@******ine
@*****cgn
Das Phänomen, das ihr beide da gerade erwähnt, kenne ich auch - allerdings von beiden Geschlechtern. Dass es mir bei Männern stärker auffällt, ist dem logischen Umstand geschuldet, dass ich seit jeher von deutlich mehr Männern als Frauen kontaktiert werde.
Im Grunde geht es einerseits um die - bestenfalls optimistische, schlechtensfalls naive bis tatsächlich ignorante - Annahme, dass Menschen im Grunde alle jederzeit offen für eine Kontaktaufnahme sind. Nicht nur hier im Joy, sondern ganz generell, auch draußen auf der Straße. Man geht davon aus, dass man Menschen eigentlich jederzeit ansprechen kann, zu welchem Thema und mit welcher Absicht auch immer, und dass der Gegenüber sich auf dieses Gespräch erstmal einlässt. Wir rechnen nicht damit, dass wir jemanden ansprechen und dieser uns einfach ohne ein Wort ignoriert, weggeht oder sofort klipp und klar sagt, dass er kein Interesse an einem Gespräch hat. Darum auch das auffallend häufige Geunke von Menschen, die sich hier über Ignoranz beschweren und sagen "Auf der Straße ignoriert ihr jemanden doch auch nicht einfach so."
Mitunter wird vergessen, dass ziemlich viele Menschen im direkten Kontakt aus reinen Deeskalationsgründen Höflichkeit heucheln, obwohl sie tatsächlich wirklich keinen Bock auf dieses Gespräch haben. Im Internet ist das etwas, das man umgehen kann - hier drohen keine ernsthaft negativen Konsequenzen, wenn man ignoriert oder direkt sagt, dass man kein Interesse hat. Es könnten höchstens Beleidigungen kommen, aber der Mensch ist nicht körperlich anwesend, etwaige Aggression kann sich nicht bedrohlich entladen, man ist im Großen und Ganzen in Sicherheit und muss sich auf kein Gespräch einlassen, das man nicht wirklich will.
Natürlich ist die Gefahr, bei Ablehnung oder Desinteresse auf ernsthafte Aggression zu stoßen, auch auf der Straße vergleichsweise gering - hier gibt es tatsächlich einen deutlichen Unterschied zwischen der realen und der gefühlten Gefahr, aber Menschen neigen evolutionspsychologisch dazu, vermeintliche Gefahren stärker wahrzunehmen, ihnen größere Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, etc.
Ok, also das Grundproblem: Es wird gerne davon ausgegangen, dass alle Menschen im Grunde kontaktfreudig sind und nichts dagegen haben, wenn man Kontakt zu ihnen aufnimmt. In Wahrheit stimmt das allerdings nicht.
Daraus leitet sich oftmals folgendes Problem ab: Wenn/Weil ICH Kontakt will, rechne ich nicht damit, dass der andere keinen Kontakt will. Wie kann das sein? Ich will doch.
Bei manchen treibt das tatsächlich derart kognitiv seltsame Blüten, dass das bis zu "Ich will dich kennenlernen/Ich will Sex mit dir. Dafür bist du grundsätzlich offen, denn alle Menschen wollen doch jemanden kennenlernen/wollen Sex." führt.
Tatsächlich ist das ein Phänomen, das mir hier unzählige Male begegnet ist und das ich mir absolut nicht einbilde, oder irgendwie hineininterpretiere, denn ich habe viele Male solche Gespräche geführt, oder sogar gezielt angeregt.
Ich sagte "Ich will nicht", der andere sagte "Ich will aber."
Ich fragte "Wie kommst du darauf, dass ich dich interessant finde?", der andere antwortete "Du gefällst mir eben."
Es wird also davon ausgegangen, dass das eigene Interesse völlig ausreicht, um auf Resonanz zu stoßen, dass es nicht nötig ist, dass der andere ebenfalls erstmal Interesse entwickeln muss und das nicht einfach so geht, nur weil man selbst Interesse hat.
Ich möchte, darum möchte der andere auch. Denn grundsätzlich will doch jeder.
... Oder nicht?
... Leider - und sehr wahrscheinlich - eher nicht.
Das ist nicht unbedingt schön, aber wie vieles, das nicht schön ist, ist es eben auch wahr.