Sind wir GeTRIEBene oder BeHERRSCHENde?
Wir, als Homo sapiens sapiens haben uns vor mehrerend Tausend Jahren aus der biologischen Evolution verabschiedet. Es ist in nahezu allen Gesellschaften auf der Welt so, dass sich nicht mehr nur die Stärksten und Klügsten (Survival of the fittest) durchsetzen und vermehren, sondern alle Menschen. Damit ist die Evolution vorbei, es kann keine Entwicklung, außer in Marginalien, mehr geben. Gut, ein paar Asiaten lernen noch das Alkohol- und Milchtrinken, aber im Großen und Ganzen war's das. Finito.An die Stelle der biologischen Evolution ist das getreten, was die Antropologen die »kulturelle Evolution« nennen. Sexualpartner mit denen man Nachkommen zeugen möchte, werden nach völlig anderen Kriterien ausgesucht, als noch vor Hunderttausend Jahren, damals war die dickste Keule das Äquivalent des heutigen Porsches vor der Garagentür. Die Keule aber war damals nur ein Kriterium von vielen. Stärke, Geschicklichkeit, Mut und Einfallsreichtum – kurz gesagt, die Jungs mit den dicksten Eiern bekamen die meisten Mädels. Wäre das über Jahrmillionen nicht so gelaufen, säße ich jetzt heute hier nicht am Laptop, dann wäre der Mensch niemals zum Herrscher des Planeten geworden.
Stehengeblieben in unserer biologischen Entwicklung sind wir aber auf Steinzeitniveau. In uns schlummern dieselben Instinkte und Triebe, wie in unseren wilden Urahnen, die Zivilisation ist im Vergelich dazu nur eine dünne Tünche. Ich will an dieser Stelle nicht auf alle Triebe im einzelnen eingehen, mir genügt exemplarisch (und dem Grundthema des Forums geschuldet) die Betrachtung des Sexualtriebs. »Reiß dich mal zusamen!«, »Doch nicht hier!«, »Benimm dich!«, »Guck da nicht so hin!«, das sind alles Sätze, die den kulturellen Aspekt der Triebunterdrückung belegen.
Diejenigen, die es meisterlich verstehen, ihre Triebe zu sublimieren, haben gut reden. Sie haben anscheinend ein Ventil gefunden, was es ihnen gestattet, nicht in dem Maße abhägig von ihnen zu sein, wie andere das sind. Das wäre an und für sich noch nicht so schlimm, wenn, ja, wenn sie sich nicht so erhaben fühlen würden, überlegen, befreit – und von dieser Warte auf uns arme Sünder herunterblickten. Jemanden zu verurteilen, weil er seinen Trieb nicht unter Kontrolle hat, ist im Prinzip nichts anderes, als jemanden wegen seiner Hautfarbe zu diskriminieren, sogar unsere Rechtssprechung, die ja nicht immer auf der Höhe der Zeit ist, trägt diesem Umstand Rechnung, mit der »verminderten Schuldfähigkeit« aus den unterschiedlichsten Gründen.
Japanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass sich die Menschheit genetisch(!) in zwei Gruppen einteilen lässt, was das Triebhafte angeht. Demnach haben ca. ein Drittel der Menschen einen wesentlich stärkeren Sexualtrieb, als die restlichen zwei Drittel. Hier hat sich die »vernünftigere« Variante durchgesetzt, aber nicht ganz, ob zum Glück oder Unglück mag ich hier gar nicht beurteilen. Dass zwischen den Gruppen Konflikte programmiert sind, ist leicht zu verstehen. Jemand mit einem kleinen Sexualtrieb wird einen anderen Menschen mit ausgeprägtem Trieb niemals verstehen können! Wer so etwas noch nicht erlebt hat, kann sich unmöglich vorstellen, wie das ist. »Jetzt beherrsch dich mal!« ist demnach nur ein hilfloser Ausdruck von Ohnmacht und Wut.
Und ein Getriebener kann zwar um Verzeihung bitten, aber er wird niemals garantieren können, dass es ihn nie wieder überkommen wird. Ich bin oft genug entsetzt (obwohl ich es verstehe) wenn Menschen übereinander urteilen und bestimmte Verhaltensweisen, die dem Trieb geschuldet sind, einteilen. Gerne in Kategorien wie »moralisch verwerflich«, »widerlich«, »hinterlistig« und dergleichen mehr. Dazu gehören harmlose Varianten wie das heimliche Pornogucken genauso, wie das sich beim Gangbang zwanzig Männern hinzugeben. Gut, nicht jede, die einen Gangbang macht, tut dies aus dem Trieb heraus, manchen ist vielleicht einfach nur langweilig und verbrecherisches Tun mit dem Trieb zu entschulden ist auch inakzeptabel.
Aber mir wirds ehrlich gesagt ganz blümerant, wenn hier von »abartig« oder »wie die Tiere« gesprochen wird. Das, meine lieben Freunde, ist inakzeptabel. Denn wir sind Tiere! Bevor wir diskutieren, möchte ich noch meine Einstellung zum Sexualtrieb kundtun. Beim Lesen könnte man meinen, ich sei derjenige hier, der immer die Schwanzbilder und die Willste-ficken-Mails verschickt. Nein, ich kann die Jungs nur gut verstehen, das ist alles. Ich aber schaffe den Spagat: Einerseits schaffe ich es (meistens) meinen Trieb zu sublimieren und andererseits kann ich all jene vollauf verstehen, die das eben nicht immer unter allen Umständen schaffen. Und ganz ehrlich: ich hasse all jene, die hier immer so abgehoben tun und von »Dreibeinern« und »Dorfmatrazen»« sprechen, denen gehört meine tiefste Verachtung, weil sich in deren vermeintlicher moralischer Integrität nur dümmliche Überheblichkeit, Hilflosigkeit und Unverständis mit einhergehender Intoleranz verstecken. Amen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar
So steht es zumindest auf dem Papier des deutschen Grundgesetzes. Nun, wie wir alle wissen, ist Papier manchmal recht geduldig und das ist beim Grundgesetz nicht anders. Meine Würde wird zum Beispiel fast täglich verletzt, dummerweise durch mich selbst, so dass ich niemanden Fremdes dafür verantwortlich machen kann. Aber mal ernsthaft, wozu der Trieb einen manchmal treibt, das ist absolut entwürdigend.
Die meisten Menschen werden vermutlich gar nicht begreifen (können) wovon ich rede, denn für sie ist »Trieb« gleich »Lust«. Falscher könnten sie mit der Einschätzung gar nicht liegen. Klar habe ich auch Lust, sehr oft sogar, aber der Trieb (und dessen Befriedigung, die nicht unbedingt befriedigend sein muss) hat mit der Lust erst einmal nichts zu tun. Das Wort sagt es schon aus, aber ist es nicht so, dass die ursprüngliche Bedeutung ein wenig in Vergessenheit geraten ist? Treiben, der Infinitiv. Ich bin getrieben, ich werde getrieben, klingt das nach Lust? Nein, es klingt nach Zwang und genau das ist es auch.
Es ist ein zwanghaftes Bedürfnis, sofort alles stehen und liegen zu lassen, um sich einem einzigen Ziel zu widmen: möglichst auf der Stelle jemanden zu finden, mit dem man sich paaren kann. Als »ordentlicher« Teil der menschlichen Gesellschaft, muss man seinen Trieb natürlich soweit sozialisiert haben, dass man funktioniert, man seinen Pflichten nachkommen kann und nicht straffällig wird. Nun, den meisten gelingt das auch. Diejenigen, denen das nicht gelingt, sind hier aber nicht Thema, sondern es geht um Menschen wie mich. Menschen, denen es gerade eben so gelingt.
Es geht um Leute, die einer Arbeit nachgehen, ihren Lebensunterhalt bestreiten, Verantwortung haben, vielleicht auch Familie und die aller Normen zum Trotz eine dunkle Seite in sich tragen. Ich betone noch einmal eindringlich, dass es nicht darum geht, ob man »mal geil« ist, oder Spaß am Sex hat. Ich gehe davon aus, dass dies auf nahezu alle zutrifft. Aber wer schon einmal eine rollige Katze gehört und erlebt hat, wird sich vielleicht die Dimension dessen vorstellen können, was jemand durchmacht, der hin und wieder auf der erdabgewandten Seite des Mondes weilt.
Dort wo unbändiges Verlangen auf gesellschaftliche Normen trifft, die einen hindern und beschränken; wo man sich hinterher manchmal »wie der letzte Dreck« fühlt, weil man wieder einmal seinem Trieb nachgeben musste; wo einen blankes Unverständnis trifft, wenn man sich traut, jemandem davon zu erzählen; wo man Angst haben muss, verfemt zu werden und warum? Weil man das tut, was man tun muss, weil sonst das Jucken unerträglich wird; weil man auf- und abtigert wie der Panther in Rilkes Gedicht und weil man, wenn man nichts tut, ebenso im Herzen aufhört zu sein, wie jener Panther.
»Ja, dann mach’s dir doch einfach selbst!« All jene, die uns nicht begreifen, kommen mit solchen und ähnlichen Ratschlägen. Das ist, als würde die freiwillige Feuerwehr von Brokdorf versuchen, eine Kernschmelze im nahe gelegenen Atomkraftwerk aufhalten wollen – zwecklos. Unsereins kann die Katze verstehen, die – ihren Arsch hochgereckt – sich allem und jedem darbietet, wenn er doch nur ihre Leere vertriebe, wenn sie doch nur das bekäme, was jetzt ihr sehnlichster Wunsch und ihr dringlichstes Bedürfnis ist. Da ist das Masturbieren nicht mehr als ein Tropfen auf das heiße Bein.
Was ich nicht schon alles angestellt habe, um diese Gier zu stillen und ich werde nicht einmal mehr rot dabei. Lange dachte ich, ich sei pervers oder sexsüchtig, bis ich feststellte, dass es nicht wenigen so geht, Männern und Frauen, wobei letztere sich deutlich schwerer tun, dies zuzugeben, auch vor sich selbst. Reflexartig wird von Frauen betont, man sei aber nicht »so eine«, obwohl man im Joyclub angemeldet sei, wobei offen bleibt, was mit »so einer« denn nun gemeint ist. Man habe es nicht nötig, sich hier einen Fickpartner zu suchen, den bekäme man ja draußen viel leichter und viel bessere natürlich auch. Man habe ja gewisse Ansprüche und ficke schließlich nicht jeden dahergelaufenen. Tja, was ist denn nun, sind Frauen weniger geil als Männer? Zumindest sind Frauen wahre Meisterinnen darin, aus dem Verzicht den sie üben, dergestalt Nutzen zu ziehen, dass sie sich selbst besser fühlen (ich habe verzichtet, ergo ich bin doch kein Flittchen!) und natürlich anderen ihren Verzicht wie ein Fanal präsentieren, ein flammendes Zeichen ihrer moralischen Integrität. Damit steigern sie den »Wert«, den sie in der Gesellschaft besitzen erheblich.
Jede(r) kennt das Gerede über die »Dorfmatratzen« oder die »Wanderpokale« und Frauen scheinen geradezu panische Angst davor zu haben, selbst irgendwann in einem solchen Ruf zu stehen. Um dies zu verhindern, da wird dann eben auf Teufel komm raus verzichtet, auch wenn man sich deswegen selbst belügen muss. Und natürlich kann man sich damit ganz toll auch von den vielen schwanzgesteuerten Männern abheben und ihnen ein ums andere Mal vor Augen führen, was für nichtsnutzige, verdorbene Subjekte sie sind und dass man froh sein könne, ausgewählt worden zu sein, trotz des Status »Mann«. Da dieses Verhalten dem System »Frau« immanent zu sein scheint, kann man natürlich nicht sagen, ob der Sexualtrieb bei Frauen gleich stark ausgeprägt ist. Die Schriftstellerin Esther Vilar prägte den Ausspruch: »Die Frau kontrolliert ihren Sex, weil sie für Sex all das bekommt, was ihr noch wichtiger ist als Sex.« Nach vielen Jahren an der Front, bin ich geneigt, ihr zu glauben – leider.
In zunehmendem Maße werden auch Männer von diesem Ich-leugne-meinen-Sexualtrieb-Virus befallen. Auf Datingseiten im Internet oder in entsprechenden Foren wird auch von den Männern immer häufiger darauf aufmerksam gemacht, man sei schließlich nicht so, wie die »Mitbewerber«; man habe selbstverständlich Stil, Niveau und Geschmack und würde natürlich ein dummes Bunny mit dicken Dingern nicht auswählen, nicht mal in der Not, denn so nötig hätte man es nicht. Der Mann, der öffentlich zugibt, manchmal einfach einen Fick und dafür eine entsprechende Körperöffnung zu brauchen (ungeachtet der Trägerin und deren sozialen Status, Aussehen, Liebreiz, Intelligenz und dergleichen mehr), stellt sich selbst ins Abseits, was seine Chancen bei »höherwertigeren« Bewerberinnen angeht. Lustigerweise schreibt er dies auch dann, wenn er trotzdem nur einen Fick sucht. Dass er dadurch – und den damit gezwungenermaßen verbundenen Verhaltensweisen nach einem Fick – dem Klischee »alle Männer sind Schweine« natürlich weitere Nahrung gibt, ist ihm egal: Nach ihm die Sintflut.
Gut, der Trieb wird verdrängt, geleugnet, missverstanden, gehasst, verflucht, aber hat er denn auch was Gutes? Ungeachtet all dessen, was ich bisher geschrieben habe: Ja, und ich will ihn nicht missen, ich würde nicht auf ihn verzichten wollen! Als ich neulich mit einer Freundin über diese Gedanken sprach, sagte sie nach meinen Ausführungen: »Okay, so wie du es schilderst, ist es bei mir nicht. Und darüber bin ich heilfroh.« Man kann sagen, das ist die Standardantwort, wenn ich vom Trieb erzähle und davon, wie es ist, so abhängig zu sein. Ganz spontan erwiderte ich: »Das dachte ich mir schon, aber sei versichert, dir entgeht was.« Diese Antwort »dir entgeht was«, hat etwas von dem chinesischen Fluch »Mögest du in interessanten Zeiten leben.«, denn es entgeht einem natürlich viel Negatives, wie sich jedermann wird denken können und genauso war es auch gedacht, aber eben nicht nur.
Wer wenigstens einmal erlebt hat, dass dieser Trieb auf fruchtbaren Boden fällt, man also jemandem begegnet, dem es ähnlich geht, einem Seelenverwandten, der wird umso reichlicher belohnt werden. Damit ist nicht gemeint, dass es außerhalb solcher Begegnungen keinen guten Sex geben kann, natürlich gibt es den, allerdings kommt diesem Zusammentreffen eine ganz besondere Bedeutung zu. Man muss sich nicht schämen, seltsame Gelüste zu haben; es muss einem nicht peinlich sein, sich auf fragwürdige Begegnungen eingelassen zu haben; man wird nicht als Mensch zweiter Klasse gesehen, weil man bestimmen ethisch-moralischen Grundsätzen nicht genügen kann und will; und man wird nicht danach bewertet, wie gut man in der Lage sein wird, sich beherrschen zu können. Nein, man wird akzeptiert, weil man verstanden wird und ein stärkeres Aphrodisiakum kann es kaum geben.