Vinland
Für diejenigen die Hallebynge mochten, kommt hier eine Geschichte, die im Stil an die nordischen Sagas angelehnt ist. Es ist übrigens vom Verständnis her vorteilhaft, Hallebynge zu kennen. Vinland stammt aus Homepage "Das zweite Buch - Eros Episoden" von Ana_Tom_Lieven.
Teil 1
Es war die Zeit, als die Geschorenen ins Land kamen und von einem Gott berichteten, der umgebracht wurde. Die meisten lachten über einen derartigen Unfug und schenkten dem keinen Glauben. Die Christen, so nannten sie sich, waren nicht wehrhaft und konnten kaum kämpfen. Es war ein Leichtes, sie zu fangen und zu versklaven. Wie sollte ihnen ihr Gott helfen, wenn er nicht einmal sich selbst zu schützen vermochte? Es stellte sich bald heraus, dass sie zur Arbeit wenig taugten. Da half alles Prügeln nichts. Viele überstanden die Winter nicht, sodass man dazu überging, sie gleich zu erschlagen, sobald sie auftauchten, denn es war kaum Nutzen darin, sie durchzufüttern. Man durfte sie nicht frei herumlaufen lassen, weil sie andere belästigten und auf Land, das ihnen nicht gehörte, Kirchen errichteten. Und obwohl sich das bei den Mönchen herumsprach, waren sie nicht gelehrig, und es erschienen immer neue. Vielen kam das wunderlich vor, denn worin bestand der Sinn, sich in den Norden zu begeben, nur um dort einen unehrenhaften Tod zu finden? Und trotz dieses närrischen Verhaltens kamen ständig Weitere.
Als Halli Sigmundsson eines frühen Morgens, um Holz zu hacken, zum Schuppen lief, kam ein Geschorener auf den Hof. Seine Kutte sah abgerissen aus, und Wunden im Gesicht und an den Armen, die verschorft waren, zeigten Spuren von einem Kampf. Lediglich einen Beutel und einen langen Stock hatte er dabei. Er wunderte sich. Üblicherweise überlebten Mönche keine Begegnung mit anständigen Menschen. Das weckte die Neugier in ihm, und er beschloss, sich seine Geschichte anzuhören, falls er in der Lage war, verständlich zu sprechen. Denn das war eine Schwierigkeit mit ihnen. Sie kamen in den Norden, ohne die Sprache gelernt zu haben. Die meisten radebrechten eher, als dass Vernünftiges herauskam. Möglicherweise war dieser hier anders. Und wenn nicht, konnte er ihn immer noch später töten.
»Hallo guter Mann, könnt ihr mir Quartier geben? Ich bin unterwegs überfallen worden, und man hat mir alles, bis auf das, was ich am Leibe trage, weggenommen.«
Halli war überrascht. Hier kam der erste Geschorene, der fließend die Sprache des Nordens beherrschte. Selbst das Þ und ð konnte er wie ein normaler Mensch aussprechen.
»Wer will das wissen?«, fragte er, seine Axt in der Hand wiegend.
Der Mann hielt Abstand und antwortete: »Ich bin Antonius zu Wichern und für meinen Bischof in den Nordlanden unterwegs, um den Heiden die frohe Kunde der Christenheit zu bringen.«
»Alleine?«
»Nein, wir waren zu dritt, aber meine beiden Mitbrüder, Gott hab sie selig, wurden während des Raufhandels getötet. Nur ich konnte entkommen.«
»Das kann ich kaum glauben, denn ich sehe keine Waffe an dir. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das Beten, das ihr so gerne habt, dir geholfen hat.«
»Im Gebet ist große Macht, und der feste Glaube an den Herrn vermag in der Not seinen Dienern die nötigen Kräfte verleihen, sein Werk zu vollführen.«
»Du scheinst mir harmlos zu sein, und ich habe keine Fehde mit dir. Sei mein Gast und erzähle mir mehr von deiner Reise, denn obwohl du unscheinbar daherkommst, scheint in dir mehr zu stecken.« Halli steckte die Axt in eine Schlaufe am Gürtel, sodass sie an seinem rechten Oberschenkel herunterhing, und lud den Fremden mit einer Geste ein, das Tor zu passieren und vorzugehen ins Haupthaus.
In dem Moment erschienen drei Berittene, hielten vor dem Hof an und sprangen herunter.
»Gib uns den Geschorenen«, rief einer von ihnen. Sein Silberschmuck war wertvoll, und das Zaumzeug seines Pferdes war durchwirkt mit Metallfäden. Die anderen beiden Reiter hatten keinen derartigen Schmuck.
»Er genießt mein Gastrecht, Torkil Einarsson.«
»Er ist ein Christ, und damit steht ihm das Gastrecht nicht zu. Und er hat zwei meiner Männer getötet«, gab Torkil zurück.
»Das ist eine eigenwillige Auslegung des Gesetzes, die ich mir nicht zu eigen mache. Daher bleibt es dabei. Und was den Totschlag angeht, so haben sie es verdient, schließlich waren sie bewaffnet und er nicht. Aber anscheinend hat er sich ja so gut geschlagen, dass er entkommen konnte. Dergleichen macht mich neugierig, obwohl allenthalben bekannt ist, dass du und deine Männer sich vor allem durch Reden und weniger durch Taten hervortun.«
»Dafür wirst du auf der Stelle Rechenschaft leisten, Halli Sigmundsson. Wir werden ihn uns holen. Wir sind drei und du bist alleine. Was willst du also tun?«
In den Häusern des Hofes regte sich nichts.
»Ich werde das tun, was jeder andere anständige Mann auch tun würde. Dich töten, denn die Verletzung des Gastrechts ist unverzeihlich.«
»Du hast es so gewollt. Vorwärts.«
Torkil und die beiden anderen hatten ihre Äxte gezogen und kamen mit etwas Abstand zueinander auf Halli zu. Der Priester stand neben ihm und wich nicht von seiner Seite.
»Lauf zum Hof und hol Hilfe«, sagte er leise zu ihm, aber der Mann rührte sich nicht. »Hast du nicht verstanden? Lauf und hol Hilfe, hier kannst du wenig ausrichten!«
Doch der Mönch stand nur da, als ob er nichts gehört habe. Der Eindringling war mittlerweile nahe genug für einen Streich, und seine Begleiter neben ihm kamen von beiden Seiten, sodass Halli und Antonius in die Zange genommen wurden. Der rechte Angreifer holte mit seiner Axt blitzschnell aus und führte einen Angriff gegen den Geschorenen, während Torkil und der andere nach Halli schlugen. Der parierte die Hiebe mit einer fließenden Bewegung, an deren Ende er den Schwertarm des linken Manns traf. Die Manschetten, die der trug, ließen aber diesen Streich wirkungslos abprallen.
Noch bevor der rechte Angreifer seinen Schlag landen konnte, hatte Antonius ihn mit einer Wendigkeit, der der Blick nicht imstande war zu folgen, entwaffnet. Die Axt flog in hohem Bogen über vierzig Ellen weit weg und war so außerhalb der Reichweite des Nordmannes. Der zog einen Dolch aus seinem Gürtel, wurde aber von dem Stab des Mönchs ins linke Auge getroffen und ging schreiend zu Boden. Ein schnell ausgeführter Hieb auf den Kopf des Liegenden brachte ihn zum Schweigen. Ohne nur einen Augenblick innezuhalten, wirbelte Antonius den Stecken und versetzte Torkil einen so kraftvollen Stoß, dass nur dessen Helm verhinderte, dass sein Schädel barst. Er schwankte und versuchte, sich wieder aufzuraffen, aber da traf ihn der nächste Schlag in die Kniekehlen, und er brach zusammen.
Halli bedrängte den dritten Mann hart, und ein Treffer, diesmal am Bein, zeigte Wirkung. Bevor er ihm weiter zusetzen konnte, rannte der Angreifer weg, schnappte sich sein Pferd und ritt davon.
Torkil war nicht in der Lage aufzustehen. Der Mönch hatte ihn fest im Griff, indem er mit dem Stab seinen Hals am Boden hielt.
»Nun, wie soll ich mit dir verfahren?«, fragte Halli. »Ich denke, ich werde dich töten, denn das ist es, was man mit Gesindel wie deinesgleichen tun muss.«
Der Gefangene blieb stumm.