Vielen Dank an alle für die zumeist konstruktiven Beiträge! Ich habe hier eine Menge gelernt, hauptsächlich im Guten.
„Ob es am Alter liegt? Oder weil ich mich nicht für viele der Social Medias interessiere? Auf jeden Fall müsste ich wahrscheinlich wieder viel googeln um den oberen Beitrag zu verstehen.
Das ist keine Schande.
Tinder ist so sehr auf das Smartphone ausgelegt, dass es fast nur in der entsprechenden Generation verbreitet ist. Der geringste Anteil der Nutzer ist über 40.
Ich werde es mal kurz zusammenfassen, mit so wenigen Social-Media-Begriffen wie möglich.
• bei Tinder bekommt man hauptsächlich Fotos angezeigt, ggf. mit kurzen Profiltexten. Die Informationsmenge ist winzig im Vergleich zu hier.
• man benutzt eine einfache Daumengeste, den "Swipe", um Interesse oder Desinteresse zu bekunden. Swipe nach rechts = mag man, Swipe nach links = mag man nicht.
• Haben zwei Leute ihr gegenseitiges Interesse bekundet, gibt es ein "Match", sprich, man kann miteinander schreiben.
Oder anders gesagt: ein sehr simplistischer Weg, Leute kennenzulernen. Dadurch aber auch sehr populär, da es sich wie ein Spiel auf dem Handy daddeln lässt. (Nach dem Motto "Mir ist langweilig, also swipe ich mal ein bisschen durch die Bilder"). Ein Forum, aktive Moderation o.Ä. hat Tinder nicht.
Was daraus entstanden ist, ist auf morbide Weise interessant. Und, ja, die Erfahrungen haben mir Männer und Frauen in meinem Freundeskreis vielfach bestätigt. Außerdem ist das leicht zu testen, besonders für Programmierer: es gibt einige Artikel darüber, wie vorhersehbar sich das System mit gezielt ausgewählten Bildern verhält.
• als Frau muss man nicht viel tun, außer ein halbwegs freundliches Bild einzustellen, um bombardiert zu werden. Entsprechend müssen wenig bis gar nicht swipen, um ein Match zu bekommen.
• als Mann kommt es stark auf die Attraktivität an. Die oberen rund 20% finden schnell jemanden, die unteren 80% fast gar nicht.
Was ja in gewisser Weise auch einleuchtet. Wenn die Plattform darauf ausgelegt ist, sich nur auf das Bild zu beziehen, und die Auswahl so groß ist, kann man sich als Frau leisten, wählerisch zu sein. Kein vernünftiger Mensch würde daraus einen Vorwurf machen.
Die Konsequenz? Viele Männer swipen auf Teufel komm raus alles nach rechts, nur um überhaupt jemanden zu finden. Als Ergebnis gehen die Männer, die das nicht tun, erst recht unter, und werden dazu motiviert, das Verhalten zu imitieren. Das hat sich schon längst hochgeschaukelt, und als Ergebnis verlieren alle.
Wo kommt jetzt die Softwareseite ins Spiel? Dadurch, dass Tinder nicht einmal daran denkt, das Problem zu lösen. Stattdessen schlägt es Kapital daraus, indem es ständig Werbung für "Boosts" macht, durch die man der anderen Seite öfter angezeigt wird. Natürlich kostet jeder Boost Geld, und das nicht zu knapp - 12 Stunden für 100 Euro. Trotzdem machen es viele Leute. Von außen betrachtet ist es wie bei einem Einarmigen Banditen: je mehr Geld man einwirft, desto größer die Chance auf einen "Gewinn". Viele reguläre Handyspiele benutzen solche Taktiken auch, nur dass man dort nur Spielfiguren u.Ä. "gewinnen" kann.
Und, ja, diese ganze Welt der Handyspiele nimmt schnell Züge eines Glücksspieles an. Mit allen negativen Konsequenzen (Suchtfaktor, Armut etc.), aber ohne die Regularien eines Casinos. Die Industrie hat gemerkt, dass sich damit wunderbar Kapital schlagen lässt, vgl. u.a.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lootbox ).
Nach einer Weile mit Tinder waren die Muster schon sehr deutlich zu erkennen. Entsprechend ist es sehr erfrischend, dass die Macher hier deutlich weniger profitorientiert sind, und nicht versuchen, gezielt zu "melken", wie sonst oft üblich.