Weiter oben erzählte ich ja von den beiden Pädagogen des SPZ, an die ich mich wegen den Konflikten mit meinem Mann bezüglich der Erziehungsregeln wandte. Eine davon war eine Frau. Sie war auch deutlich "dominanter" in diesem Gespräch, als der männliche Pädagoge. Das mag eventuell auch daran gelegen haben, dass sie unser Kind sehr viel häufiger betreute (zwei bis dreimal die Woche), der Mann seltener (höchstens einmal die Woche, manchmal nur alle zwei Wochen).
Diese Frau schlug sich jedenfalls nicht auf meine Seite. Ganz im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, sie war dem Charme meines Mannes total erlegen, die zwei verstanden sich prächtig, hatten eine sehr zugewandte Gesprächsdynamik, fast wie Kumpels. Sie riss den männlichen Pädagogen im Grunde mit sich.
Mir ging es damals darum, dass unser Kind frisch in den Kindergarten gekommen war und dort sofort aufgefallen war, dass mit ihr was nicht stimmt. dass sie autistisch sein könnte, vermutete ich bereits, als sie etwa eineinhalb war, aber in der KiTa, im direkten Vergleich mit gleichaltrigen Kindern, fiel es erstmals echt krass auf. Meine Tochter wurde im SPZ also mit Heilpädagogik, Logopädie und Musiktherapie betreut, damit sie in der KiTa Anschluss fand, zusätzlich wurde eine auf Autismus spezialisierte Ärztin hinzugezogen, um eine fundierte Diagnose zu stellen.
Mein Kind braucht feste Regeln und eine sehr gut durchorganisierte Struktur. Wenn man da nicht hinterher ist, gewöhnt sie sich auf lange Zeit nicht selbstständig an Verhalten und fällt immer wieder in problematische Muster. Je weniger Disziplin, umso schwieriger ist der Alltag. Das wusste ich, das wusste aber auch mein Mann. Da er aber schon seit ich ihn kenne überall so seltsame Wettbewerbsgedanken hat und irgendwie überall besser sein musste, ignorierte er diese Struktur gerne, überließ mir die "blöden" und nervigen Dinge und pickte sich selbst nur die angenehmen raus. Überhäufte das Kind mit Geschenken und Süßigkeiten (bis heute ist es so verdammt schwer, sie zu einer ausgewogenen Ernährung zu bewegen), bog oder ignorierte Regeln, alles um der Lieblingselternteil zu sein. Es gab ihm ein gutes Gefühl, dass unsere Tochter (bis heute) ein absolutes Papa-Kind ist und wegen allem zu ihm rennt und ihn lieber mag. Dadurch hatte ich die ersten drei- bis dreieinhalb Jahre ernsthafte Schwierigkeiten, eine Bindung zu meinem Kind aufzubauen. Ich war, bis sie im Kindergarten war, zum Beispiel nie allein mit ihr unterwegs.
Ich habe unter dieser Situation sehr gelitten, weswegen ich unter anderem zur Familienberatung ging und wenig später auch die Pädagogen im SPZ darauf ansprach, die ja mit meinem Kind zusammenarbeiteten, es kennenlernen konnten und, so bildete ich mir ein, doch sicher wussten, dass Struktur und Klarheit für sie wichtig ist und dass auch der Vater dabei konsistent bleiben sollte.
Aber Nö: Am Ende war ich diejenige, die es mit den Regeln "übertrieb" und zu viel Wind machte. Ich habe mich so saumäßig verraten gefühlt, weil gerade die Heilpädagogin sehr strukturiert und klar unter anderem über das TEACCH System arbeitete, das wir zu Hause übernahmen, im Gespräch mit meinem Mann aber plötzlich mit so einer Larifari-Einstellung daherkam, weil sie sich - das meine ich zumindest - mit ihm so gut verstand und er, da mache ich mir gar nichts vor, einer der charmantesten Sunnyboys ist, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.
Über die Jahre, als wir die Besuche beim SPZ nicht mehr brauchten, haben Erzieher und Lehrer uns aber immer wieder einstimmig gesagt, wie wichtig Klarheit, Struktur, Disziplin und Konsistenz für unsere Tochter ist - etwas, das mir absolut klar war und auch meinem Mann klar, aber eine lange Weile eben egal war - und irgendwann fing mein Mann dann an zu jammern, weil seine Torpedierung und seine jahrelange Inkonsistenz dann dazu führten, dass seine Tochter sehr distanzlos und anstrengend wurde und nicht sehr gut auf ihn hörte. Wohingegen ich immer weniger Probleme mit ihr hatte und meine Beziehung zu ihr heilen und festigen konnte.
Na ja, long story short: Nicht immer schlagen sich weibliche Fachleute auf deine Seite, nur weil du eine Frau bist. Ich glaube, das hängt schon auch damit zusammen, wer überzeugender und sympathischer rüberkommt. Ich bin (leider) ein mensch, der mit Fremden sehr schlecht warm wird und sich mit ihnen eher distanziert und fast ein bisschen förmlich unterhält. Mein Mann dagegen ist ein Charmebolzen sondergleichen.