„„Man kann sagen, dass weniger zeit bleiben wird. Aber dass deswegen weniger Bindung zu einem anderen Partner resultieren würde, das setzt eben das besagte Konkurrenzverhältnis, die Idee des begrenzt großen Kuchens voraus.
Also du meinst, dass Menschen, die diese polyamore Neigung in sich tragen, einfach niemals Probleme mit solchen Dingen hätten (Zeit- oder Aufmerksamkeitsmangel auch über lange Zeiträume). Das klingt für mich einleuchtend.
Nein. Wie kann ich das wissen, ich kenne die doch gar nicht.
Ich meine, dass dies, wenn, nicht daran liegt, dass sie polyamor fühlen. Unter "polyamor" verstehe ich hier, dass man mehrere Menschen lieben (was auch immer das für den einzelnen bedeutet) kann und sich dazu auch bekennt, also das auch lebt, wenn es mehrere solcher Menschen für eine Person gibt.
Daraus (!) resultiert mitnichten ein Konkurrenzverhältnis zwischen Partnern.
Aber natürlich können die Beteiligten ein solches erschaffen, indem sie sich als Konkurrenten fühlen und zueinander verhalten.
So wie du vor ein paar Seiten selbst die emotionale Bindung, die für dich Liebe ausmacht, beschrieben hast, steht und fällt diese nicht – und sicher nicht automatisch – damit, dass jemand bedeutend weniger Zeit hat.
Und du sagst ja selbst: Wenn's die Eltern sind, verstehst du, dass dein Freund das "versteht", dass weniger Zeit und Aufmerksamkeit bleibt. Aber wenns ein geliebter Partner ist, da bist du skeptisch bezüglich der Akzeptanz. Über diese Unterscheidung habe ich geschrieben.
1) "ein Problem mit Zeit- oder Aufmerksamkeitsmangel auch über lange Zeiträume haben" (so wie dein Freund als du deine Eltern gepflegt hast)
ist etwas sehr anderes als
2) "Wenn meine Eltern bedürftig sind und ich mich deshalb umfassend um sie kümmere, geht das für meinen Partner in Ordnung (wegen des besonderen Verwandschaftsverhältnisses). Aber wenn ich mich um einen geliebten Menschen, zu dem ich ein erwachsenes freiwilliges Partnerschaftsverhältnis habe, kümmere, dann muss ich erst sein ,Verständnis', i.e. seine Genehmigung einholen"
Letzteres war, womit du eingestiegen bist und dazu hab ich ja schon viel geschrieben, u.a. dass ich darin
1) die Beanspruchung (und Akzeptanz) von Zugriffsrechten sehe, die
2) andere Partner als Konkurrenz auffasst.
(Hierhin gehört das Kleinkinder-Beispiel mit dem Eis.) Das Verhältnis ist ein negatives: Der Partner akzeptiert den weiteren Partner, weil er es
muss. Spätestens dann, wenn der zweite mehr von dem nimmt, was er eigentlich für sich beansprucht, ist er problematisch im Weg und es stellt sich die Frage nach der Akzeptanz neu.
Der Partner "in der Mitte" (der sich ggf. für Kümmern entscheiden will) in dem von dir konstruierten Beispiel tickt ganz genauso, wenn er sich von "Verständnis" alias moralischer Erlaubnis abhängig macht.
Dass dieses negative Verhältnis zueinander keine Selbstverständlichkeit ist, darum gehts mir.
Ich finde es grauenhaft und für mich konterkariert das mit einem Verhältnis, das sich Liebe nennt.
An dieser Stelle ein Lesetipp, für Interessierte jeder Neigung. Es geht um die unausgesprochenen und recht allgegenwärtigen Implikationen "normaler" Beziehungen:
https://solopoly.net/2012/11 … lationship-escalator-or-not/ (original) oder
http://mehrplatzfuerdieliebe … er-beziehungsrolltreppe.html (deutsche Übersetzung).
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Polyamor zu sein schließt weder ein noch aus, dass man "einfach niemals Probleme mit solchen Dingen hätten (Zeit- oder Aufmerksamkeitsmangel auch über lange Zeiträume)". Es schließt auch nicht aus, dass man eifersüchtig ist und das besagte negative Verhältnis pflegt.
Wieder mal eine Analogie: Deine Auffassung, wie du sie zuletzt geäußert hast, erscheint mir der Logik nach etwa so, wie wenn jemand ins BDSM Forum kommt und fragt
"Bedeutet Sadismus, gewaltsam rücksichtslos gegen die Bedürfnisse anderer vorzugehen?" und ihm dann erklärt wird, dass das nicht zwangsläufig so sein muss und mit BDSM nichts zu tun hat. Vielleicht auch, dass manche BDSMer mit Schmerzen gar nichts zu tun haben wollen. Andere schon.
Bedeutet das jetzt, dass es bei BDSM-geneigten Personen niemals vorkommt, dass die auch rücksichtslos gegen Konsens Gewalt ausüben? Nein. Man kann sagen, was sie tun, ist nicht mehr BDSM. Aber es folgt nicht "aha, wer BDSM mag, wird niemals Konsensbrecher und gewalttätig". Es folgt halt mitnichten aus der Neigung.