3.
Kurt Schulze-Kleinert. Abteilungsleiter der Buchhaltung. Im Büro wurde er allgemein nur SK genannt. Die Interpretationen bezüglich dieser Abkürzung differierten. SonderKommando, nannten ihn die Einen, in Anspielung auf SK´s Eigenschaft, Spesen und Kilometerabrechungen zum Nutzen und Frommen seines Arbeitgebers aufs pedantischste zu kontrollieren. Damit konnte er sämtlichen Kollegen mächtig Druck machen. Eine Eigenschaft auf die SK selbst nicht wenig stolz schien. Es kursierten jedoch auch andere Versionen. Spesen-Kurt, noch eine der freundlicheren Art, am beliebtesten war jedoch diese Variante: Scheiß-Kerl.
SK feixte sein schmieriges, arrogant-dümmliches Buchhaltergrinsen.
„Sie wollte ich schon immer mal an meine Brust drücken!“, quiekte er jovial. Sie murmelte ein paar Worte der Entschuldigung und beeilte sich den Zug zu verlassen. SK gönnte sich derweil das Vergnügen, sie auf dem restlichen Weg ins Büro zu begleiten. Sie ertrug seine Anwesenheit klaglos und legte einen Schritt vor, der den engen Rock ihres Business-Kostüms fast zum Platzen brachte. SK semmelte auf kurzen Beinchen schnaufend neben ihr her, ein ums andere Mal bemüht, Konversation zu machen. Sie ließ ihn lächelnd abtropfen. Gut, dachte sie boshaft, dann hast du heute wenigstens EINMAL geschwitzt.
Am Aufzug trennten sich ihre Wege. Kurti ließ seinen übergewichtigen Körper nach oben befördern. Sie nahm aus Gründen der Fitness die Treppe. Es waren ohnehin nur zwei Stockwerke. Montage waren meist stressig und so blieb ihr wenig Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Telefonate, Gespräche, Meetings, der übliche Alltag. Erst als sie sich, gegen halb drei, zu einem späten Mittagessen in der Kantine aufraffte, überfiel sie die Erinnerung. Sie wählte einen Salat mit Putenstreifen, ließ sich ein Mineralwasser dazu geben und nahm einen, der um diese Zeit reichlichen, freien Tische an der großen Fensterfront mit Blick auf die Frankfurter Skyline.
Das Handy lag griffbereit auf dem Tablett. Während sie lustlos in ihrem Salat herumstocherte, las sie wieder und wieder diese Nachricht und versuchte den Text einzuordnen. Sie war unschlüssig. Möglicherweise erlaubte sich jemand einen Scherz mit ihr. Oder?
Wenn nun aber doch…? Ihre Erinnerungen glitten ab. Der Freitag…, sie hatte ihn völlig schamlos und ungeniert in der S-Bahn mit den Augen gefickt… Nein, es konnte nicht sein. Das traute sie ihm nicht zu. Er war ihr so…, ihr fiel kein besserer Ausdruck dafür ein, so unterwürfig erschienen. Ihre Fantasie hatte befohlen, sie hatte geführt, bestimmt, und er hatte zu erledigen, was ihre Träume von ihm verlangt hatten. Ihr Körper steigerte die Hormonproduktion. Sie spürte ausufernde Feuchtigkeit zwischen den Schenkeln. Der merkwürdige Begriff „prickelndes Unwohlsein“ kam ihr in den Sinn. Sie lächelte.
„Pling“. Sie haben eine neue Nachricht. Der Vibrationsalarm des Handys brachte das Wasserglas zum Scheppern und schreckte sie auf.
Sie schickte, unter langen Wimpern, einen verstohlenen Blick durch den Raum. Um diese Zeit war die Kantine fast leer. Einzelpersonen, die, aus welchen Gründen auch immer, die Hauptessenszeit verpasst hatten. In einer Ecke lümmelte SK und kaute vergnügt an seinem fettigen Schnitzel samt ebenso fettiger Pommes.
„Ich habe dich im Auge.“
Ein Stalker! Sie erinnerte sich dumpf an einen entsprechenden Zeitungsartikel, demzufolge ein Kerl verurteilt worden war, weil er eine Frau mit seinen Anrufen und Nachrichten fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Das musste es sein. Irgendwer hatte sie aufs Korn genommen und versuchte, sie zu beunruhigen. Nicht mit mir, dachte sie, in mir findest du deinen Meister, du Wichser.
Den Rest des Nachmittages verbrachte sie zwischen Zweifeln und Zorn. Sie würde diesen Zug nehmen, den Unbekannten stellen und ihm gehörig und lautstark die Meinung geigen. Nein, besser nicht. Zu wenig Leute im Zug um diese Zeit. Womöglich wollte der Mensch sie nur allein erwischen, um ihr sonst was anzutun. Andererseits: Um halb neun war es noch einigermaßen hell und selbst beim Einlaufen in die Zielstation würde es noch nicht ganz dunkel sein. Kämpfen oder kneifen? Was nun?
Gegen 18:00 verließ sie ihr Büro, warf die Post in den Ausgangskorb auf dem Flur und beeilte sich in die Stadt zu kommen. Sie hatte noch etwas zu besorgen. Der Stalker soll sein blaues Wunder erleben, dachte sie, während sie den Waffenladen in der Berliner Straße betrat und eine nagelneue Dose original TW 1000 Pepper-Fog erstand. Nur zur Vorsicht. Sie trottete zurück zum Römer, trank dort noch einen Espresso, las ein wenig in der Vogue und nahm dann die U-Bahn zum Hauptbahnhof.
4.
Als sie kurz nach acht auf dem Bahnhof erschien, fand sie nur wenige Passagiere vor. Bis zur Abfahrt des Zuges blieben noch fast fünfzehn Minuten und viele würden erst auf den letzten Drücker gerannt kommen. Sie setzte sich auf einen dieser unbequemen Drahtgittersessel, die längs des Bahnsteigs in Vierergruppen verteilt waren und nahm ihre Handtasche auf den Schoß. Den Reißverschluss hatte sie offen gelassen. Etwas verkrampft, bolzengerade, saß sie da und ließ zu, dass das kalte Metall ein unangenehmes Muster in ihre Oberschenkel drückte. Der Bahnsteig begann sich zu füllen.
SK kam luftschnappend angedackelt, bleckte seine gelben Pferdezähne und schien erfreut, sie zu sehen. Ungefragt nahm er neben ihr Platz und begann zu schwafeln. Die viele Arbeit… Er, die Stütze der Firma… Sie hörte nicht hin. Sein unerträgliches Duftgemisch aus Männerschweiß, Frittierfett und billigem Rasierwasser beleidigte ihre Nase. Abrupt stand sie auf und stöckelte einige Schritte auf und ab, während sie ihn verstohlen aus den Augenwinkeln musterte.
SK staunte ihr mit glubschigen Augen pikiert hinterher und fühlte den heftigen Wunsch, sich beim Anblick ihres davon schwingenden Hinterns am Sack zu kratzen, was er denn auch unverzüglich und ausgiebig tat. Seine mit Soßenflecken garnierte Krawatte hing schief. Auf seiner Stirnglatze glänzte fettiger Schweiß. Sie seufzte. Was für ein Bild von einem Mann. Arschloch.
Der Zug lief ein. Sie enterte den etwas schäbigen und schmuddeligen Großraumwagen der S-Bahn und setzte sich auf ihren gewohnten Platz. Wenig Betrieb, wie erwartet. SK machte Anstalten sich neben sie zu quetschen. Mit einem Eisblick, der weitaus kernigere Männer auf die Knie gezwungen hätte, hielt sie ihn davon ab. Er verdrückte sich einige Sitzreihen weiter und saß nun in ihrem Rücken. Eine starke Frau hält das aus, dachte sie. Zu ihrem großen Erstaunen saß auch ER auf seinem gewohnten Platz. Sie hatte ihn gar nicht kommen sehen. Vermutlich, weil sie gerade damit beschäftigt war, SK zu verscheuchen.
„Achtung an Gleis 103. Die S-Bahn S2 fährt wegen einer Betriebsstörung einige Minuten später ab!“, tönte es blechern aus dem Lautsprecher.
Das hatte ihr noch gefehlt. Sie fühlte sich unbehaglich, verwünschte ihren Entschluss, Detektivin spielen zu wollen. Die Zweifel kamen zurück. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu IHM. Er beobachtete sie. Seine Augen schienen von einem dunklen Blau zu sein. Im Neonlicht nicht gut zu erkennen. Wieso war ihr das am Freitag nicht aufgefallen? Sie begegnete ihnen, diesen Augen. Freundlich blitzten sie, ein wenig amüsiert vielleicht. Sie strahlten Ruhe aus. Selbstbewusstsein. Ihre Kampflust erwachte. Sie hatte ihn schon öfter bezwungen und diese Art Spiel beherrschte sie ausgezeichnet. Er sollte seinen Blick als erstes senken. Aber er hielt ihr stand, heute. Merkwürdig. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln.
Scheiße, sah der Kerl gut aus. War das der gleiche Mann? Die Erinnerungen überrollten sie wie ein D-Zug und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Schließlich senkte SIE den Blick und ergab sich. Diese völlig neue Erkenntnis schockierte sie nicht wenig. War er vielleicht doch der Absender der beiden SMS?
SK telefonierte. Lautstark und mit der selbstgefällig rechthaberischen Stimme des nach oben buckelnden, nach unten tretenden Angestellten, der seine Untergebenen, in diesem Fall wohl seine Frau, zusammenschiss.
„Scheißbahn… Verspätung… Essen… warmhalten… weiß ich noch nicht!“ Wortfetzen.
5.
Sie beobachtet die wenigen Passanten auf dem Bahnsteig. Riskiert aus dem Augenwinkel einige verstohlene Blicke in Richtung des Objekts ihrer Begierde. Immer wieder kurze Flashbacks, in ihre Wunschtraumwelt. Seine Hand, die quälend langsam den Reißverschluss seiner Hose öffnet… die Gier in seinen Augen… Waren sie wirklich blau…? Die Geilheit, das Prickeln, ausufernd, unbeherrschbar wie das Unkraut im Garten, als er...
Die Gedankenfetzen ließen sie schaudern. Amüsiert registrierte sie, wie sich ihre Brustwarzen unter dem dünnen Stoff ihrer Bluse aufgerichtet hatten und raffte unwillkürlich ihre Jacke etwas zusammen. Gänsehaut. Dazu passend: Die leichte Feuchtigkeit ihres Schoßes. Die Türen des Zuges schlossen sich und er setzte sich in Bewegung.
„Pling“. Sie haben eine neue Nachricht.
Sie zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Das Handy holte sie abrupt zurück in die Realität. Die Nachricht verschlug ihr den Atem. Selten war sie so auf dem falschen Fuß erwischt worden. Was? … Wer? Sie sah sich verstohlen um. ER hatte sein Gesicht in einer Zeitung vergraben. Die andern Mitfahrer sahen teils gelangweilt aus dem Fenster, oder dösten gleichmütig vor sich hin.
Erregung. Aufkeimende Angst. Adrenalin. Wieder dieses „Ich habe dich im Auge.“ Und hatte der Unbekannte nicht heute Morgen geschrieben, er würde da sein? Was lief hier für ein Spiel? Nur nicht die Nerven verlieren. Sie kämpfte gegen die Trockenheit im Mund. Schluckte. Leckte sich über die Lippen. Tausend Gedanken, Bewertungen, Alternativen.
Sollte sie?
Nein!
Auf keinen Fall!
Oder?
Niemals!
Doch!
„Du hast dich auf das Spiel eingelassen, nun bring es auch zu Ende. Wieso nicht? Hier in der Sitzreihe kann dich niemand sehen...“, flüsterte das Teufelchen auf ihrer Schulter.
Der Gedanke, von einem Unbekannten auf diese Art geführt zu werden, gab Wasser auf die Mühlen ihrer seit Tagen anhaltenden, latenten Geilheit. Sie stellte ihre Tasche beiseite, zog den engen Rock, gerade soweit als nötig die Oberschenkel hinauf und versuchte unauffällig ihren Slip zu erreichen. Mit einiger Mühe gelang das Kunststück. Zum Glück hatte sie angesichts des warmen Wetters heute auf eine Strumpfhose verzichtet. Mit einer raschen Bewegung streifte sie das Höschen über die Schuhe, bückte sich, hob es auf, zupfte ihren Rock wieder zu recht und ließ das Teil in der Tasche verschwinden.
Die S-Bahn hielt. Türen öffneten sich. Einige Leute stiegen aus. Die eindringende Zugluft erinnerte sie an die Nässe ihres Schoßes. Unwillkürlich schlug sie die Beine übereinander, was wegen der Enge der Platzverhältnisse ein wenig schwierig war. Türenschließen. Ein Ruck, die Bahn fuhr wieder an.
„Pling“. Sie haben eine neue Nachricht.
Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie wurde also tatsächlich beobachtet. Nur von wem? ER steckte noch immer hinter seiner Zeitung. Hinter sich, wusste sie SK. Sie zählte rasch durch. Insgesamt befanden sich noch zwölf Personen in diesem Waggon. Ihre feuchten Oberschenkel rieben aneinander. Sie schluckte, als es ihr bewusst wurde. Weiter. Sie musste das jetzt herausfinden.
Langsam öffnete sie die beiden obersten Knöpfe ihrer weißen Seidenbluse und zog die Enden behutsam auseinander. Gerade so viel, dass man den Spitzensaum ihres BHs und den Ansatz ihrer Brüste sehen konnte. Währenddessen beobachtete sie gespannt, unter halbgeschlossenen Lidern, ihre Umgebung. Nichts festzustellen. Keine rasche Bewegung. Kein vorwitziger Blick. Die Anderen schienen sie nicht wahr zu nehmen. Eines ihrer Beine begann einzuschlafen. Die Sitzhaltung wurde bei dieser engen Bestuhlung langsam unbequem. Sie parkte die Beine wieder nebeneinander. Das Kältegefühl nahm zu. Ihr Atem beschleunigte sich und sie holte ein-, zweimal tief Luft, versuchte ihren augenblicklichen Zustand zu analysieren.
Was tue ich hier eigentlich? Sitze in der Bahn, warte auf unsinnige Befehle eines Unbekannten und führe sie auch noch aus!
Der Zug ratterte über einige Weichen und die Passagiere wurden ordentlich durchgerüttelt. Der nächste Halt. Vier Personen stiegen aus. Türen zu. Weiter.
„Pling“. Sie haben eine neue Nachricht.
So etwas Ähnliches hatte sie bereits erwartet. Gut! Sie würde dem Spanner den Gefallen tun. Er sollte sich noch ein wenig amüsieren, bevor sie mit ihm abrechnete.
Gehorsam schob sie zunächst die linke Hand in den BH und kniff in ihren ohnedies schon steil aufgerichteten Nippel. Ein wenig fester, als notwendig gewesen wäre. Sie mochte dieses Gefühl. Es erregte sie. Sie war zwar hier, um eine Mission zu erfüllen, aber das musste ja nicht bedeuten, dass sie keinen Spaß daran haben durfte.
Nach einer knappen Minute wechselte sie die Hand und gönnte der anderen Brust das gleiche Vergnügen.
Quietschende Bremsen. Einlauf in den nächsten Bahnhof. Zwei Personen weniger.
Nun sind wir nur noch sechs.
Ich erwisch dich schon!
Wichser! Blöder!
Türen zu. Weiter.
„Pling“. Sie haben eine neue Nachricht.
Sie wusste ohne nachzudenken, was mit berühren gemeint war. Jetzt hatte er den Rubikon überschritten. Das Maß war voll. DAS würde sie nicht tun!
DIESMAL ging er zu weit.
Auf KEINEN Fall!
NIEMALS!
Unter keinen Umständen!
Hier, in aller Öffentlichkeit!
In der Bahn!
Ihre rechte Hand schien Eigenleben zu entwickeln und gehorchte ihr nicht. Während ihr Ego noch lautstark „Nein!“ schrie, hatte der Körper schon reagiert. Die Hand öffnete den seitlich angebrachten Reißverschluss ihres Rockes und verschwand unverzüglich unter dem so gelockerten Bund, suchte sich den kürzesten Weg zwischen die Schenkel, die sich willig öffneten und drang, mit dem Mittelfinger die nassen Lippen teilend, in ihr Allerheiligstes vor.
Die erlösende Berührung kämpfte die aufkommende Panikattacke nieder. Endlich. Mit dem kümmerlichen Rest ihrer Selbstbeherrschung gelang es ihr, das Stöhnen zu unterdrücken, während sie sich fingerte.
Ihr etwas glasiger Blick fixierte dabei IHN und verlor sich in seinen blauen Augen, die sie amüsiert über den Zeitungsrand hinweg musterten, während ihr schlanker Körper von den Wellen des durch die Umstände stark eingebremsten Orgasmus, den sie so gerne laut hinausgeschrien hätte, überrollt wurde. Sie war sich dessen nicht bewusst.
Ebenso wenig wie des heftig schnaufenden Kollegen SK, der klammheimlich unmittelbar hinter ihr Platz genommen hatte. Das IPhone hielt er noch in der Hand, mit der er ihr auf die Schulter tippte.
Ff.