Ist 1 + 1 = 2 ?
@******que
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem 1000-sten Beitrag.
Auch wenn es sich hier um kein literarisches Forum handelt - wie
ein geschätztes, im Wohlfühlen promoviertes Mitglied richtig bemerkte
und aus diesem Grund die besondere Erwähnung dieser Leistung in
Frage stellte - so glaube ich, dass man durchaus dem Gedanken, in diesem
Forum 1000-mal ein kleines Stück von sich eingebracht und preisgegeben
zu haben, ein wenig nachhängen darf.
@**e freudianer und all die anderen
Ich möchte mich in meinem Beitrag nicht so sehr mit den Theorien von
Freud beschäftigen - wie dem hier bereits angesprochenen "Drei-Instanzen-
Modell der Psyche" mit "Es", "Ich" und "Über-Ich" oder den "psycho-
sexuellen Entwicklungsphasen" - sondern eher mit dem Problem, komplexe
Systeme - wie es eben die Psyche des Menschen darstellt - aus sich selbst
heraus erklären zu wollen.
Das klingt jetzt sicher sehr trocken und nüchtern und wer sich bereits hier
gelangweilt fühlt, kann getrost diesen Beitrag überspringen. - Der gewiegte
Allesleser kann sich ein Fläschchen Wein zur Hand nehmen und zumindest
so gegen die Trocken- und Nüchternheit ankämpfen.
Freud und die Psychoanalyse.
Dass Freud als Wissenschafter nicht unumstritten war und ist - und manche
sogar die gesamte Psychoanalyse als Pseudo-Wissenschaft abqualifizieren
ist kein Geheimnis, musste er doch selbst den einen oder anderen Irrtum in
seinen Thesen eingestehen.
Was aber unterm Strich bleibt, ist der Versuch eines großen Geistes - der
er unbestritten war - die menschliche Psyche analytisch zu betrachten und
ein System darin zu erkennen. Freud versuchte sowohl in der Entwicklung,
als auch in der Funktionsweise der menschlichen Psyche, Mechanismen zu
entdecken, die allgemeine Gültigkeit besitzen und somit auf jeden anwendbar
sind. Woraus sich Thesen für die Ursachen von Störungen in diesem System,
sowie, daraus resultierend, Möglichkeiten für deren Heilung, ergaben.
Eine Systematik in den menschlichen Verhaltensweisen zu finden, scheint
die Voraussetzung zu sein um Abweichungen, beziehungsweise
Fehlentwicklungen darin, erkennen, einordnen und beheben zu können.
Doch nun weg von Freud und seiner "Psychoanalyse" und hin zu Gödel und
seinem "Unvollständigkeitssatz". Es lebe die Mathematik!
Im ersten Moment könnte man meinen - wie herrlich die Mathematik doch
ist! 1 + 1 = 2 und das bei jedem und überall, ob bei Sigmund, bei Kurt und
bei mir, auf der ganzen Welt, ja im ganzen Universum! 1 + 1 = 2.
Doch auf den zweiten Blick und dank des bedeutendsten Logikers des 20.
Jahrhunderts - komisch nur, dass um seinen 100. Geburtstag, den er
heuer begeht, niemand großes Aufsehen macht - ist selbst in der Mathematik,
der angeblich "universellen Sprache des Universums", auch nicht alles so
widerspruchsfrei, vollkommen beweisbar und logisch erklärbar wie
allgemein angenommen.
Wer jetzt noch nicht schläft ist selber schuld - und daher sage ich nur "Prost",
jetzt wäre der richtige Moment für einen Schluck aus der Weinflasche!
Freud und Gödel.
Auch wenn ihre Fachgebiete noch so trennend wirken, haben sie außer dem
"runden" Geburtstag heuer, noch andere Gemeinsamkeiten: Beide wurden in
Städten auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik geboren, beide
studierten in Wien und verlebten in dieser Stadt auch den Großteil ihrer
Schaffensphase. Beide mussten mit Ausbruch des 2. Weltkrieges Österreich
verlassen und ins Exil gehen und beide setzten ihrem Leben, wenn auch auf
gänzlich unterschiedliche Art und Weise, selbst ein Ende.
Gödel und der Unvollständigkeitssatz.
Zumindest so bahnbrechend - und für die meisten Menschen unverständlich -
wie die Psychoanalyse, aber nicht annähernd so bekannt und in aller Munde.
"Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich
oder unvollständig."
Zu Gödels Zeit kam diese Erkenntnis wie ein Schock - offensichtlich konnte
jemand eindeutig beweisen, dass die Mathematik und andere Systeme,
(wenn diese hinreichend umfangreich sind) gar nicht vollständig sein können,
weil dies eine unabdingbare Eigenschaft eben solcher Systeme ist.
Was hier nun sehr trocken - ich empfehle einen weiteren Schluck aus der
Weinflasche - und mathematisch klingt, kann auch dem nicht geübten
Zahlen-Akrobaten durch ein paar vereinfachte Beispiele näher gebracht
werden:
Die Widersprüchlichkeit.
Wir befinden uns auf Kreta.....
Der Kreter Heraklides sagt: ,,Alle Kreter sind Lügner."
Dieser Satz ist das bekannteste Beispiel einer sprachlichen Paradoxie, auch
wenn für manchen der Widerspruch auf den ersten Blick vielleicht gar nicht
deutlich wird. Deshalb eine kurze Erklärung:
Wenn man davon ausgeht, dass Heraklides die Wahrheit sagt, dann lügen alle
Kreter. Alle Kreter, also auch er. Das heißt seine Aussage, "Alle Kreter sind
Lügner." wäre gelogen. Daraus folgt, wenn Heraklides die Wahrheit sagt,
lügt er. Paradox? - Genau! Und das Problem wird deutlich.
Solange Heraklides, der ein Kreter ist, etwas über die Kreter sagt, weiß man
nicht, ob er lügt oder die Wahrheit sagt, es ist ,,nicht-entscheidbar". Wenn der
Satz hieße, ein Grieche sagt: ,,Alle Kreter sind Lügner.", dann ist die Aussage
klar und entscheidbar. Entweder es stimmt, oder es stimmt nicht. Es lässt sich
vereinfacht sagen, jede Aussage, die ihre eigene Falschheit besagt, kann nie
falsch oder richtig sein, sie ist unentscheidbar. Erst wenn wir das System
verlassen (also Kreta) und von außen (also Griechenland) auf dieses System
blicken, erhalten wir eine eindeutige, widerspruchsfreie Aussage.
Die Unvollständigkeit.
Nehmen wir an, jemand müsste ein Buch schreiben mit der Aufgabe, darin
dieses Buch komplett in allen Einzelheiten zu beschreiben. Das System ist
hier das Buch, das nur eine endliche Seitenanzahl haben kann, nur endliche
Seitenmaße hat und widerspruchsfrei sein soll. Ein abgeschlossenes System
eben. Dieser Jemand fängt jetzt an, das Buch zu beschreiben. Er beginnt mit
der Farbe des Einbandes, der Seitenstärke, der Höhe und Breite der Seiten,
vielleicht noch der Papierart und des Geruchs. Irgendwann muss er auch
anfangen zu beschreiben, was in dem Buch steht. Es enthält nur den Text,
den er bis dahin geschrieben hat. Also beginnt er seinen eigenen Text zu
beschreiben, mit dem er auf Seite Eins begonnen hat. Doch schon bald wird
er feststellen, dass er nie fertig werden kann, denn er müsste alles, was er
gerade schreibt irgendwann selbst wiederum beschreiben! Das Buch würde
also unendlich dick werden, was aber in Widerspruch zu den Regeln, die für
unser Buch gelten, stünde. Das System wäre also weder widerspruchsfrei,
noch endlich. Er könnte das Buch nur dann vollständig beschreiben, wenn
er ein zweites Buch beginnen würde, also ein System außerhalb des Ersten.
Vereinfachter Beweis des Unvollständigkeitssatzes.
(Bei logischer Unverträglichkeit bitte diesen Absatz - das heißt die Punkte
1 bis 7 - überspringen und durch einen kräftigen Schluck Wein ersetzen.)
1. Stellen wir uns vor, jemand hätte eine "Universale-Wahrheits-Maschine",
in der Folge kurz "UWM", gebaut, welche angeblich alle Fragen die ihr
gestellt werden richtig beantwortet.
2. Wenn wir die Maschine genauer betrachten, werden wir feststellen, dass
das Programm mit dem sie arbeitet zwar äußerst komplex, aber nicht
unendlich ist, ja gar nicht unendlich sein kann. Nennen wir dieses Programm
"P-UWM" - "Programm für die Universale-Wahrheits-Maschine".
3. Dann schreiben wir folgenden Satz auf - Die Maschine, die auf der
Grundlage des "P-UWM" arbeitet, wird niemals sagen, dass dieser Satz
wahr ist. Diesen Satz nennen wir "G" für "Gödel". "G" heißt mit anderen
Worten also - Die "UWM" wird niemals sagen, dass "G" wahr ist.
4. Und nun fragen wir die "UWM", ob "G" wahr ist oder nicht.
An dieser Stelle könnte ein Schluck Wein nicht schaden!
5. Wenn die "UWM" nun sagt, dass "G" wahr ist, dann ist die Aussage -
Die "UWM" wird niemals sagen, dass "G" wahr ist. - falsch!
Wenn diese Aussage falsch ist, dann ist auch "G" falsch und das heißt,
wenn die UWM sagt, dass "G" wahr ist, dann ist "G" falsch, und macht
damit eine falsche Aussage, was sie als "Universale-Wahrheits-Maschine"
eigentlich nicht machen sollte. Daher wird sie also niemals sagen, dass "G"
wahr ist.
6. Wir wissen nun, dass die "UWM" niemals sagen wird, "G" sei wahr.
Also ist die Aussage - Die "UWM" wird niemals sagen, dass "G" wahr ist. -
tatsächlich wahr!
7. Das heißt, wir kennen eine Wahrheit, die die "UWM" nie sagen kann,
ohne sich zu widersprechen - der Traum von einer "UVM" ist somit
ausgeträumt.
"Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich
oder unvollständig."
Kann es dem "System" Mensch wirklich gelingen, seinen Geist lückenlos
zu erforschen, oder stößt es ebenso wie alle anderen Systeme an die
vorgegebenen Grenzen? Erscheint es aus der Sichtweise Gödels nicht
vielmehr logisch, dass Freud und die Psychoanalyse scheitern muss,
weil zur Erforschung des menschlichen Geistes eben nur ein solcher zur
Verfügung steht? Vielleicht geht es uns wie mit Heraklides auf Kreta und
es ist nur einem Nicht-Menschen möglich, eindeutige und beweisbare
Antworten auf jene Fragen zu liefern, bei denen sich der menschliche
Geist sozusagen selbst im Wege steht.
Dass unser Verstand jenem, nie enden wollenden Buch gleicht, welches
der Autor erst dann vollständig beschreiben könnte, wenn er ein neues
eröffnet, erscheint mir aufgrund des stetigen Drang des Menschen, Neues
erforschen und entdecken zu wollen, als fast logisch.
Der menschliche Verstand wird wohl, so lange es die Menschheit gibt,
unvollständig bleiben - und Widersprüchliches, produziert er allemal.
Bleibt nun als Trost für Freud und alle Anhänger einer "Universalen-
Wahrheits-Maschine", dass eine Wahrheit auch dann existieren kann,
wenn man sie nicht innerhalb des zur Verfügung stehenden Systems
beweisen kann - denn die "UWM" kannte ja auch die Wahrheit, sie
konnte sie nur nicht unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
SO!
Jetzt kann jeder getrost zu seiner Weinflasche greifen und sich den
vorhandenen Rest einverleiben. - "Prost!"
Logisch richtige Erklärungen sind in diesem Beitrag ganz und gar zufällig
und ungewollt.
lg raider