Langjährige kulturelle Unterschiede habe ich nur mal auf zwei Arten erlebt:
1. Ich lebte als Jugendliche einige Jahre im tiefsten Allgäu in einem winzigen Kuhdorf. Man sollte meinen, als jemand, der in Bayern geboren und in Bayern aufgewachsen ist, sei mir bayerische Kultur allgemein bekannt, aber ich komme aus München, und Niedersonthofen war dann doch ganz schön anders. Nicht nur sprachlich. Ich habe dort Bräuche kennengelernt, von denen ich vorher nie gehört habe, oder die man in München einfach nie ausgelebt hat. Funkenfeuer, Krampusnacht, etc.
Diese kulturellen Eindrücke haben mir sehr gefallen. Ich fand sie außerordentlich bereichernd, weil es darum ging, Menschen zusammenzubringen und nicht darum, zu diskriminieren oder zu unterdrücken.
2. Meine beste Freundin aus der Jugendzeit war muslimische Türkin. Kennengelernt habe ich sie zunächst als absolut modernes Mädchen. Kein Kopftuch, normale Jugendkleidung, fließendes Deutsch. Auch die Jungs und Mädchen in ihrem türkischen Freundeskreis - allesamt machten sie einen modernen, integrierten Eindruck. Ich war oft bei ihr zu Hause. Sie hatte zwei jüngere Brüder, trotzdem gab es keine "Hierarchie". Gerahmte Bilder von Atatürk (der bekanntlich sehr eifrig die westlich geprägte Modernisierung vorantrieb) und eine Mutter, die zumindest in den vier Wänden eindeutig das Sagen auch über ihren Mann hatte und das Geld kontrollierte. Wunderbares Essen (ich liebe gefüllte Weinblätter), ein sehr teurer, wertvoller Koran mit Goldverzierungen war im Wohnzimmer aufgestellt und die Eltern waren absolut aufgeschlossen mir gegenüber, obwohl ich zur damaligen Zeit sehr unmädchenhaft war und zur Punk-Subkultur gehörte.
Es kam erst im späteren Verlauf, als meine Freundin und der zwei Jahre jüngerer Bruder älter wurden, dass Veränderungen auftraten, die mir persönlich nicht gefielen. Meine Freundin kam in ein Alter, an dem über spätere Hochzeiten nachgedacht wurde (sie war 15 zu dem Zeitpunkt). Das erste Mal bewusst wahrgenommen habe ich diese Veränderungen, als wir gemeinsam shoppen waren und sie sich ein Oberteil ausgesucht hatte, das sie auf einer Hochzeit von Bekannten tragen wollte. Weil das Oberteil Schlitze an den Schultern hatte, wodurch die nackte Schulterhaut sichtbar war, verbot ihr Vater ihr, dass sie es trug. Sie weinte bitterlich. Plötzlich musste sie mindestens einmal die Woche in eine Moschee, um dort zu lernen (einmal begleitete ich sie aus Neugier dorthin). Sie verliebte sich in einen deutschen Jungen aus unserer Parallelklasse und ich half den beiden dabei, sich heimlich bei mir zu treffen, weil ihre Eltern diese Beziehung niemals zugelassen hätten.
Hier wurde mir eben klar: Die Aufgeschlossenheit fand nur dort statt, wo man auf Deutsche traf. Dort, wo die Familie mit ihrem eigenen Kulturkreis in Berührung kam, blieben sie erstaunlich rückschrittlich und patriarchal. Andere Türken sollten die Tochter möglichst "schicklich" wahrnehmen. In der Schule durfte sie sich modern anziehen, beim Familienfest mit anderen, türkischen Familien musste sie aber züchtig aussehen. Niemals hätte man sie anderen Türken mit einem deutschen Jungen/Mann an ihrer Seite gezeigt.
Und nach und nach fiel mir eben genau diese Haltung bei allen türkisch-muslimischen Familien auf, die mit der Familie meiner Freundin zu tun hatten. Sobald die Kinder 14,15,16 wurden, wurden sie praktisch "rausgerissen" aus der "deutschen Welt" und "zurückgeholt" in die eigene Kultur, wobei diese sich eben stark durch patriarchale Strukturen zeigte.
Und es ist DAS, womit ich persönlich ein Problem habe: Nicht "fremde Kulturen" an sich, sondern die Teile davon, die Individuen in ihrer Selbstbestimmtheit und Freiheit beschneiden. Und wenn diese Teile einer Kultur von einem Menschen aktiv ausgelebt werden wollen, beziehungsweise er diese mit in eine Beziehung bringen möchte, werde ich definitiv keine Beziehung mit diesem Menschen eingehen.
Ich hab daher absolut kein Problem damit, eine Beziehung mit einem Menschen aus einer anderen Kultur einzugehen, sofern er genauso freiheitlich denkt und leben möchte, wie ich, und eben dadurch bestimmte Teile seiner Kultur ablehnt. So wie ich die christlich geprägte, konservative Kultur meiner Heimat ablehne.