Kapitel 14: Windgepeitscht
Hart packte er mein Handgelenk. „Oh nein, Strandläuferin!“ Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Du weißt, dass ich das nicht dulden werde.“
Er zog mich auf die Füße, wirbelte mich herum und legte den Arm um meinen Oberkörper, so dass ich mich nicht rühren konnte. Ich hatte keine Chance gehabt, auch nur die Fingerspitzen an seine Maske zu legen. Geschweige denn, etwas Verbotenes zu sehen.
„Du provozierst mich mit voller Absicht. Nicht wahr?“ Seine Stimme fuhr mir mit Raubtierkrallen über den Nacken.
Schwer atmend lag ich an seiner Schulter und starrte auf die anderen Strandgestalten, die ebenfalls in ihrem Treiben innegehalten hatten. Er präsentierte ihnen meine nackten Brüste und presste eine Knospe zwischen den lederbehandschuhten Fingern.
„Antworte!“ Ein Wort wie ein Peitschenknall.
„Jaaa…“ Meine Stimme klang tatsächlich etwas unsicher. Wie die einer Delinquentin, die noch nicht genau weiß, was sie sich da eingebrockt hat.
„In-dis-kre-tion.“ Er kostete jede Silbe des Wortes aus. Ließ sie über die Zunge rollen wie einen Schluck Wein. „Ihr wisst, Brüder und Schwestern, was die Strafe für dieses Vergehen ist.“
Ein erwartungsvolles Getuschel erhob sich.
„In den guten alten Zeiten hätte man sie dafür an den Pranger gestellt!“
„Und ihr die Schandmaske übergezogen!“
„Der Flogger wird tanzen…“
„Und sie mit ihm!“
Worte, die mich augenblicklich in eine neue Welt katapultierten. Ich hatte bisher wenig Erfahrung mit diesen dunklen Facetten der Lust. Doch die Bilder in meinem Kopf funkelten wie schwarze Diamanten. Umso mehr, als er mit einer auffordernden Geste die Hand in Richtung seiner Kumpane ausstreckte und einmal knapp mit den Fingern winkte. Wie ein Arzt, der sich von seinem Assistenten ein gerade benötigtes Instrument anreichen lässt. Nur sagte er weder „Schere!“ noch „Tupfer!“. Sondern: „Tintenfisch!“
So absurd das in meinen Ohren auch klang: Niemand lachte. Spannung senkte sich über den Strand, als der Raukar seine Hand um das Gewünschte schloss und es mir unter die Nase hielt. Es war tatsächlich ein Tintenfisch. Allerdings von einer Art, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sein schlanker, länglicher Körper bestand aus Leder und hatte eine Form, die sich perfekt in die Hand des Wellenreiters schmiegte. Wie ein Griff, der eigens zu diesem Zweck gestaltet worden war. Von seinem unteren Ende gingen die ebenfalls aus weichem Leder gefertigten Tentakeln des Tintenfischs ab. Zehn an der Zahl, wie es sich für einen echten Kalmar gehörte.
Sprachlos starrte ich auf das ungewöhnliche Kunstwerk, das so perfekt zu seinem Meeresherrn passte. Selbst die rötlich schimmernde Farbe des Leders schien direkt aus der Unterwasserwelt zu stammen. Ich wandte den Kopf und sah dem Raukar in die Augen. Soweit ich sie erkennen konnte. Er nickte bedächtig. Und als er mich den Strand entlang drängte, hing ein bebendes Versprechen in der Luft. Die Ahnung, dass ich etwas Neues erleben würde. Und dass meine Sinne mehr als bereit dafür waren. Die Naturgewalten an dieser wilden Küste hatten offenbar nicht nur die Felsen zu rauen Formen geschliffen, sondern auch die Menschen. Und die Lust. Ihre und meine.
Nach ein paar stolpernden Schritten in seinem festen Griff erkannte ich sein Ziel. Es war tatsächlich eine Art Pranger, der auf mich wartete. Einer, den die Elemente der Küste freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatten. Die See hatte den mächtigen Baumstamm herangetrieben, Wind und Wellen hatten seine Oberfläche glatt geschmirgelt. Und die Sonne hatte das Holz ausgebleicht, bis es beinahe die Farbe geisterhafter Knochen erreichte. Meine Hände strichen über die knorrigen Wurzeln, die in den Nachthimmel ragten. Und als sich die Lederriemen um meine Handgelenke schlangen, schmiegte ich mich an das Holz wie an einen alten Bekannten.
Ich hätte mich zu gerne für einen Moment von außen betrachtet. Eine Frau im Feuerschein, deren über den Kopf erhobene Arme an ein natürliches Andreaskreuz gefesselt waren. Die ihrem Publikum Rücken und Hintern zudrehte. Und mit bebenden Flanken darauf wartete, was nun geschehen würde. Die Brise spielte mit meinen Haaren und ließ sie über meine Haut streifen wie windige Finger. Das Murmeln des Publikums streichelte meine Gehörgänge und lockte mein inneres Luder aus seinem Versteck. Es wollte jeden einzelnen anzüglichen Kommentar hören. Jeden beschleunigten Atemzug ringsum. Und jede schwarz schimmernde Geschichte der Nacht.
Der Wellenreiter schien das mit einer ungewöhnlichen Hellsichtigkeit zu spüren. Und er wusste sehr genau, was er tat. Ganz gezielt mischte er einen neuen Ton in die lüsterne Sinfonie. Ein pfeifendes Geräusch, das nicht vom Wind kam. Obwohl es von einem deutlich wahrnehmbaren Luftzug begleitet wurde. Doch sein klatschender Abschluss traf nicht meinen Körper, sondern das Holz. Keine Handbreit neben meiner Hüfte. Meine benebelten Sinne zuckten in Habachtstellung. Mit jeder Faser meines Körpers rechnete ich damit, dass der nächste Schlag mich treffen würde.
Stattdessen fuhren mir die zahlreichen schmalen Lederriemen über die Schulter, als handele es sich tatsächlich um die Arme eines besonders übermütigen und erkundungsfreudigen Tintenfischs. Einfühlsam und provozierend zugleich testeten sie meine Reaktionen. Und ich hatte in diesem Moment keinen anderen Wunsch, als mich dieser Prüfung hinzugeben. Sie balgten sich auf meinem Rücken und streichelten die Innenseite meiner gespreizten Beine. Sanft. So zart wie Nachtfalterflügel. Doch immer mit der verführerischen Drohung, dass sie auch anders konnten. Dass ihre Behandlung von einem Moment zum nächsten umschlagen konnte. Von Zärtlichkeit zu Härte. Das Spiel mit diesen Möglichkeiten erregte mich zunehmend. Ein berauschender Cocktail, dessen Ingredienzien sich perfekt ergänzten. So gegensätzlich sie auch zu sein schienen. Mein stolpernder Atem nahm die Berührungen vorweg. Versuchte, sie zu überholen. Und das Kommende zu erahnen.
Als der erste Schlag meinen Hintern traf, zuckte ich dennoch zusammen. Ich hatte zwar damit gerechnet. Doch ich hatte natürlich keinen Hinweis darauf bekommen, wann es soweit sein würde. Wie ein Stromstoß fuhr mir die Attacke in sämtliche Winkel meines Bewusstseins. Das Stöhnen, mit dem ich reagierte, war eher dem Schreck geschuldet als echtem Schmerz. Der Beherrscher des Floggers fing langsam an, sehr dosiert. Und steigerte dann gezielt die Intensität.
Es war ein Gefühl, das ich noch immer schwer in Worte fassen kann. Ja, es tat weh. Aber nicht so sehr, wie ich erwartet hatte. Die Lust machte anscheinend irgendwas mit meinem Schmerzempfinden. Einen Treffer, den ich unter normalen Umständen wahrscheinlich als ziemlich unangenehm empfunden hätte, verwandelte er in eine Art scharfe Ermahnung für meine Sinne: Sie sollten bei der Sache sein! Sich auf nichts anderes konzentrieren als auf das unfassbare Gefühl, gepeitscht zu werden. Und sie gehorchten. Mit einem Genuss, den ich nicht erwartet hatte. Das war das Verblüffendste.
Nein, es war nicht der Schmerz, der mich über die Kante trieb. Es war die lustvolle Verdorbenheit der Situation. Der unvorhersehbare Wechsel zwischen zischendem Schlag und lautloser Liebkosung. Und der Rausch unbekannter Empfindungen. In dieser Nacht lernte ich, wie scharf sich weiche Lederriemen auf nackter Haut anfühlen können. Und dass nicht jede Strafe auch wirklich eine ist.
Oh ja, dies war zweifellos eine neue Facette der Gier! Wie die erste Flaschenpost es versprochen hatte. Ihr Autor schrieb mir eine samtschwarze Geschichte voll lüsterner Abgründe auf die Haut. Sorgfältig und gekonnt. Buchstabe für Buchstabe. Ich las jeden einzelnen davon. Und war sicher, dass ich keinen vergessen würde.
Es wurde eine lange Erzählung, in die ich mit allen Sinnen eintauchen konnte. Entsprechend schwierig war es, nach dem Happy End wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden. Ich spürte, wie der Rausch langsam verebbte. Doch meine Sinne schienen noch nicht ganz wieder auf die Realität gepolt zu sein. Der Wind murmelte erotische Lyrik. Die Wellen spendeten rauschenden Beifall. Und die Felsen um mich herum weigerten sich, wieder ihre nüchternen Konturen anzunehmen.
Als sie endlich wieder fest und greifbar dort standen, wo sie hingehörten, streckte ich mich ein bisschen. Das ging problemlos. Denn die Fesseln an meinen Handgelenken waren verschwunden. Wer hatte mich losgebunden? Wann? Ich blinzelte und griff nach meinem Mantel, hüllte mich fröstelnd hinein. Warum hatte ich bis jetzt nicht gefroren? In solchen Momenten war es tatsächlich leicht, an alte Mythen zu glauben. Wer konnte wissen, was sich hier in den letzten Stunden wirklich abgespielt hatte? Ob die alten Legenden dieser Insel nicht doch lebendiger waren, als sie es eigentlich sein dürften? Konnte man tatsächlich so tief in eine Geschichte eintauchen, dass man ein Teil davon wurde? Die Leserin in mir hätte das zu gern geglaubt. Doch die Realistin, die im gleichen Kopf nebenan wohnte, zeigte ihr bereits einen Vogel.
Ich hielt meine kalten Hände über die Glut des Feuers und blinzelte den Strand entlang. Menschenleer. Meine Gefährten der Nacht schienen sich in Gischt aufgelöst zu haben. Jedenfalls waren sie nirgends zu sehen. Warum hatte ich nicht gemerkt, als sie fortgegangen waren? War ich kurz eingeschlafen? Ohnmächtig gewesen? Alle anderen Erklärungen waren noch abstruser. Geträumt hatte ich das Ganze jedenfalls nicht. Das brennende Pochen auf meinem Hintern ließ keinen Zweifel daran. Genauso wenig wie die Flasche, die zu meinen Füßen lag.
Als ich sie in die Hand nahm, schien sie leicht zu pulsieren. In einem Rhythmus, der so alt war wie das Meer. Fast fühlte sie sich ein bisschen lebendig an. Als habe sie mir etwas zu sagen. Was zweifellos der Fall war. Das Glas schimmerte in der mondhellen Nacht. Schlieren aus Grün und lau, Violett und Rosa schienen sich darin zu vermischen. Wie im Inneren einer Muschel. Wie Perlmutt.
Oder wie bei einem sagenhaften Wellenreiter, dem die Erregung die Maske vom Gesicht gezogen hatte. Genau so sollten die Augen des Raukars doch aussehen, wenn man der Beschreibung des alten Pettersen glauben durfte. Der Regisseur meines nächtlichen Abenteuers hatte wirklich an alle Details gedacht!
Trotz meiner Erschöpfung legte ich den Weg zur Pension beinahe tänzelnd zurück, mein neustes Meeresgeschenk an mich gepresst. Wie würde seine Botschaft diesmal lauten? Ich würde mir diese wunderbare Spannung bis morgen erhalten! Zurück im Krähennest stellte ich die Flasche auf meinen Nachttisch und zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor ich die Augen schloss. Bevor ich lächelnd dem immer noch wahrnehmbaren Brennen auf meinem Hintern nachspürte. Und ein Flogger in Form eines Tintenfischs durch meine Träume sirrte.
... Fortsetzung folgt …
© Kea Ritter, Mai 2021
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