„Irgendwie tue ich mir hier gerade ein bisserl schwer.
Es ist auch einfach einer der Grenzfälle, wo es nicht so ganz einfach ist, das zu beurteilen. Vor allem, weil wir halt auch nur recht dünne Infos haben und niemand dabei war.
„Was für mich (aus meiner persönlichen Praxis heraus) irgendwie nicht so klar abgrenzbar ist ist, wer denn die Verantwortung wofür trägt. (Und nein, ich meine nicht "Schuld").
Ich bleibe da bei meiner Aussage: wenn ich etwas mit einem Menschen mache, von dem ich nicht weiß, wie derjenige reagiert, und nicht weiß, wie jemand darauf reagiert, wenn es vielleicht nicht ok ist, bin ich immer in der Verantwortung, dafür zu sorgen, niemanden versehentlich meinen Willen aufzudrängen.
Auch ich würde hier nicht mit dem Finger zeigen udn irgendwelche Schuld zuweisen, wenn das nicht klappt, ich bin da bei dir - klären könne wir hier ohnehin allenfalls die Verantwortung, keinesfalls irgendeine Schuld.
„ Jetzt bin ich halt schon der Meinung, dass sich ein Mensch (ganz besonders einer, der sich auf Sex mit Fremden einlässt) sich für sich im Vorfeld überlegen muss, mit welcher Art von Kommunikation und Grenzziehung er oder sie denn gut zurecht kommt.
AUch da bin ich absolut bei dir. Wenn manj im Vorfeld schon nicht über die Details spricht, was man ok findet und was nicht, dann wenigstens darüber, wie man das im Enrstfall dann kommuniziert haben möchte. Das kann niemand erraten.
Aber nach allem was wir wissen, ist das hier nicht passiert. also stellt sich jetzt die frage: wenn da im vorfeld keinerlei kommunikation stattgefunden hat - und ich als handelnder part daher keine Infos darüber habe - befreit mich das von der Verantwortung ein stück weit, weil ja mein gegneüber seiner "Kommunikationsverpflichtung" hier auch nicht anchgekommen ist? Oder hab ich jetzt erst recht die Verantwortung dafür, extra umsichtig zu sein, wenn ich mich entschließe, mich trotzdem auf die Person einzulassen?
Für viele vermutlich eine rein theoretische Überlegung - zumindest für mich käme es ohne im Vorfeld zumindest mal über irgendwas geredet zu habemn, gar nicht erst zum sex - aber halt für den vorliegenden Fall so nötig.
„Verantwortung tragen aus meiner Sicht dennoch immer beide. Wenn jemand also vor neuen Begegnungen sehr unsicher ist, Grenzen hat, deren Überschreitung recht schnell sehr dramatisch empfunden werden kann etc. sehe ich es halt schon in der Verantwortung dieser Person, darauf so gut wie möglich und so früh wie möglich hinzuweisen.
Und ich glaube das ist der Punkt, an dem wir beide leicht unterschiedliche Meinungen haben. Ich bin hier der Meinung, dass das zwar wünschenswert ist - aber wenn das, aus welchen Gründen auch immer, eben nicht stattfindet, ein "nicht gefragt heißt auch nein" gelten muss. Zumal auch die Frage ist - mit welchen DIngen muss man rechnen, mit wlechen nicht? Ich käme nie auf die Idee, jemanden darauf hinzuweisen, dass ich nicht möchte, wenn man mich mit einem nassen handtuch ins gesicht schlägt - weil ich nicht damit rechnen würde, dass das jemand vor hat.
Und wer beurteilt, ob die reaktion auf eine Grenzüberschreitung "dramatisch" oder "normal" ist?
„Die Kombination "ich habe zwar bestimmte Grenzen, deren Überschreitung für mich sehr folgenschwer ist" und "ich sage nix und vertraue darauf, dass das Gegenüber das schon irgendwie mitkriegen wird" ist in meiner Erfahrung keine gute.
Stimmt. Die Praxis sieht so aus, und darum stimme ich dir im Prinzip schon zu: davor schützt es nur, selber aktiv zu werden. Ich finde eben nur, diese Praxis sollte sich ändern.
„für mich ist zum Beispiel sonnenklar, dass ein Massieren des Afters heißen soll: Ich will hinein, signalisiere mir, ob ich darf.
Wäre für mich auch so. Aber wir sind halt beide auch daran gewöhnt, so zu kommunizieren, und sind es gewohnt, das Analsex etwas irgendwie normales ist und rechnen damit, dass das jemand wollen könnte. Das sind relativ viele Vorannahmen.
„Damit will ich das Gegenüber in diesem Beispiel nicht der Verantwortung entheben sich eines Konsenses zu versichern. Aber ich will dieser (zurecht eingeforderten Verantwortung) auch noch die Verantwortung der TE zur Seite stellen, die diese aus meiner Sicht auch hatte.
Natürlich. Die TE hätte im Vorfeld hier erstmal klären sollen,. was alles passieren soll und kann und wie. Genauso wie ihr Partner, und ihr Sexpartner. In dem Punkt haben sich alle drei nicht so verhalten, wie ich das wünschenswert fände.
Aber das entbindet eben im Nachgang dann niemanden davon, anschließend trotz unterbliebener Kommunikation im Vorfeld eindeutig für Konsens zu sorgen, BEVOR man handelt.
„Wer mich aus dem Forum kennt, weiß, dass ich hier meist eine feministische Sicht vertrete. Das tue ich aber nicht, weil ich generell immer Frauen rechtgebe, sondern, weil ich die feministische Sicht in vielen Fragen für die moralisch bessere halte.
Ich glaube nicht, dass das in dem Fall irgendwie vom Gender abhängt. Wäre die TE männnlich und ihr Gegenüber eine Frau, würde das nichts ändern - und hätte genauso passieren können.
„Ich verstehe den Ansatz des Arguments: Früher hieß es "Nein heißt nein!" [...] Das ganze wurde in den letzten Jahren verändert/erweitert zu "Nur ein ja heißt ja!" und gemeint ist, dass eine sexuelle Handlung, die ohne ein ausdrückliches Ja abläuft, übergriffig ist.
Und ich empfinde das auch so. Bin ich mir unsicher, ob etwas okk ist, mache ich es nicht. Im übrigen auch bei nicht-sexuellen Handlungen. Ich borge mir keine Dinge von anderen Menschen ohne explizit zu fragen - auch, wenn ich weiß, dass sie normalerweise sowieso immer "ja" sagen. Ich helfe einem Rollstuhlfahrer nicht ungefragt irgendwo rauf oder runter, weil er das als unangenehm empfinden könnte - egal, ob derjenige super hilfsbedürftig aussieht. Und ich stecke halt auch keine Finger in fremde Hintern ohne zu fragen - egal ob mein Gegenüber so wirkt, als fände es das vielleicht geil.
„Flirten und Sex läuft in den meisten Fällen nicht über direkte Kommunikation sondern nonverbal ab. Wenn wir die "Nur ein ja heißt ja!"-Sicht vertreten, werden alle aktiven Parts einer solchen nonverbalen Flirt/Sex-Geschichte zu übergriffigen Tätern, egal ob Mann oder aktive/dominante Frau. Das halte ich moralisch für verkehrt.
Aber genau das ist der Punkt: ich muss nicht beim Sex die ganze zeit Quasseln, wenn ich mich vorher auf einen Rahmen einige. Es ist doch kein Problem, mal kurz vorher zu fragen "hey, sag mal, ist es für dich ok, wenn ich während dem sex einfach mal Dinge mache, und du mir dann signalisierst, ob das ok ist? Oder willst du gerne alles durchsprechen? oder ist es dir lieber, wenn ich frage?"
Das frag ich vorher einmal, bekomme eine Antwort - und danach weiß ich genau, welches Verhalten von mir erwartet wird. Und kann bei der gleichen Gelegenheit auch gleich sagen, wie ich das andersrum gerne hätte.
Eine Minuten reden, und zwei glückliche Menschen.
Aber ja, es gibt Situationen, wo das schwerer ist. Das bestreite ich nicht. Dein "Flirten in der Disko und dabei anfassen" gehört dazu. Da ist eine klare, verbale Kommunikation schwierig. Aber das sind echt sehr, sehr wenig Fälle. Schon wenn man nebeneinander sitzt und ich irgendwie mein Gegenüber umarmen möchte, kann ich nonverbal den Arm "annähern" aber trotzdem kurz "ist ok, ja?" fragen, bevor ich das mache. Ich selbst empfinde das bei meinem Gegenüber so auch als höflich, nicht als übertrieben.
Schwierig wird es, wenn man dann eben sieht, das manche Leute NICHT gefragt werden WOLLEN - und es als unangenehm empfinden, gefragt zu werden. Da kann man dann etweder nicht fragen und machen und riskiert, übergriffig zu sein - oder fragen und riskieren, dass das dem Gegenüber unangenehm ist oder als nervig empfunden wird. Und erst an diesem Punkt wird es unmöglich, es jedem Recht zu machen. Man kann da oft am Verhalten des Gegenübers ablesen, was wohl besser ist (zum Beispiel daran, wie das umgekehrt gehandhabt wird), aber natürlich kann man da irren.
Meine Meinung dazu ist - gefragt zu werden und das als nervig zu empfinden ist im Zweifelsfall weniger "daneben" als angefasst zu werden. Also frage ich. Wird mir dann signalisiert, dass ich wegen sowas nicht fragen soll/muss, ist die Kommunikation auch passiert und es ist wieder alles erstmal geklärt.
„Wenn aber ein Paar im Club nonverbal flirtet und sich schon vorsichtig am Arm berührt, näher kommt, Hüfte, Nase an Hals usw., dann ist es eben keine Belästigung mehr, wenn eine(r) von beiden die/den anderen auch am Po berührt, auch wenn das vorher nicht extra erfragt wurde.
Ich behaupte: doch, für manche Menschen durchaus. Wenn "Paar" hier "fremde Menschen, die Kontakt anbahnen" meint, dann mag ich persönlich das zum Beispiel nicht, wenn das jemand tut - auch, wenn ich es nicht als extrem schlimm empfinde. Ich würde dann eifnach was sagen udn gut ist. Aber es gibt da Menschen, die da empfindlicher sind.
„Und daher auch im gegebenen Fall hier: Die TE war länger in einer sexuellen Berührungs-Situation, die deutlich in diese Richtung ging und hatte genug Zeit, verbal oder nonverbal eine Grenze zu ziehen.
Da setzt du voraus, dass sie wusste, dass er vor hatte, einen Finger einzuführen. Ich weiß nicht, ob man das allgemein annehmen könnte.
Vor allem aber: sie schrieb, hätte er es langsdam und vorischtig getan, hätte sie eventuell gar nichts dagegen gehabt. Sorry, aber damit, dass jemand plötzlich, aprupt einen Finger irgendwo rein schiebt, behaupte ich, muss man nicht rechnen.
„Aber generell möchte ich beim Sex nicht die Pflicht haben, alles verbal vorzuplanen, um nicht Gefahr zu laufen, bei jeder Aktivität eine Grenzüberschreitung begangen zu haben.
Und ich verstehe das. Aber ob man eine Grenzüberschreitunb begeht oder nicht, ist keine Definitionssache. Es ist eine emotionale Sache bei der Person, um deren Grenzen es geht. Man kann die nicht durch Veränderung der Erwartungen einfach "wegdefinieren". Eine Grenzüberschreitunb begehst du, sobald sie jemadn so empfindet.
Das einzige, was man festlegen könnte, ist, in wessen Verantwortung es liegt, solche Grenzüberschreitungen zu verhindern - und in wie fern man sie eventuell als "passiert halt versehentlich manchmal" hinnehmen kann.
Meine Meinung ist, wie bereits gesagt, hier sehr einfach: da Fragen eine Option ist, die fast (siehe oben) immer zur Verfügung steht, und sehr zuverlässig funktoniert, ist jeder Verpflichtet, diese Option zu nutzen, wenn man das nicht bereits im Vorfeld geklärt hat.