In der Tat finde ich es sehr schwer in Worte zu fassen, was die besondere Faszination am Fesseln mit Seilen ist.
Es sei mir erlaubt einen Vergleich zu ziehen, zu dem mich eine Bondage-Freundin inspiriert, die entsprechende Workshops besuchte. Aus meiner Sicht gibt es viele Parallelen zwischen Tango und Bondage.
A. Welsch schrieb dazu: "Wo alle Geheimnisse entdeckt sind, wo alles erlaubt ist, da verkümmert die Erotik, die von Blicken und Gesten lebt, von Andeutungen und von der Sehnsucht."
Ähnlich wie Tango findet Bondage auf vielen Ebenen statt.
Beim Tango ist die Tanzhaltung eine Umarmung. Man kann keine Umarmung geben und nicht selbst eine bekommen. Dieses geben und nehmen finde ich auch beim Fesseln essenziell.
Eine Umarmung ist etwas entspannendes. Sie ist wohltuend und beruhigend, aber auch aufmunternd oder tröstlich. Es bedarf keiner Worte, wenn wir jemanden in die Arme nehmen. Einfach halten und gehalten werden. Es entsteht ein Gefühl der Geborgenheit und der Einheit. Einerseits ist es ein Tanz der Körper, aber auch die Seile, die den Körper umgarnen.
Die Körperchemie fängt an zu wirken, Oxytocin wird ausgeschüttet und das Stresshormon Cortisol verringert. Die Stimmung hebt sich. Wir sind positiv gestimmt, eher bereit uns weiter zu entwickeln, aber auch bereit mehr Akzeptanz zu leben.
Ganz generell geht es beim Tango sehr um Körperlichkeit, Erotik und Leidenschaft. Ähnlich ist es oft (aber nicht immer) auch beim Fesseln - es besteht Körperkontakt - mal eng, mal wird mit der Distanz gespielt. Körper sind individuell und doch kann ein Rigger (egal wie klein oder groß) mit jedem Model (egal wie klein, groß, dick oder dünn) fesseln - Voraussetzung ist nur, dass die Chemie zwischen beiden stimmt.
BDSM ist nicht zwingend an Körperkontakt gebunden, sondern kann auch mit großer körperlicher Distanz stattfindet. Und auch mit großer emotionaler Distanz. Das funktioniert üblicherweise beim Bondage nicht wirklich. Im Gegenteil, es gibt für mich weniges was solche emotionale Tiefe haben kann wie gemeinsames Fesseln. Es lässt ganz tief in die Seelen blicken. Es ist ein Tanz der Seelen oder manchmal halt auch ein Tanz mit dem Teufel, wie hier schon so richtig geschrieben wurde.
Dann passiert mit der Körperchemie etwas anderes spannendes: Adrenalin wird ausgeschüttet. Die fight-or-flight-Reaktion setzt ein. Der (manchmal nur innerliche) Kampf beginnt - mit sich selbst, mit den Schmerzen, mit dem Fluchtreflex. Die Flucht ist üblicherweise weder möglich, noch erwünscht. Also bleibt nur sich der Situation zu stellen, besonders den eigenen Emotionen.
Für mich als Riggerin ist auch der kreative Prozess, aber auch die Technik, die die Basis für ein solches Intermezzo bildet, ein Anreiz. Etwas zu lernen, mein Gehirn zu nutzen, so oft zu wiederholen bis das Muskelgedächnis die Fesselungen "im Schlaf" ohne darüber nachzudenken und/oder hinzuschauen ausführen kann.
Fesseln beinhalte für mich Mut, Risikobereitschaft und Abenteuerlust, als Antagonisten aber auch Sanftheit, Zugewandheit, die Emotionen des anderen lesen können, das zu fesseln, was den Emotionen des Models "gut tut". Eine Session kann geprägt sein von Friedfertigkeit und Geduld, Zärtlichkeit und/oder sexueller Spannung, purer Sinnlichkeit, aber auch von der Überwindung eines mentalen Widerstandes. Oder auch Aggression im Sinne von aktivem Zupacken, Attackieren, Bewegungslos machen und dieses ausnutzen bis hin zu extremen Schmerzen.
Es ist das Spiel mit Führungsanspruch, Dominanz, Verlässlichkeit, Besonnenheit, Selbstbeherrschung, vielleicht auch (gespielter) Gefühlskälte und/oder Coolness beim Rigger. Beim Model stehen dem Duldsamkeit, Fügsamkeit, manchmal Impulsivität, fallen lassen und in den Gefühlswelten dahinschmelzen, gegenüber.
Wobei in liebevollen Sessions Wärme und Herzlichkeit durchaus bei beiden vorhanden sein sollte.
Andere reizvolle Merkmale sind für mich technische und organisatorische Fähigkeiten, soziale Kompetenzen, abstraktes und kreatives Denken, Zielstrebigkeit, Eigensinn, Einfühlsamkeit und Spontanität.
Der Rigger sollte sich im Klaren sein, wohin er mit dem folgenden Part will.
Der Klassiker ist, dass ein Mann eine Frau fesselt. Aber es gibt auch eine erstaunlich große Anzahl an weiblichen Riggerinnen, die Männer fesseln. Sich als Mann führen zu lassen, kann ein spannender Perspektivwechsel sein.
Als Frau mit einer Riggerin zu fesseln ist immer anders, als mit einem Mann zu fesseln. Es muss nicht sensibler sein. Es ist aber eine andere Gefühlswelt, eine andere emotionale Ebene. Frauen unter sich haben oft eine Art des Umgangs miteinander oder auch eine andere Form des Folgens, die aber oft mit viel Spaß, Leichtigkeit und geschehen lassen verbunden ist. Nochmal anders ist es, wenn Männer mit Männern fesseln. Sehr spannend zu beobachten, der unterschiedliche Umgang von Paar zu Paar... immer wieder ähnlich und doch ganz anders.
Fesseln bietet die Chance an Grenzen gebracht zu werden und sich immer weiter und weiter zu entwickeln.
Der Andere ist so nah, dass man wahrnimmt, wie er riecht, sich die Härchen der Haut aufstellen, ein Zucken, den Atem, die Körperhaltung, wie das Haar riecht, die Augen glänzen oder verlegen zur Seite geschaut wird. Die Nähe ist groß. Körperliche Kommunikation zulassen, den Kopf ein Stück weit ausschalten und wie beim Tanz dem Fluss der Bewegungen folgen. Im normalen Leben halten wir Abstand und eine solche Nähe ist nicht erlaubt, da sie die natürliche Körperdistanz unterschreitet.
Rigger und Model begegnen sich auf eine sehr elementare und körperliche Weise, fast schon animalisch. Jeder saugt die Impulse des anderen auf, es entsteht ein ganz besonderer Dialog - oftmals ohne Worte - die Körper geraten in einen Fluss, der Atem synchronisiert sich, die Bewegungen harmonieren miteinander. Einer schaut auf den anderen. Aus meiner Sicht können ganz besonders tiefe Gefühle aus dem Miteinander und dem gemeinsam erlebten entstehen. Manchmal ist das nicht von allen Beteiligten/Betroffenen gewünscht und kann daher durchaus zu Komplikationen führen.
Insgesamt ist es eine unendlich weite Welt der unterschiedlichsten Erfahrungen.