Ich bin übrigens davon überzeugt, dass es grundsätzlich möglich ist, für mehrere Menschen gleichzeitig Gefühle von Liebe zu empfinden. Ich denke auch nicht, dass das eine spezielle Neigung ist, sondern dass das wahrscheinlich jedem "passieren" könnte.
Was mich viel eher beschäftigt ist die Frage, wie man mit mehreren Menschen gleichzeitig tiefgehende, verbindliche Liebesbeziehungen führen kann.
Hier wurde ja schon oft darauf hingewiesen, dass Liebe kein zu verteilendes, endliches Gut sei und es in polyamoren Beziehungskonstrukten nicht darum ginge, dass man Zeit und Aufmerksamkeit der Partner "einfordert" oder "erwartet", was eher dem monoamoren Besitzdenken zugeschrieben wird. Es wurde betont, dass es darum gehe, was die Partner
freiwillig zu geben bereit seien, ohne Drängen und Druck.
Daraus folgere ich für mich ein paar Dinge, da ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass eine innige Liebesbeziehung viel Zeit und Aufmerksamkeit füreinander voraussetzt.
Zum einen denke ich, dass Liebe nicht nur Lippenbekenntnisse erfordert, sondern vor allem Taten. Und diese Taten kosten Zeit. So ist Liebe vielleicht kein zu verteilendes, endliches Gut, aber Zeit und Aufmerksamkeit sind es definitiv. Natürlich kann Liebe auch ohne Taten wirken (in einem selbst), aber eine richtige Liebes-
Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen und zu pflegen, kostet Zeit, Aufmerksamkeit und Energie.
In meiner monoamoren Beziehung "investiere" ich diese "Güter" vollkommen freiwillig in meinen Partner. Er übt keinen Druck auf mich aus und bedrängt mich auch nicht, ich tue dies aus mir heraus, weil ich es so will. Daher finde ich das Argument mit der Freiwilligkeit etwas unglücklich, denn in monoamoren Beziehungen wird man normalerweise ja auch nicht dazu gezwungen, man tut es im Gegenteil sehr gerne. Wenn man dies eigentlich gar nicht will, dann kann sich eine monoamore Beziehung, in der alles auf einen Menschen konzentriert ist, natürlich wie Zwang anfühlen.
In einer tiefgehenden, innigen Liebesbeziehung (die bei weitem auch nicht jedes monoamore Paar führt, nur weil es mono ist) ist man emotional sehr stark involviert, das wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Es geht ja darum, sich voll und ganz auf einen Menschen einzulassen, nicht mit angezogener Handbremse und Seil und doppeltem Boden, sondern mit Haut und Haaren und ohne Garantie oder Absicherung. Ich frage mich, wie viel emotionale Kapazitäten da noch für eine (oder mehrere) weitere Liebesbeziehung(-en) übrig bleiben.
Ich weiß wie gesagt, dass dies alles auch in monoamoren Beziehungen nicht selbstverständlich ist. Allerdings ist es dort grundsätzlich immer möglich, wohingegen ich es in polyamoren Konstrukten eher für schwierig bis unmöglich halte. Wobei mir bewusst ist, dass nicht jeder das überhaupt so haben möchte (oder auch kann) und ich selbstverständlich auch absolut kein Problem damit habe, wenn Menschen andere Prioritäten setzen als ich.