Das Gartenmädchen
Ich hatte einmal ein Mädchen, wir liebten uns sehr. Sie meinte, dass es die schönste Liebe ihres Lebens sei. Auch ich empfand niemals so stark und warm für eine Frau. Wir waren glücklich und legten einen großen Garten an, in dem wir Ruhe fanden und je länger er gedieh, desto inniger wurde es zwischen uns. Sie wurde mein Gartenmädchen. Sie brachte Blumen zum Blühen, allein schon, wenn sie barfüßig zwischen verwildernden Arealen umherlief. Selbst für die Brennesseln hatte sie ein Herz. Der Garten war unser Kraftort, wir liebten ihn und wir liebten uns. Es entschleunigte uns, war sinnlich und wir berührten uns sehr tief. Wir tranken Kaffee in ihm, wir aßen Sandwiches, beobachteten viele Tiere, die unser Garten anlockte. Manchmal lagen wir auf einer Decke zwischen Wildblumen und streichelten uns sanft, sahen uns an und schwiegen.Dann kam ein Raumfahrer in unser Dorf und sie fragte, wie ich es fände, wenn er sie auf eine Reise in den Weltraum mitnehmen würde. Ich spürte, dass es sie sehr reizte. Schon immer war sie an Neuem interessiert. Unser gemeinsamer Garten war zwar ihr Ort und sollte es auch immer bleiben, doch sie versicherte, dass die Erweiterung ihres Horizontes einem natürlichen Bedürfnis entsprach und dass es gut für uns beide wäre. Ich stimmte zu und erlebte sie nach der Rückkehr von dieser ersten Reise ins All strahlend wie nie zuvor. Sie berichtete von der Geschwindigkeit, vom Durchfliegen der Troposphäre und der Stratosphäre und vom Nachlassen der Erdanziehungskraft bis hin zur Schwerelosigkeit im freien Raum, die sie von allem irdischen Ballast zu befreien schien. Es beeindruckte sie sehr.
Wir lebten derweil unsere Liebe, ließen den Garten erblühen, genossen die Ruhe und entzündeten ein fürs andere Mal Feuer aus Lust, wir wuchsen noch mehr zusammen, sprachen von der Zukunft, machten Pläne. Die Gelegenheiten, diesen und irgendwann auch andere Raumfahrer auf ihren Flügen zu begleiten, aber hielten an. Sie nahm das Socializen mit ihnen und ihren wechselnden Begleiterinnen auf, fand weitere Mitreisegelegenheiten. Es erfüllte sie sehr. Als sie für einige Tage das Wässern des Gartens vergaß, einiges bereits verdorrt war, stritten wir. Wie konnte das geschehen, er war doch unsere Liebe? Sie erkannte, dass das Raumfahren ihr aus den Händen zu gleiten drohte und sie schlug vor, sich nur noch mir und unserem Garten zuzuwenden. Ich aber brachte sie davon ab, auf ihre Reisen zu verzichten, auch wenn sie mir die Möglichkeit gab, es ihr zu verbieten. Ich brachte es nicht über das Herz. Vielleicht hatte sie auch gehofft, dass ich es tue. Sie ahnte wohl, dass aus dieser Leidenschaft etwas anderes erwachsen könnte. Mehr und mehr spürte sie nach ihren Rückkehren, dass die Aufenthalte im Space schmerzhafte Spuren an ihrem Körper hinterließen und dass die Sehnsucht trotzdem Mal für Mal stärker wurde, sie das Warten auf eine weitere Expedition kaum noch ertrug. Der Garten brachte sie nicht mehr zur Ruhe.
Wir liebten uns schon noch, ich zumindest tat das und sie gestand mir diese Liebe in wunderschönen Worten und auch wenn sie sich mir hingab. Dann kam aber der Tag, an dem sie mir vorschlug, für einige Wochen oder Monate, sie wusste es nicht genau, auf unser gemeinsames Gartenleben zu verzichten. Sie nannte nicht den Grund dafür, doch ich ahnte ihn. Mir war schlagartig klar, dass ich sie verloren hatte. Ich schalt mich selbst einen Cretin, den größten, den alle Gartenreiche der Welt jemals hervorgebracht hatten, für meine Dummheit. Sie war ein Raumfahrermädchen geworden. Sie lächelte dabei, ich sah den Stolz in ihren Augen und ich ging los und brandschatzte, verwüstete den Garten, packte all meine Sachen zusammen und zog in die Stadt in das Haus mit den dicksten Mauern. Als ich die Fotos von ihr nach verschiedenen Unternehmungen mit Raumfahrern in den Zeitungen sah, bestellte ich diese einfach ab. Ich ertrug es nicht.
Hin und wieder führt es mich aber zu den Resten unseres Gartens zurück. Ich bin halt ein Gartenmann, ich kann nicht anders. Ihn zu zerstören tat mir selbst unglaublich weh. Im Frühjahr beobachtete ich, dass durch die Asche zartes Grün empor wuchs. Tage später hatte sich bereits ein deckender Pflanzenteppich gebildet. Ich stellte das Wasser an und wässerte. Dort, wo sich mein Gartenmädchen manchmal auf eine Decke gelegt hatte und ein Buch las, bis ich auch dazu kam und sie vielleicht frech ihre Brüste entblößte, da riecht es schon wieder nach Minze. Ich hoffe, dass auch die Margeriten und wilden Möhren wieder kommen. Ich gebe den Garten nicht auf, bin selbst verwurzelt, ich bin ein Gartenmann, der hin und wieder sehnsuchtsvoll in den Himmel schaut.
m.brody
2021