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• Wie seht ihr das? Verändert sich unsere Sexualität? Durch welche Einflüsse?
Ja, ich denk schon, daß sich Sexualität verändert. Genau genommen: die Rahmenbedingungen. Ich stamme noch aus der Zeit, als Erotikläden "Institut für Ehehygiene" hießen, eine Scheidung skandalös war und Sex "wunderbar, wenn man verheiratet ist" und widerwärtig, wenn ohne Trauschein. Und mittenrein dann die Auswirkungen der 68er, wo plötzlich alles möglich sein sollte, "wilde Ehe" und freie Liebe und was-weiß-ich propagiert wurde und daraus so'n Spannungsbogen zustandekam, der nicht so einfach zu bewältigen war für viele.
Meine Streunerjahre sehe ich im Rückblick als weniger verkrampft als vieles, was heute so gängig ist, und auch wenn's ein ausgelutschter Drops ist: daran ist das Internet mit all seinen Möglichkeiten hauptverantwortlich, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Anders als früher, wo heimlich Bravo und Dr. Sommers Kolumne oder ein zerfleddertes Pornoheftl aus irgendjemandes Elternschlafzimmer als Aufklärungsbroschüre weitergereicht wurde, können Kids heute zu jeglicher Art von Pornofilmen Zugang finden, lange bevor sie erste Erfahrungen gemacht haben. Und was bewirkt das? Aus der Entfernung betrachtet nehme ich sehr viel mehr Unsicherheiten wahr, vor allem, was die eigenen körperlichen Gegebenheiten angeht, aber auch, wie "man" flirtet, was "man" alles mitmachen, können, toll finden soll usw. Auf den ersten Blick wirkt die heutige Zeit extrem sexualisiert, aber mir kommt es so vor, als wären wir älteren Jahrgänge doch auch freier, direkter, weniger verklemmt in vielem.
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• Wo geht es in Zukunft hin?
Meine Glaskugel sagt eindeutig: "Keine Ahnung".
Ich nehme an, daß der Trend wieder hin zu Zweisamkeit, konservativeren Werten usw. noch ein Weilchen anhalten wird, während sich die nächsten freieren Entwicklungen schon anbahnen, besonders in Sachen Familienmodell/e, Mehrfachbeziehungen, neue Beziehungskonstellationen. Wünschenswert wäre das zumindest.
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• Und wie sieht es bei euch ganz persönlich aus?
Naja, ich hab lange Zeit einen Riesenbogen um Sex gemacht, dann exzessiv gelebt, ausprobiert und das Gefühl, nur wenig verpaßt zu haben. Eine Zeit lang hatte ich die Sehnsucht nach Weniger, nach Begrenzung, das pendelt sich so allmählich ein, ist aber ein Prozeß, der sicher nicht zum Stillstand kommen wird. Ich würd mal sagen: ich habe nicht das Bedürfnis, jeden Trend in Sachen Sex-Mode noch nachturnen zu müssen, gelegentlich schau ich neugierig zu, was die Jüngeren so treiben, freu mich darüber, daß v.a. die jungen Frauen so selbstbewußt sind, ihre Lust freimütig zu zeigen und zu leben.