Stigmatisierung
Ich habe mal gelesen, dass die meisten Leute instinktiv Partner wählen, die einen ähnlichen Attraktivitätsgrad wie sie selber haben. Nicht jede/r gefällt jeder/jedem, und das ist auch gut so.
Wenn ich hier lese, in welchem Ausmaß Übergewicht stigmatisiert wird, frage ich mich allerdings, wieso das so ist.
Übergewicht ist eine Krankheit, für die es die verschiedensten Ursachen gibt. Eine Ursache kann es sein, dass sich beispielsweise junge Frauen mit einem ganz normalen Gewicht in eine "Diätkarriere" stürzen, weil sie auf Grund des gesellschaftlichen Drucken glauben, noch schlanker sein zu müssen. Andere Ursachen können andere Krankheiten, eine genetische Komponente, psychische Belastungen oder ein Umbruch im Leben, wie beispielsweise eine Schwangerschaft, sein.
Natürlich kann es auch sein, dass jemand einfach "nur" zu viel isst - dann ist es aber eine Sucht. Es gibt in meinen Augen keinen Grund, eine solche Sucht gesellschaftlich stärker zu stigmatisieren als beispielsweise das Rauchen. Wie man hier sieht, geschieht das aber doch.
Warum ist das denn so?
- Haben es so viele Leute nötig, andere nieder zu machen, nur um sich selbst "zu erhöhen" und sich selbst auf die Schulter klopfen zu können, wie toll sie selbst sind?
- Oder sind das nur wenige, und die anderen sind "Mitläufer" - wenn man was gegen Dicke sagt, kann man nichts falsch machen, das ist gesellschaftlich anerkannt.
- Oder fehlt es nur an der nötigen Information über die Ursachen?
Ich selber hatte lange Zeit Normalgewicht, fühlte mich aber immer zu dick. Auf Grund einer Diätkarriere - abnehmen - auf Grund des Jojo-Effektes danach mehr zunehmen, als ich vorher abgenommen hatte - sammelte sich langsam Gewicht an. Hinzu kam, dass ich den ganzen Tag im Büro sitze und abends oft einfach zu k.o. bin, um noch Sport zu treiben. Sicher, das kann man zu recht kritisieren. Andererseits kenne ich viele Dünne, denen es gar nicht anders geht. Heute ist es so, dass ich mich "vernünftig" und fettarm ernähre und dennoch dick bin. Ich habe Angst vor weiteren Abnehmversuchen, weil das Abnehmen nicht das Problem ist, sondern, das Gewicht ein Leben lang zu halten. Da habe ich halt die Erfahrung gemacht, dass es mir nicht gelingt, ein Leben lang Diät zu halten und in dem Maße Sport zu machen, wie es erforderlich wäre, um schlank zu bleiben.
Ich bin ein Genussmensch und möchte nicht jeden Bissen kontrollieren müssen. Essanfälle habe ich nicht, und mein Essverhalten ist durchaus kontrolliert. "Ganz normal" zu essen, also beispielsweise regelmäßig in der Kantine zu essen, kann ich mir nicht erlauben, weil ich dann gleich wieder zunehme. Dass das so ist, kommt mir selbst manchmal komisch vor, aber es ist nun mal so. Also habe ich mich inzwischen damit arrangiert. Klar wäre ich gerne schlank, aber nicht um den Preis der ständigen Selbstkasteiung.
Meiner Erfahrung nach lässt es sich auch mit einem dicken Körper zufrieden und ausgeglichen leben. Wie viel Macht andere über einen haben, bestimmt man zu einem großen Teil selbst. Soll heißen: Man muss sich das Leben nicht schwer machen, indem man die teils verletzenden Beiträge hier verinnerlicht und genau so wird, wie es darin behauptet wird. Genau das kann nämlich passieren.
Vera Birkenbihl berichtet auf ihrer DVD "Menschen beeinflussen" von einer Studie, mit Hilfe derer man dies belegt hat. Denjenigen, denen man einmal ganz beiläufig - ohne das Thema zu vertiefen - gesagt hat, dass andere sie für spendabel halten, haben bei einer Spendensammlung (zwei Wochen später) deutlich mehr gespendet als die Vergleichsgruppe.
Vielleicht sollten sich also manche Leute mal überlegen, was damit bewirken können, wenn sie Vorurteile über Dicke verbreiten.
Was mein Liebesleben anbelangt, da kann ich den Unterschied zu "schlanken" Zeiten nicht wirklich ausmachen. Die Position, dass ich auf den Hüften des Mannes an der Wand angelehnt geliebt werde kann ich zwar definitiv vergessen, das stimmt. Um ehrlich zu sein habe ich das früher, als ich schlank war, mit mehreren Männern versucht, und es hat auch damals nicht geklappt. Allerdings glaube ich auch nicht, dass das wirklich viele Leute als zwingenden Bestandteil ihres Liebeslebens betrachten. Alle "normalen" Positionen funktionieren, und allzu akrobatische Nummern waren noch nie mein Fall.
Ich hatte und habe mein ganzes Erwachsenenleben lang ein sehr zufriedenstellendes Sex-Leben (wenn man mal von anderthalb Jahren freiwilliger Abstinenz nach meiner Scheidung absieht). Fakt ist auch, dass "meine Männer" das ebenso gesehen haben.
Als ich Single war, konnte ich mich über "Bewerbermangel" nicht wirklich beklagen. Aber ich mache mir da nichts vor: Natürlich hätte ich unter noch viel mehr Männern wählen können, wenn ich schlank gewesen wäre. Wer weiß, vielleicht hätte ich noch bessere Liebhaber gefunden. Vielleicht hätte ich aber auf Grund des Überangebots die wirklich guten auch nicht gefunden.
Fazit meines Postings: Ich halte es für normal und kein Problem, wenn jemand sagt, nein, mit dem- oder derjenigen mag ich keinen Sex haben. Diskriminierung und Stigmatisierung ist aber nicht erforderlich, nur weil jemand nicht den eigenen Vorstellungen entspricht.
Viele Grüße
Mary