Was mir in diesem Thread wie auch anderswo auffällt: Es fehlen Definitionen. Gerade "Liebe", "Single", "Beziehung" - wir benutzen diese Wörter so selbstverständlich, als wäre total geklärt, was darunter zu verstehen ist.
Ist es aber nicht.
Meint "Beziehung": 24/7, gemeinsame Wohnung, Alltag und Urlaube und Fernsehabende und Sex und Interessen und Familie und einfach ALLES miteinander teilen? Hm. Als "Beziehungsanarchist" (nicht mein Label, aber das, was meiner momentanen Lebensweise am nächsten kommt) habe ich nicht EINE, sondern viele Beziehungen. Jede ist einzigartig, entwickelt sich unterschiedlich, bei möglichst großer Autonomie der Beteiligten. Sind das "Freundschaften"? Ja, viele davon. Sind Freundschaften keine Beziehungen? Habe ich Sex mit einigen davon? Mit sehr wenigen, ja. Sind das dann keine "Beziehungen"? Warum nicht? Bin ich trotzdem...
"Single"? Wenn Single meint, keinerlei Verbindung zu irgend jemandem zu haben, ist hier wohl niemand Single. Also, was ist das dann sonst?
"Liebe"? Leute, hört mir mit diesem Begriff auf. Ich bin sehr innig verbunden mit mehreren Menschen, öffne mich total, sie sind mir sehr, sehr wichtig. Sie sind in meinem engen Lebensumfeld, dass auch durch meine Liebe definiert ist. Meine Liebe zur Welt, zu Menschen, zum Leben.
Meint "Liebe" ausschließlich diese EINE, exklusive, vollkommene, perfekte, ideale Form des sich aufeinander Beziehens, die letztlich doch sehr hormon- und chemiegesteuert ist, und mit der die meisten "Liebespaare" nach zwei Jahren dann zu kämpfen haben, weil es so gar nicht unserer Natur entspricht, diese ewig exklusiv fortzuführen, sondern eine gesellschaftliche Zwangsvorstellung? Ja, hatte ich. Mit 14 verliebt, mit 22 geheiratet, mit 54 geschieden. Die letzten zehn Jahre waren ein aussichtsloser Kampf gegen den (letztlich immer schon vorhandenen) Nebenbuhler Weinflasche und eine Befreiung aus dem Gefängnis mit therapeutischer Begleitung.
Worauf ich hinaus will? Neu denken. Freier, offener denken und fühlen. Beziehungen zwischen uns als einzigartig begreifen und in ihrem Wert schätzen, egal, in welche Schublade sie von außen gesteckt werden. Es ist so absurd, dass ich tausend Lebensformen, 500 Urlaubsziele, 200 Kleidungsstile aussuchen kann, aber es nur EINE Art und Weise geben soll, was eine "Beziehung" sein soll.
Ach ja, ich bin sehr gerne "Single" - ich wohne alleine, komme sehr gut mit mir selbst klar, aber ich bin ein Mensch und BRAUCHE Menschen. Nur eben nicht EINEN anderen, sondern viele verschiedene. Bin ich dann überhaupt "Single"?
I don't give a damn, wie der Amerikaner sagt.
Literaturempfehlung: Seyda Kurt: "Radikale Zärtlichkeit"