Gibt es Dinge im Leben, die Ihr bereut?
In Anlehnung eines geschlossenen Threads, welche mich nachdenken lässt, stelle ich die Frage in den Raum;Ich bin eine gestandene Persönlichkeit. Habe meinen drei wunderbaren Kindern eine gute Portion Stärke, Schwäche, Aufrichtigkeit, Authentizität und Empathie mitgegeben und ein wenig stolz zu sein, wenn ich aus der Ferne beobachte, welch starke Persönlichkeiten aus ihnen bis dato geworden sind, erlaube ich mir auch.
Meine bisherigen Beziehungen waren im Kern alle sehr lange ausgeprägt und ziemlich Bodenständig. Manche Schicksalsschläge haben mich sehr getroffen und dennoch habe ich meine Lebensfreude nie aufgegeben.
Aus meiner perspektive gab und gibt es keine Probleme, sondern nur Lösungen und Ansätze Dinge des Lebens zu bewerkstelligen.
Und dennoch frage ich mich, ob ich einer Lüge aufgesetzt bin, wenn ich sagen „Ich bereue nichts“ ?
„Ich bereue nichts“ ist die Ausnahme in meinem Umfeld, in dem niemand wirklich viel auf Inspirational Quotes gibt – das sind diese rosarot verklärten Sprüche über die Kraft der positiven Gedanken, die deinem tristen Alltag eine Prise Poets Society-Vanilla-Spice einhauchen sollen.
Selbst der größte Blödsinn, den ich je verbockt habe, hat mich also zu der vermeintlich weiseren Person gemacht, die ich heute bin, möchte mir dieses hartnäckige „Bereue nichts“ sagen, und deshalb ist es gut, dass das alles so passiert ist.
Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Einstellung Mut machen oder etwa eine gewisse Entspanntheit den Dingen gegenüber anregen soll. Aber wie genau funktioniert dieses nichts-Bereuen? Und ist es wirklich so erstrebenswert? Denn bei all den positiven Absichten klingt das alles auch unreflektiert und selbstgerecht für mich.
Diese Herangehensweise eliminiert jeglichen Anspruch, das Geschehene und damit auch bestehende Strukturen und Abläufe kritisch zu hinterfragen und aus der Vergangenheit zu lernen: Wenn wir uns nur oft genug sagen, dass die Dinge so passieren, wie sie passieren sollen und alles seinen Grund hat, dann ist Reue de facto unnütz.
Doch sobald es eine Trial-and-Error-Situation gibt (also täglich ungefähr 297 Mal), gibt es auch ein Reuemoment oder? Über Fehler in der Vergangenheit, die schlicht und einfach da sind und eine*n nur ganz vielleicht etwas fürs Leben gelehrt haben, über die spricht niemand so richtig.
Dieses imperative „Bereue nichts!“ geht mir deshalb doch eher auf die Nerven, als dass es mich inspiriert, denn ich bin 53 und bereue bisher so einiges in meinem Leben:
Ich bereue, dass ich als Teenager nicht schon mit 19 statt erst mit 21 in Therapie gegangen bin um einen schweren Unfall zu verarbeiten.
Ich bereue auch, dass ich damals mit 15,5 Jahren so unbedingt erwachsen sein wollte, auszog und dadurch einen kleinen Teil meiner Jugend verpasst habe.
Ich bereue, dass ich nach der Schule direkt in die Ausbildung gegangen bin, obwohl ich wusste, dass es nicht das war, was ich machen wollte, und deshalb Jahre später erst studiert habe.
Ich bereue, Menschen vertraut zu haben, obwohl die Anzeichen ihrer Lüge so offensichtlich waren.
Ich bereue, mich nicht früher zu meinen Stärken, Schwächen und Interessen bekannt und für mich eingestanden zu haben.
Ich bereue, dass ich in Momenten geschwiegen habe, in denen ich den Mund hätte öffnen sollen.
Die Liste geht noch weiter, aber ich merke: Ich bereue viel. Fühlt sich das gut an? Nein. Bin ich alleine damit? Auch nicht – zum Glück.
Googelt man „Was bereuen die Menschen?“ kommen meist rührselige Geschichten über das, was am Sterbebett erzählt wird. Was mit denen ist, die noch leben, findet man allerdings nicht auf den ersten Seiten der Suchergebnisse.
Wer lange sucht, stößt allerdings irgendwann auf ein Projekt, bei dem Menschen online anonym Dinge teilen, die sie bereuen. Von „Ich wünschte, ich hätte meiner damaligen Freundin nicht mein Laptop-Passwort gegeben“ bis hin zu „Ich wünschte, ich hätte dich nach der Freigabe zur Adoption noch einmal aufgesucht“ sind hier ganze Bände menschlicher Reue in Form von Dreizeilern nachzulesen.
Meine Gedanken lassen sich also offensichtlich nicht damit begründen, dass ich in den 53 Jahren, in denen es mich gibt, ganz besonders viel Mist gebaut habe, sondern schlicht damit, dass wir alle Dinge bereuen, aber in einer Welt leben, in der man die eigenen Fehler lieber nicht laut zugibt.
Und das ist doch schon der Knackpunkt: Reue ist scheinbar etwas, das Fehlern inhärent ist und enttabuisiert gehört. Ihr Annehmen ist für mich eher gesunder Pragmatismus denn ein Festhängen in der Vergangenheit. Denn solange ich durch das Bereuen Fehler einsehe und Konsequenzen für die Zukunft aus ihnen ziehe, scheint mir diese verpönte Reue ein ziemlich menschliches Symptom zu sein, das Lernprozesse erst so richtig ins Rollen bringt.
Stehe ich hier mit meiner Denkweise alleine oder wie seht ihr das?