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Daniele. Oder: Männerliebe, ohne schwul zu sein

Daniele. Oder: Männerliebe, ohne schwul zu sein
Es gibt Entgleitende, Unberührbare, Unerreichbare, Aufgesparte, Heimgesuchte, Ausgestossene. Sie riskieren groteske, tragische Leben ohne Ansehen, Glanz, Vermögen, nicht mal mit einem Heim - sie blühen bar jeder Öffentlichkeit in ihrem Verborgensein. Unmögliche Liebe ist einerseits ihr Paradies, ihr Elysium und andererseits ihr Fluch, ihre Krankheit, ihr Kainsmal. Von herber Schönheit sind sie, täuschen mit Garstigkeit, sind nicht domestiziert und für gewöhnlich deshalb überhaupt nicht zu erkennen. Unvermutet offenbaren sie sich, wenn man es am wenigsten erwartet, aber am meisten braucht. Vielleicht sind solche die modernen Engel, vielleicht. Aber wenn man schon von Engeln sprechen will, dann sind es ruhelose, getriebene - Daniele war einer dieser, wie Kerouc sagte "desolation angels", dass er nicht zu trösten war, sah ich vom ersten Augenbick in sein Gesicht geschrieben ...

Ohne viel Worte zu machen oder derer zu bedürfen, teilten wir eine Denk-, Erfahrungs-, Erlebnis- und Gefühlswelt, die ohne die Dimension von Erotik oder gar Sexuellem auskam - dennoch liebte ich Daniele und mache es noch, er war ein Freund. Inniger waren wir verbunden, als es Liebende jemals sein können.
Natürlich kann Begierde aus Freundschaft erwachsen, kann aus Kameradschaft Verlangen entspringen, kann sich brüderlicher Umgang zu Zärtlichkeit wandeln - aber nicht bei Daniele und mir. Wir waren emotional verbunden, nicht aber geschlechtlich, wir waren moralisch und intellektuell verbunden, nicht aber sexuell und körperlich.
Ich kenne Liebe nicht anders als einseitig, während Freundschaft eine gegenseitige, eine reziproke Zuneigung ist. Liebe findet dort statt, wo jemand dem eigenen Wesen fremd ist, sogar entgegengesetzt, so dass es eine Anziehung gibt. Liebe verlangt nach einer Ergänzung, nach dem anderen Pol, dem Ausgleich, während Freundschaft sich dem gleichen zuwendet, dem Verwandten. Liebe ist das Unbekannte, das Verlockende, das Risiko, das Wagnis, ist die Gefahr - Freundschaft hingegen ist die Sicherheit im Bekannten. Im Gleichklang. Die Sehnsucht mit Schmerz, Grausamkeit, dem unbedingten, rücksichtlosen, alles unterordneten Gebot nach Erfüllung ist der Teil der Liebe - zur Freundschaft gehört, bei deren Nichterfüllung der einzige Trost zu sein. - Doch genug der quasi-philosophischen Anwandlungen ...

Bei aller Verwandtschaft und beinah gleichem Herzschlag von Daniele und mir gab es doch wesentliche menschliche Unterschiede: Ich war abstrakt denkender, kälter als er, strategisch logischer ohne mich immer und überall einmischen zu müssen und mich betroffen zu fühlen - doch all das wiegt nicht auf, was sein Wesen ausmachte: Er war ursprünglicher, vitaler, unverdorbener, temperamentvoller als ich und vor allem besaß er etwas, von dem ich nur träumen kann: Charme (mit allen denkbaren positiven wie negativen Konsequenzen, die diese Göttergabe bei Frauen nach sich zieht) ...
Hinzu kam - und das verstärkte seine Wirkung schon ins Ungeheuerliche - dass er entschieden den Stereotyp des Latin Lover in seinem Äußeren verkörperte: Geradezu kühn waren die Kurven seiner Brauen (lange bevor es weibisch mädchenhaft in Mode kam, dass Männer sich die Augenbrauen ausrasieren lassen), mit traurig spitzbübischem Blick darunter in schwarzen, glühenden Kohleaugen mit der schräg gestellten Achse und dem Vorhang überlanger Wimpern: ständig geweitet sowohl in Panik als auch in Verzückung ... Hoch seine Wangenknochen, schmal sein Kinn. Kaum war sein Haar einmal länger gewachsen, wurde es drahtig, wild gewellt, unbezähmbar. Weich sein zum Küssen einladender Mund, volle Lippen. - Heftig, hurtig, sich oft überschlagend seine Worte wenn er einmal etwas sagte, weil seine Zunge der Geschwindigkeit der Gedanken und Ideen jämmerlich hinterherhinkte ... und doch dabei immer mit einem nicht zu unterdrückenden Beigeschmack von leiser Verzweiflung.
Seine Eltern waren in den 50zigern aus Italien nordwärts gezogen und in der Schweiz, in Olten, hängengeblieben. Ein paradiesisches Auskommen war gesichtert, die Zukunft der Kinder verbürgt rosarot. Aber die bescheuerte Beschaulichkeit eines solchen Lebens war dem Hunger des Jüngsten zu wenig, der ungestillt mehr in Abenteuergeschichte hineinphantasiert sein Tage verbrachte als in der schläfrigen Gewöhnlichkeit. Zwangsläufig bei diesen Voraussetzungen, dass sich unsere Wege in der fremden Armee kreuzten, wo ich sein Chef wurde, er einer meiner Gruppenführer. Ein rigoros gewissenloses Leben haben wir dort lange Zeit geführt.

Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es Erkenntnisse gibt, die sich allein durch Erfahrung einstellen, nicht aber durch bloßes Nachdenken und Deduzieren. Eine davon ist, dass jede Art von Rausch auch Blutrausch miteinschließt. Klar, dank Freud ist es ein Allgemeinplatz, wie sich destruktive Impulse im Sexuellen ableiten lassen und wie Sexuelles wiederum in Kultur sublimiert wird. Andererseits ist gnadenlos entfesselte Sexualtität wiederum voll sadistisch-zerstörerischer Impulse - BDSM (nicht das JC-Kinderspiel), die unheilvolle Verquickiung von Macht und Sex kommt nicht von ungefähr. Und selbst wenn derb ausgelebtes, Vergessen bescherendes Geficke eine relativ harmlose Manifestation des Animalischen ist, so ist es eben nur ein kleiner Schritt, dass aus dem Tierischen Bestialisches wird - wer wenn nicht Soldaten, die im Feld waren, wer wenn nicht Huren, diese weiblich so verwandten Söldnerinnen, wollte diese Erkenntnis aus dem Traumdunkel bestreiten!?

Lustig und belustigend waren (und sind) Hurenhäuser dort, wo es Söldner gibt. Ein unglaubliches Angebot und Aufgebot von pittoresk operettenhafter, anrüchig billiger Porno-Eleganz aus Strapsen, Hütchen, Federboas, fett aufgetragener Schminke in frivolem Kölnischwassergestank bei gedimten Licht und süßlich die Ohren überzuckernden Clubmusikmelodien. Heilsam heiße Quellen dort, wo Tod auf Leben trifft, Killer auf vermeintliche Liebe - auch wenn sie finanziert werden muss. Römisch-dekadent bis türkisch-opulent. Kollektive Orgien, Schauspielereien in verhunzter B-Movie-Qualität ... zum Lachen. Und Daniele und ich mittendrin und wir haben uns kaputt gelacht. Bis zu dem Hinterhalt im Osbin-Tal.

Wir sind im ersten Jeep des Konvois durch die enge Schlucht. Plötzlich ein dumper Schlag auf alle Seiten des Fahrzeugs: Eine Mine hat es entzwei gerissen, der vordere Teil mit Fahrer und Sicherungsschütze ist nicht mehr da. Der hintere Teil fliegt mit uns in die Luft, die Druckwelle stoppt unseren Atem, mit unheimlicher Wucht werden wir wieder auf die Erde gecheludert. Der Aufbau fällt auf uns und bildet ein stählernes Zelt. Baptiste und Guy werden zerquetscht, Gilbert fehlen die Beine und Arme ... Daniele röchelt ... Meeeerde!!!! Sein Gesicht ist nicht wiederzuerkennen, sein Helm mit den Haaren hängt in seinem Nacken ... Schnell die Verbandspäckchen!!!! Die von Baptiste und Guy, meine eigenen alle zusammen irgendwie auf seinen Kopf ... halt durch! Wird schon wieder ... Wird wieder heil!.... Weiter gleichmäßiges metallisches Schlagen auf die Panzerung, aber die ist früher oder später zu dünn für das schwere MG, in dessen Feuer wir uns befinden ... schnell tausche ich das 20Schuss-Magazin mit einem 50Schuss ... sollen ruhig kommen, die Arschlöcher ... Über das Funkgerät gebe ich monoton wiederholend unsere Position durch, auch wenn sie die längst über GPS wissen, auch die etwaige Position des MG in südlicher Richtung ungefähr 300 Meter weit weg ... Boing, boing in seltsamen Rhythmus hämmert das MG weiter auf den Stahl ... doch dann ein ZZZSch, ZZZSch, immer wieder ein ZZZSch ohne Echo, aber mit enormen Detonationen, da sind Raketen ... Stille, beklemmend, beängstigendes Schweigen ... Daniele röchelt ... das gedrosselte Geschräusch von Düsenflugzeugmotoren ... amerikansiche A 10 ... thank God, wir sind wieder mal gerettet ...

Komisch, jetzt wo ich das schreibe, schmerzt meine linke Beckenschaufel wieder, wo ein großer und viele kleiner Splitter steckten ...
Daniele und ich kamen also durch. Doch Daniele fürchterlich entstellt. Er hat keine Haare mehr. Ein Glasauge sitzt zu tief in einer gelblichen Plastikgesichtshälfte ...

Lang, lang ist's her. Heute sind wir zur Ruhe gesetzt. Immer noch sind wir mitenander verbunden. Wir wollen uns zu einer Fahrt ins Tessin treffen. Schon seit zwei Monaten ergötzen wir uns an den Planungen unserer Tour. Ich will ihn bei seiner Mutter in Olten abholen.
Aufgelöst, verweint, empfängt sie mich. Sie kann nichts sagen. Führt mich stattdessen in sein Zimmer. Peinlich sauber und aufgeräumt. An der Rückseite des Betts das Loch des Einschusses. In merkwürdigem Kranz einer Botschaft aus Hieroglyphen Blutspritzer ringsdarum, erst fein, dann gröber, erst viele, dann immer weniger ...
*********enTe Frau
1.587 Beiträge
Ich lese nicht um mich einlullen zu lassen.
Ich lese um einzutauchen in andere Gedankenwelten.
In Lebenswirklichkeiten und auch in Fiktionen, ist fast unerheblich, solange sie authentisch auf mich wirken, überhaupt nachwirken.

Geschriebenes braucht nicht bequem sein, ist das Leben auch nicht.
Jedenfalls habe ich gerade Freude,leise Verehrung, Liebe, Freundschaft, Verzweiflung, Trauer, Entsetzen gelesen und gefühlt.
Mir gefallen alle deine „Wortwerke“, wie ich persönlich gerne die schriftlichen Ergüsse mancher Verfasser bezeichne.

Danke fürs Anteil nehmen können.
*********leen Frau
288 Beiträge
Meisterschaftlich! Wenn Form-und Wortgewalt mit der inhaltlichen Wucht um die Vorherrschaft ringen und weder Form noch Inhalt sich durchzusetzen vermögen, weil beide von einer kaum zu überbietenden Intensität sind.

Wohl aber nichts für die hier anwesende kleinmütige Masse, zu überfordernd für deren einspurige Gemüter, die bloss an Erzählungen über schmachtende, triefende rosa Pussies und spritzfreudige Eindringlinge sich erhitzen.

Bubulles Text ist keine Erzählung für angepasste Engstirnlinge. Sie beginnt mit einer Hymne auf die Freundschaft und plötzlich befindet man sich inmitten von Blut und Blutspuren, inmitten von nackten und verstümmelten Körperteilen und Leben. Erschaudern lässt es den Leser, dringt ein bis in die Eingeweide und zerreisst das Herz.

Kurzum, ein Text, der mir den Atem verschlägt.
**********pioGJ Mann
788 Beiträge
Ein Text der zum Nachdenken anregt…
Je größer mein Eifer beim Schreiben, desto mehr nehmen auch die Zweifel zu. Wen interessieren überhaupt die Wirrungen, Verwirrungen, Irrungen, Verirrungen meines Lebens? Für wen schreibe ich? Erreiche ich jemanden? Gibt es überhaupt eine Gemeinschaft und damit Leserschaft, an die ich mich wenden kann? Versteht jemand die Worte auch so, wie ich sie meine?
Und falls JA, wird es ein Echo geben, ein wohlwollendes gar? Oder verhallt, was gerufen wurde und stürzt gnadenlos ins Leere?

Merci also, für euer Lächeln flüchtiger Dankbarkeit im virtuell kosmischen Rauschen.
**********pioGJ Mann
788 Beiträge
Hallo bubulle,

Bei deinen Fragen denke ich an mein Lieblings-Hörbuch:
Das Labyrinth der Wörter
von Marie-Sabine Roger

„Antworten werden sie nicht immer finden.
Doch was zählt sind die Fragen.
Dies gehört zum Wesen des Menschen.“

Wenn Zeit und Kraft es zulasten, will ich gerne meine Gedanken zu den Fragen teilen.

An dieser Stelle möchte ich darauf eingehen:

„Je größer mein Eifer beim Schreiben, desto mehr nehmen auch die Zweifel zu. Wen interessieren überhaupt die Wirrungen, Verwirrungen, Irrungen, Verirrungen meines Lebens?„

*betrachtet ihn nachdenklich*
Dies lässt mich auf deine Erlebnisse schließen. Aus deinem realen Leben.

Gruß
Mystik Scorpio GJ
********lara Frau
6.493 Beiträge
Danke @****lle , dass du dieses "Wortwerk" (das Wort ist auch eines...) mit uns teilst!
Ich mag unbequeme Geschichten, die nicht vorhersehbar sind. Diese hier ist konsequent voll dieser besonderen Art der Liebe bis zum erlösenden Ende. Wobei hier der Ausdruck 'erlösend' zu klischeebehaftet ist. Das Ende bestätigt die Konsequenz des gesamten Textes.
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