182.
Es ist der 13. Dezember. Bevor wir frühstücken, gehen wir zum Computer und sehen uns die Wetternachrichten aus Neuguinea an. Bereits jetzt am frühen Morgen ist es sechsunddreißig Grad. Das Hochdruckgebiet soll drei Tage dort verweilen und dann nach Norden wandern. Jetzt brauchen wir noch ein entsprechendes Tiefdruckgebiet, das mit dem Hoch zusammen trifft. Doch davon gibt es zu dieser Jahreszeit reichlich im Pazifik.
Am Nachmittag werden Temperaturen von dreiundvierzig Grad gemeldet. Mit den Menschen dort möchte ich jetzt nicht tauschen. Die Luftfeuchtigkeit von über neunzig Prozent macht die Hitze nicht erträglicher. Doch meistens folgt solchen Hitzewellen ein starker Regen und beides zusammen bedeutet für die Menschen eine gute Ernte: Für viele das Einzige, was zählt. Deshalb ertragen sie die Temperaturen freudig und arbeiten noch härter. Dagegen haben wir angenehme zweiundzwanzig Grad Außentemperatur. Wir beschließen, aufs Deck zu gehen und zum Abendessen etwas zu grillen. Schließlich müssen wir mit den Vorräten nicht mehr sparsam sein. Wenn Männer unter sich sind, ersetzt Fleisch das Gemüse und jede Sättigungsbeilage.
Am folgenden Tag wird von fünfundvierzig Grad in der Spitze berichtet. Gleichzeitig baut sich unter den Philippinen ein Unwetter auf, das sich auf den Weg Richtung Golf von Thailand macht. Alles ganz normal zu der Jahreszeit. Am 15. Dezember fällt unsere Außentemperatur auf dreizehn Grad. Ich sitze mit Sergej vor dem Wettermonitor und beobachte die Anzeigen. Das Zentrum des Tiefdruckgebiets liegt sechzig Kilometer westlich. Bis zum Abend kleben unsere Augen auf dem Monitor: Es setzt sich nach Süden in Bewegung. Wenn sich das Hochdruckgebiet über Neuguinea wirklich nach Norden absetzt, müssen die beiden Fronten zusammentreffen. Ich habe die Nacht einen ungewöhnlich unruhigen Schlaf, aus dem ich mehrmals aufwache. Um halb sechs reicht mir das Warten. Ich stehe auf und gehe auf die Brücke. Ich brauche die Frage nicht zu stellen, sein Gesichtsausdruck gibt mir bereits die Antwort.
„Wie schnell?“
„Sechzig Knoten, in null zwei drei Grad.“
„Und die Kaltfront?“
„Vierzig Knoten, nach eins sieben eins Grad.“
„Wo werden sie sich treffen?“
„Circa bei 4° 3“ N und 144° 35“ O.“
Ich sehe auf der Karte nach.
„Das wäre etwa fünfhundert Seemeilen in eins sechs zwei Grad von uns entfernt?“
„Kommt hin. Jetzt müssen wir nur noch abwarten, wie stark er wird und in welche Richtung er sich bewegt.“
„Morgen um die Zeit sind wir schlauer.“
„Eher Morgen Mittag.“
„Jeder nimmt sich heute eine Portion Extraschlaf. Wahrscheinlich werden wir die nächsten zwei Tage sehr wenig bekommen.“
„Das heißt, das Warten hat endlich ein Ende“, sagt ein verschlafen die Brücke betretener Said.
„Sieht so aus.“
Wir zeigen ihm auf dem Monitor, was wir erwarten.
„Das soll heißen, morgen Abend wird’s ernst?“
„Ja. Wir werden in der Nacht auf ihn treffen. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist.“
„Für Ihren Plan gut, Chef. Für unsere Überlebenschancen, eher schlecht.“
„Danke, für deine aufmunternden Worte, Sergej.“
„Gern geschehen.“
„SKLAVIN.“
Eine halbe Minute später erscheint die klatschnasse Rita, mit Schaum im Haar.
„Ja, Master.“
„Die nächsten vierundzwanzig Stunden bereitest du nur das Beste zu, was die Speisekammer hergibt.“
„Ja, Master.“
„Versuche außerdem, so viel es geht so zuzubereiten, dass wir es die nächsten Tage auch kalt essen können. Frikadellen, Braten, Schnitzel, Nudel- und Kartoffelsalat.“
„Ja, Master.“
Ihre Tonart lässt mich vermuten, dass sie den Grund dafür erfahren möchte. Doch nachzufragen, traut sie sich nicht. So erspart sie mir eine Lüge.
„Und jetzt verschwinde. Du siehst aus, als wärst du mit deiner letzten Beschäftigung noch nicht ganz fertig.“
„Ja, Master“, lächelt sie und huscht wieder unter die Dusche.
„Seenot mit kaltem Buffet. Mal was anderes, Chef“, schmunzelt Sergej.
„Wir werden früh genug auf Dosenfutter zurückgreifen müssen.“
„Stimmt auch wieder.“
Als Rita das Frühstück serviert, können wir sehen, dass sie den Befehl zu einhundert Prozent umsetzt. Jeder bekommt sechs Spiegeleier auf Baconscheiben, die so dick sind, dass Brot darunter überflüssig ist. Sie verbringt den ganzen Tag in der Küche. Gelegentlich sehe ich nach ihr, um einige ihrer Gerichte transportgerecht zu verpacken. Am Abend werfe ich alles Überflüssige aus dem Gefrierschrank und stopfe ihn mit Kühlakkus voll. Sobald wir Phase eins abgeschlossen haben, werde ich mit Said alles in eine Thermobox packen und sie aufs Boot bringen. Mit etwas Glück ersparen uns die Gerichte auf diese Weise drei oder vier Tage Dosenfleisch und Ravioli.
Meine Nachtwache ist heute nicht so langweilig wie die anderen Tage. Mit einer Mischung aus Spannung, Hoffnung und Angst verfolge ich auf dem Monitor, wie sich die beiden Wetterfronten annähern. Zehn Minuten bevor Sergej mich ablösen soll, passiert es. Sie stoßen aufeinander und beginnen sich zu drehen. An Schlaf ist für mich jetzt nicht mehr zu denken. Deshalb lasse ich Sergej schlafen und beobachte, was passiert. Gegen vier ist klar, dass es mindestens ein Stufe drei wird. Doch er ist noch dabei, sich aufzubauen und hat Potenzial nach oben. Eine halbe Stunde später erscheint ein noch etwas verschlafen dreinblickender Sergej. Er wirft einen Blick auf den Monitor und erspart sich die Frage, warum ich ihn nicht geweckt habe. Er verschwindet ins Bad und ich setze frischen Kaffee auf. Kurz darauf setzt er sich mit einer Tasse neben mich und sieht sich die Wetterkarte an.
„Scheint genau das zu werden, worauf Sie gehofft haben.“
„Jetzt muss er sich nur noch zwischen drei zwei null Grad und drei fünf null Grad in Bewegung setzen.“
„Drei zwei null Grad wäre besser. Je weiter weg von den nördlichen Marianen, desto geringer die Gefahr, dass die Amis Ihrem Plan in die Suppe spucken.“
„Sieh mal nach, wann heute Abend die Sonne untergeht.“
Sergej tippt auf der Tastatur.
„19:26 Uhr.“
„Dann wäre es nett von dem Taifun, wenn er sich bis siebzehn Uhr in Bewegung setzt.“
„Ja, mir wäre es auch lieber, dass wir noch etwas Licht haben, wenn wir ins Wasser gehen.“
„Eigentlich ist es egal, welchen Kurs er einschlägt.“
„Wie meinen Sie das?“
„Er ist unsere letzte Chance für dieses Jahr.“
„Wahrscheinlich. Dann können wir nach dem Frühstück den Proviant an Bord bringen und brauchen nicht warten.“
„Dann ist es auch nicht so anstrengend und wir können zwischendurch Pausen machen.“
Es ist der 13. Dezember. Bevor wir frühstücken, gehen wir zum Computer und sehen uns die Wetternachrichten aus Neuguinea an. Bereits jetzt am frühen Morgen ist es sechsunddreißig Grad. Das Hochdruckgebiet soll drei Tage dort verweilen und dann nach Norden wandern. Jetzt brauchen wir noch ein entsprechendes Tiefdruckgebiet, das mit dem Hoch zusammen trifft. Doch davon gibt es zu dieser Jahreszeit reichlich im Pazifik.
Am Nachmittag werden Temperaturen von dreiundvierzig Grad gemeldet. Mit den Menschen dort möchte ich jetzt nicht tauschen. Die Luftfeuchtigkeit von über neunzig Prozent macht die Hitze nicht erträglicher. Doch meistens folgt solchen Hitzewellen ein starker Regen und beides zusammen bedeutet für die Menschen eine gute Ernte: Für viele das Einzige, was zählt. Deshalb ertragen sie die Temperaturen freudig und arbeiten noch härter. Dagegen haben wir angenehme zweiundzwanzig Grad Außentemperatur. Wir beschließen, aufs Deck zu gehen und zum Abendessen etwas zu grillen. Schließlich müssen wir mit den Vorräten nicht mehr sparsam sein. Wenn Männer unter sich sind, ersetzt Fleisch das Gemüse und jede Sättigungsbeilage.
Am folgenden Tag wird von fünfundvierzig Grad in der Spitze berichtet. Gleichzeitig baut sich unter den Philippinen ein Unwetter auf, das sich auf den Weg Richtung Golf von Thailand macht. Alles ganz normal zu der Jahreszeit. Am 15. Dezember fällt unsere Außentemperatur auf dreizehn Grad. Ich sitze mit Sergej vor dem Wettermonitor und beobachte die Anzeigen. Das Zentrum des Tiefdruckgebiets liegt sechzig Kilometer westlich. Bis zum Abend kleben unsere Augen auf dem Monitor: Es setzt sich nach Süden in Bewegung. Wenn sich das Hochdruckgebiet über Neuguinea wirklich nach Norden absetzt, müssen die beiden Fronten zusammentreffen. Ich habe die Nacht einen ungewöhnlich unruhigen Schlaf, aus dem ich mehrmals aufwache. Um halb sechs reicht mir das Warten. Ich stehe auf und gehe auf die Brücke. Ich brauche die Frage nicht zu stellen, sein Gesichtsausdruck gibt mir bereits die Antwort.
„Wie schnell?“
„Sechzig Knoten, in null zwei drei Grad.“
„Und die Kaltfront?“
„Vierzig Knoten, nach eins sieben eins Grad.“
„Wo werden sie sich treffen?“
„Circa bei 4° 3“ N und 144° 35“ O.“
Ich sehe auf der Karte nach.
„Das wäre etwa fünfhundert Seemeilen in eins sechs zwei Grad von uns entfernt?“
„Kommt hin. Jetzt müssen wir nur noch abwarten, wie stark er wird und in welche Richtung er sich bewegt.“
„Morgen um die Zeit sind wir schlauer.“
„Eher Morgen Mittag.“
„Jeder nimmt sich heute eine Portion Extraschlaf. Wahrscheinlich werden wir die nächsten zwei Tage sehr wenig bekommen.“
„Das heißt, das Warten hat endlich ein Ende“, sagt ein verschlafen die Brücke betretener Said.
„Sieht so aus.“
Wir zeigen ihm auf dem Monitor, was wir erwarten.
„Das soll heißen, morgen Abend wird’s ernst?“
„Ja. Wir werden in der Nacht auf ihn treffen. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist.“
„Für Ihren Plan gut, Chef. Für unsere Überlebenschancen, eher schlecht.“
„Danke, für deine aufmunternden Worte, Sergej.“
„Gern geschehen.“
„SKLAVIN.“
Eine halbe Minute später erscheint die klatschnasse Rita, mit Schaum im Haar.
„Ja, Master.“
„Die nächsten vierundzwanzig Stunden bereitest du nur das Beste zu, was die Speisekammer hergibt.“
„Ja, Master.“
„Versuche außerdem, so viel es geht so zuzubereiten, dass wir es die nächsten Tage auch kalt essen können. Frikadellen, Braten, Schnitzel, Nudel- und Kartoffelsalat.“
„Ja, Master.“
Ihre Tonart lässt mich vermuten, dass sie den Grund dafür erfahren möchte. Doch nachzufragen, traut sie sich nicht. So erspart sie mir eine Lüge.
„Und jetzt verschwinde. Du siehst aus, als wärst du mit deiner letzten Beschäftigung noch nicht ganz fertig.“
„Ja, Master“, lächelt sie und huscht wieder unter die Dusche.
„Seenot mit kaltem Buffet. Mal was anderes, Chef“, schmunzelt Sergej.
„Wir werden früh genug auf Dosenfutter zurückgreifen müssen.“
„Stimmt auch wieder.“
Als Rita das Frühstück serviert, können wir sehen, dass sie den Befehl zu einhundert Prozent umsetzt. Jeder bekommt sechs Spiegeleier auf Baconscheiben, die so dick sind, dass Brot darunter überflüssig ist. Sie verbringt den ganzen Tag in der Küche. Gelegentlich sehe ich nach ihr, um einige ihrer Gerichte transportgerecht zu verpacken. Am Abend werfe ich alles Überflüssige aus dem Gefrierschrank und stopfe ihn mit Kühlakkus voll. Sobald wir Phase eins abgeschlossen haben, werde ich mit Said alles in eine Thermobox packen und sie aufs Boot bringen. Mit etwas Glück ersparen uns die Gerichte auf diese Weise drei oder vier Tage Dosenfleisch und Ravioli.
Meine Nachtwache ist heute nicht so langweilig wie die anderen Tage. Mit einer Mischung aus Spannung, Hoffnung und Angst verfolge ich auf dem Monitor, wie sich die beiden Wetterfronten annähern. Zehn Minuten bevor Sergej mich ablösen soll, passiert es. Sie stoßen aufeinander und beginnen sich zu drehen. An Schlaf ist für mich jetzt nicht mehr zu denken. Deshalb lasse ich Sergej schlafen und beobachte, was passiert. Gegen vier ist klar, dass es mindestens ein Stufe drei wird. Doch er ist noch dabei, sich aufzubauen und hat Potenzial nach oben. Eine halbe Stunde später erscheint ein noch etwas verschlafen dreinblickender Sergej. Er wirft einen Blick auf den Monitor und erspart sich die Frage, warum ich ihn nicht geweckt habe. Er verschwindet ins Bad und ich setze frischen Kaffee auf. Kurz darauf setzt er sich mit einer Tasse neben mich und sieht sich die Wetterkarte an.
„Scheint genau das zu werden, worauf Sie gehofft haben.“
„Jetzt muss er sich nur noch zwischen drei zwei null Grad und drei fünf null Grad in Bewegung setzen.“
„Drei zwei null Grad wäre besser. Je weiter weg von den nördlichen Marianen, desto geringer die Gefahr, dass die Amis Ihrem Plan in die Suppe spucken.“
„Sieh mal nach, wann heute Abend die Sonne untergeht.“
Sergej tippt auf der Tastatur.
„19:26 Uhr.“
„Dann wäre es nett von dem Taifun, wenn er sich bis siebzehn Uhr in Bewegung setzt.“
„Ja, mir wäre es auch lieber, dass wir noch etwas Licht haben, wenn wir ins Wasser gehen.“
„Eigentlich ist es egal, welchen Kurs er einschlägt.“
„Wie meinen Sie das?“
„Er ist unsere letzte Chance für dieses Jahr.“
„Wahrscheinlich. Dann können wir nach dem Frühstück den Proviant an Bord bringen und brauchen nicht warten.“
„Dann ist es auch nicht so anstrengend und wir können zwischendurch Pausen machen.“