Aufgeschreckt aus einem wirren Traum aus Arbeitsalltag und Swingercluberlebnissen wird Gregor von strahlendem Sonnenschein begrüßt. Seine verschlafenen Augen schauen rüber zum Wecker und erkennen die zehn an erster Stelle. Noch einmal drückt er sich fest in sein Kissen und schafft es nach einigen Minuten doch, aus dem Bett aufzustehen.
Beim nochmaligen Durchsehen der Post, begleitet von einem extra starken Kaffee, fällt ihm plötzlich ein, dass er sich ja um Marlies Pflanzen kümmern wollte.
Nach fast zwei Wochen bietet sich ihm in Marlies Küche ein trostloses Bild. So ziemlich alle Pflanzen die sich da auf dem Küchentisch versammelt hatte, lassen ihre Köpfe und Blätter hängen. Eine Gießkanne nach der anderen trägt er zum Küchentisch, wo die Pflanzen nach Wasser lechzen.
Das ist an diesem Vormittag aber auch schon alles, um was er sich in der Wohnung kümmert. Lediglich die Post holt er noch aus Marlies Briefkasten und legt sie auf den Stapel vom letzten Mal.
Er beschließt, am Abend noch einmal nach den Pflanzen zu schauen und kümmert sich den Rest des Tages erstmal um seine Wäsche und seinen leeren Kühlschrank.
Zwischendurch summt immer wieder sein Handy. Heute scheint im Hotel nicht allzu viel los zu sein. Nachricht um Nachricht schickt Katrin durch das Netz. Über jede einzelne freut sich Gregor und beantwortet alle so zeitnah wie möglich.
In manchen Nachrichten stehen nur schmunzelnde oder küssende Smileys, dann wieder sehnsuchtsvolle Worte, die ihn sehr berühren.
Was macht diese Frau mit ihm? Ständig hat er ihr Lächeln vor seinen Augen, denkt an ihre weiche Haut, riecht ihren Duft. Das einzige Wort mit dem er selbst dieses Gefühlschaos beschreiben kann ist Sehnsucht. Sehnsucht nach Nähe und Vertrautheit, nach Geborgenheit und Wärme, nach Liebe und Sex. Und dabei ist diese Reihenfolge für ihn schon wichtig. Aber nichts davon funktioniert nur allein, alles gehört zusammen.
Gregor versucht sich abzulenken. Nach einem ausgiebigen Wohnungsputz und einer Runde durch den Supermarkt, liest er seine Mails, die seine Firma wieder zu Hauf an ihn geschickt hat.
Am Abend schaut er dann nochmal in Marlies Wohnung du stellt zufrieden fest, dann sein Einsatz heute Morgen erfolgreich war. Fast alle Pflanzen haben sich wieder erholt. Nur ein paar einzelne, vertrocknete Blüten liegen auf dem Tisch.
Puh, Gott sei Dank! Jetzt kann Marlies wiederkommen. Aber da will er schon wieder weg sein.
In einer ihre vielen Nachrichten hat Katrin ihn gefragt, ob sie so gegen acht wieder telefonieren wollten. Natürlich hat Gregor sofort zugestimmt. Noch immer hat er das Erlebte vom Vorabend in Erinnerung. Ob sie heute Abend wieder so gut drauf sein würde?
Bei einem Glas Rotwein unterhalten sie sich fast drei Stunden lang. Wie sie den Tag verbracht haben, wie oft sie aneinander gedacht haben und noch viel mehr, oft belanglose Dinge.
„Irgendwie bin ich auch froh, dass du dieses Wochenende nicht da bist.“ Für einen Moment ist Gregor geschockt. Wieso schreibt sie ihm den ganzen Tag, dass sie ich vermisst und nun das?
„Wieso bist du froh darüber? Hast noch was vor oder bekommst du anderen Besuch?“ Gregors Stimme klingt schon etwas verärgert und Katrin merkt das auch sofort.
„Ist da etwa jemand eifersüchtig?“ Mit schmollender Stimme versucht sie, Gregor etwas aus der Reserve zu locken.
„Ach, du bist ja süß. Wenn überhaupt, dann kommt höchstens mein Bruder morgen mal vorbei. Du wärst mir natürlich lieber!“ Gregor hört, wie sie ihm einen Kuss durch die Leitung schickt. „Ich habe nur gerade den Maler im Keller und da bin ich manchmal nicht ganz so gut drauf.“
„Wen hast du im Keller? Den Maler?“ Gregor ist verwundert und versteht nicht so richtig, warum gerade übers Wochenende ein Maler ihren Keller streichen sollte. Und was sollte das mit Stimmungsschwankungen zu tun haben?
„Männer sind aber auch manchmal schwer von Begriff. Ich habe meine Tage. Verstehst du?“
Katrins Stimme klingt etwas energischer, aber keineswegs genervt.
„Ach so!“ ist Gregors kurze Antwort.
Obwohl das Wochenende gerade mal erst angefangen hat, macht sich Gregor schon wieder Gedanken über die kommende Woche.
Während er seine Mails durcharbeitet und seine Reisekostenabrechnung fertig macht, geht er die kommenden Tage durch. Welche Messgeräte wird er brauchen? In welcher Reihenfolge arbeitet er die einzelnen Stationen sinnvollerweise ab?
Sein Kopf tickert. Dann kommen auch andere Gedanken durch. Vorallem der, wann und wie oft er Katrin sehen wird. Ist sie die Frau, nach derer sich so lange schon gesehnt hat? Wie wird sich sein Verhältnis zu Viola entwickeln?
Klar, Viola kennt er schon sehr lange. In Vielem sind sie sich sehr ähnlich, sind offen für die Dinge des Lebens. Aber sie ist ja auch verheiratet und allein die Tatsache, dass sie mit ihrem Mann gern Swingerclubs besucht, ihre Beziehung eher offen lebt als aneinandergekettet, gibt Gregor nicht das Recht, sich da aktiv dazwischen zu schieben.
Katrin hingegen ist ungebunden. Jedenfalls deutet im Moment nichts darauf hin, dass es anders sei. Sie ist charmant, einfühlsam, sehnt sich ganz offensichtlich auch nach Geborgenheit und sie hat Gregor schon lange zu verstehen gegeben, dass sie ihn attraktiv findet. Auch wenn er das bisher in der nüchternen Atmosphäre des Hotels nie wirklich wahrgenommen hatte. Erst in den letzten Wochen spürte er immer mal wieder so ein Kribbeln, wenn er vor ihr stand und sie ihn ansah.
Dieses Gefühlschaos verunsichert ihn und wie so oft, sucht er Rat bei seiner Hella.
„Hallo, Hella!“ Unwillkürlich muss er lachen, als er vor ihrem Grab steht und die frischen Blumen in die leere Vase stellt, die am Fußende des Grabes ein kleines Stück in die Erde gedrückt ist. So hat sie besseren Halt und kann nicht umfallen.
Diesmal hat er Gladiolen mitgebracht. Die mochte Hella so gerne.
Das kleine Wortspiel „Hallo, Hella!“ hat sie früher beide immer zum Lachen gebracht. Bei jeder, sich bietenden Gelegenheit haben sie es fast schon zelebriert. Es war seine ganz spezielle Art, sie zu begrüße. Kurz, knackig, aber auch mit sehr viel Respekt und Liebe.
„Ich weiß nicht, wie das mit Katrin weitergeht“ murmelt er vor sich hin. Auf der kleinen Bank, die direkt gegenüber dem Grabe steht, hat er schon oft und lange gesessen und versucht, mit Hella Kontakt aufzunehmen. Manchmal klappt es, manchmal nicht.
Heute hat er das Gefühl, dass Hella ihn hört.
„Lass dir Zeit, lass dich zu nicht drängen. Aber lass sie auch nicht aus den Augen. Sei da, wenn sie dich ruft. Liebe sie, wenn sie sich danach sehnt. Hör´auf dein Herz!“
Ganz geheuer ist Gregor bei all dem nicht. Natürlich weiß er, dass es seine Gedanken sind, die er in seinem Kopf hört. Aber er weiß auch, dass Hella genauso gedacht hätte.
Noch einmal wirft er dem kleinen Grabstein mit ihrem Namen einen Handkuss zu und verabschiedet sich. „Ich werde es dir erzählen. Beim nächsten Mal. Mach´s gut, ich liebe dich!“
Als Gregor und Katrin am Abend wieder telefonieren, klingt sie sehr traurig.
„Ich habe dir dein Lieblingszimmer wieder reserviert. Bleibt es bei Montag bis Freitag?“
Insgeheim erwartet sie jetzt eine ganz bestimmte Antwort von Gregor, hört aber erst einmal:
„Danke, dass ist lieb von dir. Ja, Montag bis Freitag. Jedenfalls steht es so in meiner Einsatzplanung.“ Nach Sekunden der Stille, die beiden wie eine Ewigkeit vorkommen fragt er noch: „Wie lange geht dein Dienst morgen?“
Die Antwort darauf kennt Gregor eigentlich selbst. Sonntags wechseln das Personal an der Rezeption immer gegen fünfzehn Uhr. „Bis drei!“ bestätigt ihm Katrin das.
An diesem Abend rede sie noch fast zwei Stunden miteinander. Gregor erzählt ihr, dass er heute am Grab von Hella war und Katrin plaudert über ihren Hotelalltag und über eine Rentnergruppe, deren Bustour in ihrem Hotel Station gemacht hat.
„Wir unterhalten uns viel über Arbeit, Party, manchmal auch Sex.“ Katrin muss lachen. Gregor auch. „So? Über Sex? Habe ich noch gar nicht mitbekommen.“
„Ach du …! Klar will ich mit dir auch über Sex reden. Das gehört doch dazu. Oder?“ Gregor muss tief durchatmen. Katrins offene Art, die Dinge ziemlich schnell beim Namen zu nennen, gefällt ihm.
„Aber den Herrschaften hört man bloß: Hast du gut geschlafen? Oder…Ach, jetzt habe ich meine Tabletten oben auf dem Zimmer vergessen.“
„Wart´s ab! Irgendwann werden wir wohl auch so reden.“ Gregor kennt solche Gespräche von gut. Selbst einige seiner Kollegen reden schon so.
„Ich hoffe aber mal, dass wir da noch etwas Zeit haben!“ Wieder müssen sie zusammen lachen, auch wenn ein Hauch von Melancholie mitschwingt.
„Du fehlst mir!“ haucht Katrin ins Telefon. „Du mir auch …“ flüstert Gregor zurück.