Umarmungen
Manchmal kann ich Robert nicht umarmen. Er ist mein bester Freund, aber nach dieser dummen Sache im letzten Jahr ging es für ein paar Monate nicht. Ich meine, im Grunde sind Umarmungen ohnehin erst seit 10 Jahren etwas für mich. Da gab es eine Zeit, in der mir viele Leute das anboten oder einfach ihre Arme und das Drücken heranreichten und ich es zugelassen habe. Ich glaube, ich gewöhnte mich damals daran. Es war hilfreich, wahrscheinlich mehr als das. Jetzt ist es teilweise so, dass ich spüre, wie Wärme und Verstehen hin und her fließen. Brauche ich heute Trost, geht das sogar gut, je nachdem wen ich da gerade an mich heranlasse. Trost. Das würde ich natürlich niemals so kommunizieren, von wegen des eingeübten Maulhaltens. Es gibt aber Leute, die das ohnehin sehen können.Später erst sollte ich verstehen, dass das auch in die andere Richtung funktioniert. Das heißt, anfangs war das Nehmen machbar, aber das Geben, das entwickelte sich viel langsamer bei mir. Als Susi neben mir stand und seit einer halben Stunde wusste, dass sie ihre Mama niemals wieder sehen würde und ich zufällig der erste Mensch bei ihr war, als sie es realisierte, da teilte ich ihre Trauer. Mehr Innenansicht mag ich über diesen Moment nicht liefern. Wir haben uns ewig nicht loslassen können und haben beide geweint. Ich hatte mir damals gewünscht, ein anderer wäre bei ihr gewesen. Heute glaube ich, dass es gut war, dass ich sie in die Arme genommen habe und nicht Eric, der kurz danach alles mit ihr hingeschmissen hat.
Das Umarmungsverhältnis zu jemandem, ich weiß das klingt dämlich, also die Fähigkeit, jemanden, der es braucht, zu umarmen, ist eigentlich stabil. Solange ich dabei empfinde, dass ich gemeint bin. Fühle ich das nicht, kann derjenige besser gleich eine Ankleidepuppe umarmen und wird dabei nicht weniger spüren. Es zählen nicht die Worte, „ich mag dich doch“, „du bist mir wichtig“. Ich brauche das Gefühl, dass es diesem Menschen um mich geht und ich nicht nur zufällig jemand bin, der gut umarmen kann. Ich mag nicht der sein, der jederzeit verlässlich das richtige Maß an Nähe und Distanz wahrt, sodass eine Umarmung mit mir nicht, versehentlich über den eigentlichen Zweck hinausgehend, zu einer andersartigen Gefühlssache werden kann. Ich lege keine Regeln für Umarmungen fest und ich unterwerfe mich auch keiner Norm, unter deren Wahrung das nur ablaufen darf. Trifft im Übrigen bei mir auf fast alles zu. Eine Umarmung mit mir ist manchmal auch ein Risiko. Ich habe aus Umarmungen heraus schon geküsst, denn ich liefere keine abgesteckte Bedürfniserfüllung mit meiner Berührung. Dafür mag ich Umarmungen mittlerweile viel zu sehr.
m.brody
2018/2020