist.
Es liegt etwas Erhabenes im Rauchen, und dieses Erhabene hat mal ein Autor des Buches "Cigarettes are sublime" genau damit begründet: nämlich "dass es gerade die Schädlichkeit ist, die sie (die Zigarette) erhaben macht, weil niemand sie je geraucht hätte, wenn sie ungefährlich wären"
Dies nur mal angemerkt, um alle passionierten "Erzieherinnen" die Illusion zu nehmen, sie würden auch dem Raucher einen Gefallen tun, wenn sie vonm Rauchen "heilen" würden, und nicht nur sich selbst. Und ihnen klarzumachen, dass das Argument, das sei doch schädlich, etwa so sinnvoll ist, wie einem passionierten Weintrinker mit der Frage schrecken zu wollen, ob er eigentlich nicht wisse, dass er Alkohol trinkt.
Überdies sollte man sich mal darüber klar werden, dass das Argument "Sucht" auch etwas partiell Lusfeindliches enthält. Nicht jede Lust ist Sucht, aber das Suchtähnliche einer jeden Lust und jeden Leidenschaft besteht ja gerade in der Qualität, das man von ihr nicht lassen kann. In einer Beziehung, die aus viel Leidenschaft besteht, kann so ein purititanisches und rationales Argument ziemlich verstörend wirken.
Soll man denn auch vom Sex lassen, weil man davon nicht lassen kann?
Ich plädiere hier nicht - um allen Missverständnissen vorzubeugen - dass die TE das Rauchen einfach hinnehmen soll, weil Rauchen so großartig ist. Es ist und bleibt ein Problem für die beiden, keine Frage. Ich plädiere aber dafür, das man das Rauchbedürfnis des Freundes so erntstnimmt, wie man selbst in seinen Bedürfnissen ernst genommen werden will, und dies nicht einfach abqualifiziert, als "Sucht", als "Gruppenzwang" etc.pp., nur um sich in die schöne symbiotische Vorstellung zu wiegen, dass was für einen selbst gut wäre auch für den anderen gut wäre. Das wäre ein klassische Übergriff, und deswegen schlecht für die Beziehung, weil die TE dann in die Rolle derjenigen hineinrutschen würde, die darüber entscheiden kann, was für ihren Freund gut ist, oder nicht.
Das Bedürfnis der TE, nicht vom Rauch belästigt zu werden steht gleichwertig zu dem Bedürfnis des Freundes, zu rauchen. Und erst, wenn man diese beide Interessen ernstnimmt, weil ja beide Personen ernstzunehmen sind, kann es für die beiden eine wirkliche Lösung geben.
Diese innere Akzeptanz der Bedürfnisse des anderen ist sogar schon die halbe Lösung. Und das schon deswegen, weil hier, wie in den meisten Konflikten in einer Partnerschaft, keine logischen Lösung möglich ist, wie man hier an den meisten Vorschlägen sieht: Entweder er hört auf zu rauchen, oder sie nimmt es hin.
So funktioniert es aber nicht, und nachdem ich eben über die Natur des Rauchbedürfnisses ausgelassen habe, komme ich nun zur Natur des Beziehungs-Konflikts.
Die meisten lassischen Alltagskonflikte in einer Partnerschaft basieren auf solche logisch unauflösbare Gegensätze, wie sie auch in diesem Fall ja besteht: Sie möchte nach dem Essen im Restaurant sofort nach Hause gehen, für ihn ist ein Grappa nach dem Essen unverzichtbar, und das macht er schon seit 20 Jahren so. Sie möchte unbedingt ans Meer, er möchte in die Berge. Sie möchte unbedingt zum FKK STrand, ihm ist das viele nackte Fleisch einfach peinlich. U.s.w. Die Liste mag jeder für sich vervollständigen, denn jeder kennt solche Beispiele.
Aus dieser Konfliktage kann man natürlich auch nun faule Kompromisse zimmern. Man kann sich auch Regeln geben: jetzt trinkst Du einen Grappa, nächstesmal aber nicht. Jetzt rauchst Du zwei Zigaretten, dann aber rauchst Du morgen nicht mehr. Diesen Sommer fahren wir in die Berge, im nächsten Sommer fahren wir ans Meer.
Das Problem ist aber, das Regeln fürchterlich unlebendig sind. Unsexy, und dass eine Beziehung, die auf Regeln basiert, das Feuer der Leidenschaft ziemlich schnell abtöten können.
Das noch größere Problem bei diesen Regeln und bei diesen faulen Kompromissen ist: es bleibt ein Gefühl der Getrenntheit, es entsteht kein "Wir". Solche Konflikte sind auf der Oberfläche garnicht auflösbar, weil sie symbolisch für ein ganz anderen Konflikt stehen, der das eigentliche logisch unauflösbare Paradox darstellt. Die Unauflösbarkeit solcher Konflikte liegt in dem Paradox, dass man zu gleichen Zeit man selbst sein will und zugleich aber mit dem anderen eine Einheit bilden möchte. Und dieses Paradox kann man durch Regeln und Kompromisse nicht lösen. Die Lösung ist, dass man ein "Wir" bildet", in dem jeder zugleich der bleiben kann, der er ist.
Ein "Wir" entsteht nicht, indem man die Verschiedenheit des anderen wie störende Äste abschlägt oder als schädliche Triebe bekämpft: dann entsteht nur das aufgeblähte Ich des anderen, dessen Gefangener der andere wird (und der andere wird zum Kerkermeister - auch keine besonders schöne Rolle). Ein "Wir" entsteht nur dann, wenn man die Verschiedenheit des anderen nicht als Bedrohung der Beziehung, sondern als unverzichtbaren Teil des Reichtum der Beziehung begreift.
Weniger abstrakt gesprochen: wenn man die Person des anderen, auch dessen Verschiedenheit, tief in sich aufnimmt - ohne aber, dass es mit dem eigenen Ich verschmilzt. Es gibt dafür den technischen Begriff des "Integrierens". Und man integriert die Bedürfnisse des anderen, wenn man sie versteht, wenn man sie in das Bild, das man vom anderen hat, in sich aufnimmt, auch wenn man diese Bedürfnisse nicht teilen kann. Es ist die Entdeckung, dass der Partner doch auch ein ganz anderer ist, als man selbst, und die noch größere Entdeckung: dass man vor dieser Verschiedenheit keine Angst zu haben braucht. Man lässt sich auch von dem Bedürfnis des anderen lenken, nicht, weil es sein Bedürfnis ist, sondern weil man das Bedürfnis innerlich versteht. Der andere wird Teil der eigenen Handlungen.
Und auf einmal spürt die Dame im Restaurant, dass sie zwar wie immer dringend nach Hause will, dass sie es aber schafft sitzenzubleiben, weil sie in der Lage ist, das zurfiedene Grinsen ihres grappatrinkenden Mannes zu genießen. Und er spürt, dass ein Grappa zwar wie immer gerne weggezischt werden sollte, das aber daneben sich das andere Bedürfnis Raum verschaffen kann, vielleicht doch sich einen behaglichen Abend zu Hause zu machen. Die beiden, die Berg und Meer voneinander trennte, entdecken auf einmal bei einer Fahrradtour in Brandenburg, dass die Wüste etwas ist, was sie beide immer mal entdecken wollten. Und er entdeckt, dass er zwar immer noch gerne rauchen würde, dass es ihm aber lieber ist, diese wohlige Zufriedenheit auf dem Gesicht seiner Freundin anzublicken und nicht mit seinen Rauchwolken zu vertreiben. Und sie findet auf einmal die Art, wie er raucht und die Zigarette in den Händen hält, eigentlich ganz männlich und erotisch.
Das heißt: sie entdecken im Grunde, dass es ganz schön sein kann, nicht nur immer nur "Ich" zu sein.
SO entstehen "Lösungen" in der Partberschaft: sie sind fast niemals logisch zu lösen, deshalb können sie nur über Handlungen gelöst werden.
Aber für diese Handlung ist es eben notwendig, um auf den hier konkreten Fall zurückzukommen: dass sie sein Rauchen nicht abqualifiziert, sondern als Teil seiner Person anerkennt. Und dieses Bemühen seiner Freundin, ihm das Rauchen nicht als "Laster" ausreden zu wollen, und es ihm zu gönnen, soweit es ihr möglich ist, wird ihm die Möglichkeit zu erkennen geben, dass seine Freundin nicht versucht, ihn umzuerziehen,sondern dass das Rauchen sie tatsächlich stört.
Und zum Schluss dieses irre langen Beitrags (ich entschuldige mich dafür) noch eine Überlegung:
Vielleicht spielt das Rauchen ja bei der TE auch deswegen nur eine so große Rolle, weil sie an diesem Punkt entdeckt hat, dass sie und ihr Partner nicht nur Gemeinsamkeiten haben, sondern auch Verschiedenheiten. Und diese Verschiedenheit macht natürlich Angst. Aber dagegen anzukämpfen, wie das hier in erschreckender Weise propagiert wurde, ist der sichere Tod einer lebendigen Beziehung. Vielleicht ist ja die innere Anerkennung des Rauchbedürfnisses der erste Schritt zu einer Beziehung, die ein solches "Wir" ausbilden kann.