Ich Glaube an die Liebe, aber meine Generation ist einfach zu blöd für die Liebe.
Parship, Zweisam, Joy, Tinder, Friendscout etc., gemacht für schnellen Sex und beworben mit großer Romantik, ist meine Generation in App-Form. Leider ist meine Generation aber auch so dumm, dass sie die Liebe nicht verdient.
Eine Bekannte von mir hat die Dating-App Tinder durchgespielt. Ich selbst habe sie Anfang 2020 für 4 Tage benutzt. Sie lebt in einer Großstadt mit vielen hübschen Studenten und sie hat sehr viele von ihnen getroffen. Eines Morgens blieb jedoch die Anzeige leer. Keine neuen Leute in ihrer Umgebung. Ich weiß jetzt nicht so genau, was ich ihr raten soll. Männer in freier Wildbahn ansprechen? Einfach mal einen etwas länger treffen? Einfach mal etwa aushalten, statt abzuhauen?
Ah-haha…………………Guter Witz.
Das ist, als würde man einem Tiger veganen Lunch vorsetzen: gegen seine Natur. Und immer mehr Menschen meines Alters rutschen genau in diese Natur hinein.
Wir verändern uns, dass ist auch schön. Und wir verändern uns gegenseitig, auch das ist schön. Ich bin xx Jahre alt und hatte bis 2016 immer lange, feste Beziehungen. Ich war gerade getrennt und guten Mutes, nach einer Zeit der Selbstfindung etwas Neues beginnen zu können. Nur hat das leider überhaupt nicht funktioniert.
Ich traf eine, die ich sehr mochte, die aber nach einigen Fragen noch nie wirklich eine längere Beziehung hatte und auch mit mir im Grunde keine wollte. Sie war klug und witzig und bald wieder weg.
Ich traf eine, die frisch aus einer langen Beziehung kam, gern eine neue wollte und mich komplett in den Wahnsinn trieb mit ihrer krankhaften Kontrollsucht und Anhänglichkeit.
Ich datete Jüngere und Ältere, ich datete in den folgenden Jahren mehr Frauen, als in anderen Zeiten als Single davor. Ich lernte, was ich alles haben könnte. Aber, das hat wirklich gar nichts besser gemacht, weil ich das im Herzen nicht wollte.
Diese Geschichte ist total alltäglich; ich kenne viele, die aus langen Beziehungen kamen, sich ausprobieren wollten und dann darauf hängen blieben.
Joy, Tinder, Friendscout etc. ist der Charakter meiner Generation in App-Form und besagte Bekannte ist eine sehr extreme Vertreterin dessen. Wir sind nicht alle gleich, auch wenn Bücher über diese Generation Y – why? – uns das glauben machen wollen.
Wir sind gut ausgebildete kleine Kommunikationsjunkies. Wir müssen improvisieren und haben den Willen, unser Leben gut zu gestalten, sagt Wikipedia. Hahaha……
Es gibt Millionen Egoisten auch hier. Sind gestresst, haben Angst, sind frei und ungebunden und lieben die Möglichkeiten wie im Warenhaus. Kleiner Fehler, bitte Umtauschen.
Aber im Grunde sind wir ganz schön dämlich, wenn es um Liebe geht. Millionen unserer Generation brauchen Parship, Joy, Tinder, Friendscout etc, um Nähe zu anderen Menschen herzustellen. Wie perfide ist das denn?
Die Unternehmen werben mit der großen Liebe, „Any swipe can change your life“, und wird genutzt von Menschen, die Liebe gar nicht mehr ertragen.
Ich habe nichts gegen das Internet. Das Internet funktioniert und ist in vielen Dingen wirklich auch hilfreich. Ich habe etwas gegen eine Idee von Liebe, die nach Perfektion strebt.
Ich habe etwas gegen eine Idee von Sex, die Angst vor der Liebe hat.
Ich habe etwas gegen eine Idee von Perfektion, die „normale“ Menschen ausschließt.
Und ich bezweifle stark, dass sich die Gesellschaft plötzlich in eine Hand voll liebenswerter Menschen teilt und der Rest, der zu Tinder und Co. muss, um Sex zu kriegen.
Freunde von mir trafen durch diverse Partner/Singlebörsen tolle Frauen. Sie gingen elegant Essen, lernten neue Sportarten, hatten fantastischen Sex und nach einigen Wochen spektakulär gebrochene Herzen.
Andere langweilten sich an den Rand des Komas bei „Gesprächen im Interview-Stil“, strategischen Verhören mit dem Ziel, das Nerv-Potential des Anderen auszuloten. Allein der Gedanke lässt mich schaudern…
Alle suchen? Aber nur zur Erinnerung: Wir haben verdammt viel, warum sollten wir suchen?
Unsere Generation ist wie ein Kind in einem Spielzimmer, das so überfüllt ist, dass wir eine neue Modelleisenbahn brauchen, weil wir die alte nicht mehr finden. Ganz schön schräg finde ich….
Ich wäre gern wie ein Kind, das seinen Teddy auch dann noch liebt, wenn sein Fell an Glanz verliert. Wer hat schon sein Kuscheltier ausgetauscht, nachdem Mama es nach drei Monaten mal gewaschen hat, weil es unerträglich stank?
Besagte Freundin, sagte neulich über einen Mann, er habe ihr zu dicke Oberschenkel. Ich so….Hä? Zu dicke Oberschenkel? Du hast doch nicht alle Latten am Kreuz…..
Natürlich war es nicht beleidigend gemeint, sondern eher ein Wink mit dem Zaun und so…
Mir sagte mal eine sie, ich übe Druck auf ihr aus, weil ich genervt war, als sie mich im Schneetreiben 20 Minuten warten ließ.
Das sind Ausreden. Oft genug liegt die Wahrheit im wunderbaren Buchtitel: „Er steht einfach nicht auf dich“. Oder: Du stehst einfach nicht auf ihn. Oder sie. Was okay ist. Nur haben wir plötzlich so viel Vergleich, dass wir in jedem Menschen Dinge finden, auf die wir nicht stehen.
Für jeden Topf gibt's ja einen Deckel, oder viele, je nachdem, welches Beziehungsmodell man gerade so lebt. Angeblich. Oder eben, eben auch nicht und das ist irgendwie auch okay. Mir ist aber aufgefallen, dass verdammt viele Leute in meinem näheren Umfeld nicht mehr an die Liebe glauben.
Irgendwann zwischen der gefühlt 1.000. Enttäuschung, dem 80. schlimmen Date und dem 40. Korb haben wir einfach aufgehört an das große Happy End zu glauben oder zumindest darauf zu hoffen, dass wir es irgendwann finden werden. Oder die Liebe uns.
Dabei habe ich sie mir auf keinen Fall ausgeredet, aktiv etwas gegen die Hoffnung, mich irgendwann noch einmal glücklich zu verlieben, getan oder jeden Tag das Mantra
„Du darfst dich nicht verlieben“
zu meinem Spiegelbild gemurmelt.
Ich mochte es immer sehr, verliebt zu sein. Habe mich zwar nicht immer schnell verliebt oder mich Hals über Kopf in eine Geschichte gestürzt. Aber wenn, dann auch mit Haut und Haaren. Das hat mich einerseits sehr verletzlich gemacht, andererseits war ich auch immer irgendwie stolz darauf, nicht so abgebrüht wie der Rest der Welt zu sein.
Das macht etwas mit einem, das raubt dir die Hoffnung und den Willen, dich noch einmal in diese Datingwelt zu wagen. Seitdem werden sämtliche Versuche potentieller Menschen mir näher zu kommen von mir sabotiert oder direkt abgeschmettert. Ich bin frei und will es auch bleiben? Klingt super, oder? Klingt irgendwie nach Selbstbestimmung? Bullshit!
So tendieren viele meiner Freunde / Bekannte. Die eine verwechselt Liebe mit Unfreiheit und will sich nicht (emotional) binden und lieber ihr eigenes Ding machen, der andere ist davon überzeugt, dass es so etwas wie Liebe gar nicht gibt, der nächste ist zu sehr enttäuscht worden und hat daher allen Gefühlen abgeschworen.
Liebe wird bei all diesen tollen, liebenswerten Leuten mit Unfreiheit und Eingesperrt sein verwechselt. Oder mit Verletzlichkeit. Oder als Fantasie. Werden wir also alle einsam sterben, weil wir den eigentlichen Sinn der Liebe nicht mehr kennen? Oder sind wir schlauer als alle anderen und gehen einem völlig veralteten Modell einfach nicht mehr auf den Leim?
Spricht das jetzt für oder gegen die Liebe? Emanzipiere ich mich also einfach nur von einem Modell, das eh mehr in die Geschichtsbücher als in unseren Alltag gehört?
Der Mensch braucht Liebe, sonst wird er krank. Blöd nur, was aus der Liebe geworden ist, dieses Konzept mit Erwartungen und festen Regeln ist nicht nur einfach nicht mehr zeitgemäß, es schafft sich durch genau diesen übertriebenen Erwartungskatalog quasi selbst ab. Kein Wunder also, dass viele so frustriert sind.
Und das Internet ist voll von Menschen; es könnte noch einer kommen, der keine Fehler hat. Versprochen: Der steht dann nicht auf uns. Weil wir ewig unzufriedene Menschen sind, die vergessen haben, wie man liebt, weil wir auf das Schlechte im Leben schauen und nicht auf das Gute. Solche Menschen mag ich überhaupt nicht.
Verdient unsere Generation die Liebe? Es gibt so viele tolle Paare. Manche trafen sich hier, immer mehr lernten sich im Internet kennen. Es gibt beim Datenportal Statista Zahlen, nach denen sich 16,4 Prozent aller Hochzeitspaare im Internet trafen. Also knapp jedes sechste. Und das sind nur die, die heiraten. Ist das nicht klasse?
Andersrum leben die Menschen in Pendlerbeziehungen, ihnen gegenüber stehen die Wohngemeinschaften; sagen wir also: ein Drittel der Deutschen ist Singles. Im Zensus-Atlas kann man sich das anschauen: Unsere Großstädte sind also das Ödland der Einsamkeit.
Oder sind sie die Oasen der Individualisten? Ich glaube: Großstädte sind die Schmelztöpfe der Vollidioten. Meine Generation ist zu blöd, um sich zu verlieben.
Nein, vielleicht wird diese Beziehung nicht halten. Nein, die nächste hat bestimmt straffere Oberschenkel oder stärkere Nerven, wenn er warten gelassen wird. Wir sehen so viele Möglichkeiten, dass unsere Gehirne sich gar nicht mehr trauen, Liebeshormone auszuschütten.
Dabei liegt in der Kooperation in der Regel die glücksoptimale Lösung – beide geben, beide vertrauen darauf, etwas zurück zu bekommen.
Vertrauen schafft Wachstum, aber Vertrauen haben wir verlernt.
Auf die Generation der Eheverträge folgt nun die Generation der Liebesverweigerer. Der Ökonom spricht von individuell rationalem Verhalten.
Wie könnten wir uns verlieben, wenn wir wissen, dass auch der andere all diese Möglichkeiten sieht? Liebe gehört zu den größten und wichtigsten Dingen, die wir mit unseren Leben machen können.
Entsprechend tief können wir fallen. Wir müssten doch verrückt sein, uns an jemanden zu binden, der jederzeit gehen könnte. Wir schützen unsere Herzen. Wir sind einfach zu blöde für die Liebe.
Wenn man aber Liebe ganz neu denkt, das Gefühl mit weniger Erwartungen und weniger starren Verhaltensregeln verknüpft, besteht vielleicht doch die Chance, dass wir irgendwann wieder an die Liebe glauben können.
Leider ist das gar nicht mal so leicht, denn erlernte Verhaltensweisen lassen sich nicht so leicht abschütteln. Beziehungsweise reicht es ja nicht, wenn man selbst kapiert hat, wie der Hase liebt, die anderen müssen es ja auch schnallen.
Da ich jedoch bei weitem nicht so bin wie beschrieben, glaube ich gerade deshalb an die Liebe….