„...sexpositiv = sexuell aufgeschlossen. Aber warum braucht es hierfür schon wieder einen besonderen Begriff?
Nunja... ich war bereits "sexpositiv" als dieser Begriff in meinem Umfeld noch nicht genutzt wurde/ es diesen Begriff noch nicht gab.
Früher trafen wir uns unter Überschriften wie "Let's talk about Sex.", weil etliche Männer meinten, "Emanzipation" ginge sie nichts an. Im Schlafzimmer stand dann aber bei so einigen Männern "gefühlt" die halbe Fußballmannschaft mit im Raum. Der Mann wollte sich unbedingt beweisen, ein echter Kerl zu sein. Und er zog irgendeine Macho-Nummer ab, die so gar nicht seinem eigenen Naturell entsprach. Aber seine Kumpels hatten diese Sexpraktik/ sexuelle Einstellung mit "echter Kerl" belegt und andere sexuelle Einstellungen und Vorlieben ausgeschlossen/ entwertet. Da geisterte einiges an "so darfst du nicht sein" im Kopf umher. Also selbst wenn er mal was ausprobierte, was seinem eigenen Naturell entsprach und ihm viel Lust und Freude bereitete, entwertete sich der Mann danach schon Mal selbst. Weil ein "echter Kerl" macht sowas ja nicht. Bzw. hatte er nur die Anerkennung durch seine Sexualpartnerin. Nicht aber die Anerkennung anderer Männer. Das erschwerte es ihm, sich selbst so zu akzeptieren wie er ist.
Selbstverständlich galt das nicht für alle Männer.
Aber so einige Männer hatten da ein größeres oder kleineres Problemfeld und waren regelmäßig Thema auf Frauenabenden:
Warum macht sich wohl ein Hetero-Mann beim Sex von der Anerkennung anderer Männer abhängig?
Womöglich hatten es ältere Generationen auch leichter. Die mussten sich bloß von den Glaubenssätze der christlichen Kirchen befreien. Jedwede sexuelle Lust war Teufelswerk. Welche Sex-Art einer bevorzugte war da völlig irrelevant. Über den Sex per se wurde sehr viel weniger gesprochen oder über Medien verbreitet. Wie sich ein "echter Kerl" beim Sex zu verhalten habe, war weitest gehend unbekannt. War die Hürde "Teufelswerk" ein mal genommen, war man offener für eigene Erfahrungen.
„Dürfen Männer auch sexuell aufgeschlossen sein oder können wir das auch nicht..?
Ich würde eher sagen, Männer waren im Schnitt wesentlich ungeübter darin, über Sexualität zu sprechen.
Abgesehen von Hahnenkämpfen, in denen es darum ging, sich mit Sex-Wissen und Angeberei gegenseitig zu übertrumpfen und den Diskussionsgegner bzw. dessen sexuelle Vorlieben & Einstellungen zu entwerten. Das waren alle Männer gewöhnt und darin waren viele Männer geübt. Unter Männern war das ja völlig normal. Aber für die eigene sexuelle Orientierung waren Hahnenkämpfe kontraproduktiv. Irgendwie blieb ja doch immer ein Teil des Gesagten im Kopf hängen.
Und für die Kommunikation mit der Sexualpartnerin waren Hahnenkampf-Allüren auch nicht hilfreich. Immer weniger Frauen zeigten dafür Verständnis.
Frauen kommunizierten auf Frauenabenden zwar auch nicht immer völlig wertfrei über Sexualität. Doch im Allgemeinen lag der Schwerpunkt schon immer mehr auf gegenseitigem Verständnis und Austausch. Die Akzeptanz von unterschiedlichen sexuellen Vorlieben war zwar auch begrenzt. Was allzu weit abseits der Norm lag, wurde auch oft entwertet. Aber es gab bereits eine gewisse Bandbreite an sexuellen Vorlieben, die akzeptiert wurde. Und der emanzipatorische Gedankengang: "Wir ticken halt unterschiedlich. Keine Frau muss alles mögen/ praktizieren. Und es gibt Männer, die deine sexuelle Vorliebe XY teilen.", war auf den meisten Frauenabenden bereits vorhanden.
Wie auch immer... die Möglichkeiten im 1:1 dem eigenen Sexualpartner bei seiner Emanzipation auf die Sprünge zu helfen, waren begrenzt. Ich fand es auch immer anstrengend als einzelne Frau gefühlt gegen eine halbe Fussballmannschaft anzutreten. Dieses "Huhu, hier geht's nur um Dich und mich. Mit deinen Kumpels will ich nicht ficken. Also ist mir auch Scheiß egal, was die über Sex erzählen. Und dir sollte das auch scheiß egal sein. Außer du willst mit deinen Kumpels ficken. Aber bitte nicht in meinem Schlafzimmer!"
In einer Gruppe voller Menschen, die sich "sei-Du-Selbst" auf die Fahnen geschrieben hat und dass doch jeder seine eigene Sexualität entwickeln und ausleben dürfen solle (im Einvernehmen mit dem Sexualpartner), lassen sich die "echter Kerl"-Vorgaben leichter hinterfragen und aufdröseln.
In sexpositiven Gruppengesprächen machen Männer rascher Fortschritte. Am meisten, wenn die eigene Sexualpartnerin nicht dabei ist. Und einige Männer haben dann auch angefangen, mit anderen Männern produktive Gespräche über Sexualität zu führen. Aber wenn wir bei den Einladungen zu unseren Gruppentreffen den Begriff "Emanzipation" verwendet hätten, wäre kaum ein Mann erschienen.
Also: Ja, um die Männer mit an Board zu holen, brauchte es andere Begriffe. Und mit der Zeit hat sich eben der Begriff "Sexpositiv" etabliert.