Liebe TE,
Das ist ein sehr großes Thema bei mir. Ich habe mich bis vor 2017 für eine ganz normale Frau gehalten, die halt nicht Glück bei Männern hatte, wenn es um Beziehunge geht
Jetzt bin ich aber bereits in meiner 2. Langzeittherapie und muss sagen, dass die Ursprünge in der Kindheit liegen. Nicht, dass mir keine Werte oder Normen oder soziale Kompetenzen vermittelt wurden oder hungern musste, etc.
Nein, ich habe nie die Bedingungslose Liebe meines Vaters erfahren und deswegen keine Selbstliebe lernen können. Um seine Liebe muste ich immer kämpfen, Leistung bringen, brav sein, gehorsam sein und bloß keine negativen Emotionen wie Ärger oder Wut zeigen, gehört sich ja für ein Mädchen nicht. Eine Abweichung davon führte zu einem tagelangem Ignorieren meines Vaters (wenn er mal gnädig war und mich angeschrien hat, empfand ich das als Liebesbeweis, als Beweis, dass er mich überhaupt wahrgenommen hat), kein Guten Morgen Bussi, kein Gute Nacht Bussi, Nichts kam, während meine Schwester keine 2 Meter entfernt von ihm geknuddelt wurde, die Schule schwänzen und von Zuhause abhauen konnte, ohne das mein Vater ausgerastet ist. Mein Vater hat emotional betrachtet meine jüngere Schwester vorgezogen, mich emotional vernachlässigt, sodass er für ihren lebensbedrohlichen Krankenheitsaufenthalt Urlaub genommen hat, als ich mit einer lebensbedrohlichen Salmonellenvergiftung ebenfalls im Krankenhaus war, hat er mich nicht einmal besucht.
Darus haben sich dann ganz still und heimlich Glaubenssätze gebildet wie "Ich muss um Liebe kämpfen", "Ich habe es nicht verdient, geliebt zu werden, wenn ich keine Leistung bringe", etc. pp. Gleichzeitig entstand diese Verlustangst, wenn ich nicht "funktioniere", sondern versuchte, anders als vorgeschrieben zu sein, denn dann folgte Ignorieren=Verlust der Bezugsperson.
Naja, das und die daraus entstandenen Verhaltensmuster haben mich tatsächlich an Männer geraten lassen, die sich in 2 Gruppen einteilen lassen:
1. Männer, die entweder den einmaligen Fick gesucht haben und dabei so manche Grenze überschritten haben oder, wenn es zur Beziehung kam, mir einfach immer wieder zu verstehen gegeben haben, dass ich es nicht wert bin, also bestehende Glaubenssätze wurden weiter manifestiert und neue kamen hinzu (mein letzter Partner mus hier ausgeklammert werden, er war in der Beziehung ein Arsch, aber jetzt ist er mein fastbester Freund)
2. Männer, die zwar keine Arschlöcher waren, mich sogar mit Respekt usw. behandelt haben, mich nicht nur auf Sex reduziert haben, mir aber auch zu verstehen gegeben haben, dass ich nicht gut genug für eine Beziehung bin, sondern maximal als eine geheime Affäre tauge (Meine langjährige aktuell pausierte F+ muss ich hier aber ausklammern, er ist der Einzige, der mir irgendwie zu verstehen gibt, dass ich gut so bin, wie ich bin, ja sogar liebenswert und nun, Beziehung würde wegen der Lebensplanung nicht funktionieren)
In der Therapie war und ist das immer wieder Thema und ich habe zumindest erkannt, was hinter diesen Verhaltensmuster/Männertyp steht: der Drang, dass bei einem Mann zu erreichen, was mir bis heute bei meinem Vater nicht gelungen ist - wenigtens von einem Man bedingungslos geliebt zu werden und dafür habe ich teilweise paradoxerweise meine eigenen Grenzen überschritten oder überschreiten lassen (Gewalterfahrungen würde ich hier ausklammern, da ich mich schon gewehrt habe)
Das Ganze mündete schließlich 2017 in einer Verhaltensweise, die mich aufschrecken ließ, ich habe angefangen, mich selbst zu verletzen (was mir auch Ablehnung durch Männer eingehandelt hat) und habe umgehend einen Termin bei einer Psychiaterin gesucht und da bin ich nun auch seitdem.
„Ist es möglich da etwas zu verändern um glücklicher und zufriedener zu werden?
Ja, es ist möglich, aber verdammt steinig und schwer, emotional anstrengend und kräftezerrend. Das Problem ist leider, dass sich zwischen der emotionalen Vernachlässigung und dem Therapiebeginn ein Haufen an Baustellen gebildet haben:
posttraumatische Belastungsstörung (durch den Suizid meines Bruders und somit ein erneuter Verlust sowie Schuldgefühle)
mittelgradige depressive Episoden
leichte Anpassungsstörung
Wahrnehmungsstörung auf emotionaler Ebene und eigener Bedürfnisse
selbstverletzendes Verhalten (Gott sei Dank nur in extremen emotionalen Situationen)
Verlustangst --> Grenzen setzen, Nein sagen fällt schwer
Kontrollzwang auf emotionaler Ebene
Ambivalenz zwischen der Angst vorm Alleinbleiben und der Angst vor Nähe (Bindungsunfähigkeit oder Nähe-Distanz-Konflikt genannt)
die ganzen negativen Glaubenssätze
fehlende/mangelnde Selbstliebe/Selbstwertgefühl
Selbstvertrauen nur im Bezug auf meine Fähigkeiten
Ja, ich arbeite an mir, die meisten Fortschritte habe ich bisher im Grenzen setzen, Nein sagen gemacht, was sich natürlich auf mein Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen auswirkt. Das Wahrnehmen und Annehmen der mir aberzogenen Emotionen ist im Gange und ansonsten achte ich mehr auf mich, mache es mir selbst schön (Schaumbad, Diner 4 One, viel Spazieren mit Hund, Meditieren, Lesen, innere Kindarbeit, usw.). Und, was mir besondern wichtig und bedeutsam ist: ich habe mir meine Fröhlichkeit und meinen Humor noch nicht nehmen lassen, ich lache viel und bin dabei wirklich ICH. Ich quatsch sogar bei Gassirunden fremde Männer an und grüße sie einfach. Bringt zwar nicht viel, aber die Summe machst. Gegenüber Männern werde ich selbstsicherer, habe weniger ANgst vor ihnen.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich damit noch beschäftigt bin, aber ich gebe in der Hinsicht nicht auf, denn ich habe zumidest schon erkannt, dass ich es verdient habe, im Licht des Lebens zu stehen, glücklich zu sein und zufrieden zu sein. Ich Schatten sein Dasein fristen hat niemand und auch ich nicht verdient!
Und ja, ich kann heute sogar meinen Vater verstehen. In der Therapie haben wir auch über seine Ursprungsfamilie gesprochen, halt was ich real mitbekommen habe oder was meine Großeltern so erzählt haben. Mein Vater konnte bei 2 Töchtern nicht anders, wurde doch sein Bruder von seiner Mutter auch emotional bevorzugt und er vernachlässigt. Manche schaffen es, ihre Erfahrungen zu transformieren, es besser zu machen, andere schaffen es nicht. Wie kann ich da böse auf meinen Vater sein, hat er doch aus seiner Perspektive sein Bestes als Vater getan
Naja, bitte entschudigt den langen Text, lag mir irgendwie auf der Seele, doch recht persönlich zu schreiben. Vielleicht gibt es ja jemanden, der daraus Mut schöpft und seinen Teufelskreis durchbrechen möchte