Ich war viele Jahre in einer weiter entfernten Stadt beschäftigt und fuhr täglich mit dem Zug dorthin. Aufgrund ungünstiger Taktzeiten öffentlicher Verkehrsmittel fuhr ich den Weg zum Bahnhof und vom Bahnhof nach Hause mit dem eigenen Auto. Mangels kostenloser Parkplätze musste ich ca. 1 km entfernt vom Bahnhof parken. Mein Weg zwischen Auto und Bahnhof führte mich an einem dunklen Park und durch einen schlecht beleuchteten Tunnel. Ja, ich kenne das mulmige Gefühl, wenn mir Unbekannte folgen.
Aber ich lehne es ab irgendwelche Waffen (auch Pfefferspray) zu gebrauchen. Jede Art von Waffe könnte gegen mich verwendet werden.
Ich finde es auch völlig sinnfrei das eigene Tempo zu erhöhen. Solange ich nicht in der Lage bin so schnell wie Usain Bolt zu laufen, wird mich ein anderer einholen können.
Genauso sinnfrei ist das willkürliche Abbiegen, falls ich die Gehend nicht gut kenne. Womöglich lande ich in einer Sackgasse oder stolpere im Dunklen über eine schlecht beleuchtete Baustelle und verletze mich.
Darauf zu hoffen oder zu erwarten, dass ein anderer freiwillig die Straßenseite wechselt oder sein Tempo anpasst, weil ich mich möglicherweise ängstlich fühlen könnte, ist unrealistisch.
1. Wer - egal ob Mann oder Frau oder Divers - abends nach langem Arbeitstag oder nachts nach durchfeiertem Abend nach Hause läuft, ist fast immer mit sich selbst beschäftigt und denkt nicht an potentielle Befindlichkeiten anderer.
2. Wie soll der andere im Dunkeln meine Ängste erkennen? Soll er/sie Gedanken lesen können? Soll jede Geschwindigkeitsänderung und jedes Abbiegen irgendeine Bedeutung haben und der andere / die andere diese instinktiv erkennen? Soll jeder / jede einen Kurs in Hellsehen besuchen?
3. Warum soll immer der Mann proaktiv auf die potentiell verängstigte Frau reagieren? Ein Mann ist auch nur ein Mensch, der nach Hause möchte und der nicht verpflichtet ist, sich mit irrationalen Ängsten fremder Frauen auseinanderzusetzen.
4. Ich kann als Frau genauso aktiv werden. Dazu muss ich mich meinen Ängsten auseinandersetzen, mich ihnen (möglicherweise mit professioneller Hilfe) stellen, in der unangenehmen Situation den Mann proaktiv ansprechen und vorbei bitten.
Ich spreche niemanden die Ängste ab oder will sie klein reden, ich will auch nicht in Abrede stellen, was alles passiert oder passieren kann. Ich möchte aber besonders an die Eigenverantwortung appellieren. Emphatie anderen gegenüber zu zeigen und zu leben ist sicher wichtig, aber ich kann es bei niemandem voraussetzen. Ich kann aber an mir selbst arbeiten, dass Ängste händelbar werden, ich selbst handlungsfähig bleibe und aktiv in einer solchen Situation auf den anderen zugehen kann. Meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass Aktivistät meinerseits viele Situationen entspannen kann. (Es gibt auch Männer, die sich ohne irgendwelche Hintergedanken freuen, wenn man ein paar Takte Smalltalk hält auf dem Nachhauseweg.)