Verlernen ... eine gute Frage. Ich glaube, solange die Sehnsucht nach einem Menschen, der zu einem gehört, noch vorhanden ist, bleibt auch die Hoffnung, so jemanden zu finden.
Es wurden schon viele gute Punkte genannt, die ich z. T. auch bei mir wiederfinde:
• Man wird vorsichtiger. Als Jugendlicher / junger Erwachsener lebt man hauptsächlich in einer positiven Hoffnung. Je mehr mißglückte Erfahrungen man sammelt, desto mehr läßt diese - ich will nicht schreiben "naive", aber vielleicht "etwas blauäugige" - Hoffnung nach und weicht einer gewachsenen Skepsis aus den bisherigen Erfahrungen.
• Dazu kommt, daß sich die Kriterien ändern: Wenn ich so an meine ersten Schwärmereien zurückdenke - da war es hauptsächlich das Aussehen, vielleicht noch gleiche Hobbys und insgesamt ein witziges Wesen. Das hat sich inzwischen sehr geändert, da man gelernt hat, daß ganz andere Dinge ausschlaggebend sind, tiefere Dinge, die sich nicht so einfach erfüllen lassen.
• Die eigene Komfortzone - ja, zum Teil sicherlich. Aber auch, daß man nicht mehr so viel Energie übrig hat wie früher. Einerseits ist man älter geworden, andererseits wird man durch berufliche und andere Verpflichtungen ganz anders gefordert als früher: mehr Verantwortung, mehr Aufgaben, höherer Erwartungsdruck. Das entlädt den eigenen Akku schneller, als das früher der Fall war.
• Die unterschwellige Angst, etwas zu verlieren, sei es die eigene Freiheit, den Tagesablauf zu gestalten, der vermutete Erwartungsdruck, dem anderen etwas bieten zu müssen, der Schutz der eigenen vier Wände, in die man sich notfalls vor der ganzen Welt zurückziehen kann.
• Der kritische Blick auf sich selbst, den allgemeinen "Standards" nicht zu entsprechen: Ich habe es immer wieder gespürt oder es wurde auch konkret benannt: Zu klein, wenn sie hohe Schuhe tragen will, körperlich nicht trainiert genug, insgesamt nicht der Partytyp - das wurde mir mehr als einmal an den Kopf geworfen. Natürlich weiß ich, daß das nicht die Kriterien sind, auf die es letztendlich ankommt, aber es trifft einen doch, wenn der Mensch, für den man sich jetzt gerade interessiert, eben doch diese Kriterien anlegt. Man wird vorsichtiger, sich zu öffnen, einfach, weil es weh tut und am Selbstbewußtsein nagt, wenn's dann wieder passiert.
• Nicht zuletzt die Auswahl: Viele, die wissen, was wirklich wichtig ist, sind in einer Beziehung, also nicht im Spiel. Manche von den Dauer-Singles sind zu anspruchsvoll, und wenn man sich an so jemanden heranwagt, wird man höchstwahrscheinlich auflaufen.
• Die gemeinsame Basis ist erst mal nicht vorhanden. Ich sehe das gerne wie einen Jenga-Turm: Man baut sein Leben, und man ist auch als Single gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Trifft diese aber natürlich anders, als wenn man zu zweit wäre. Finden sich zwei Menschen sehr früh, bauen sie gemeinsam vom Boden weg einen Turm. Hat jeder dagegen schon eine zeitlang am eigenen Lebensturm gebaut, so hat dieser eine gewisse Höhe. Und besteht ja aus Entscheidungen, die jeder mal treffen mußte, die quasi die Basis des eigenen Lebens darstellen, also kann man sie nicht einfach rückwirkend verändern. Jetzt muß es gelingen, diese Türme aufeinander zu zu bauen, bis sie sich treffen, um dann auf diesem "Torbogen" gemeinsam weiterzubauen. So ein Bauwerk hat eine andere Stabilität als ein Turm, der vom Boden weg auf einem einheitlichen Fundament gebaut wurde.
Die Randbedingungen haben sich gegenüber früher sehr verändert. Und da kommt jetzt die Frage, ob man verlernt hat, sich zu verlieben. Verlernt nicht, aber unter den aktuellen Randbedingungen funktioniert es nicht mehr so (einfach) wie früher. Und man kann nur teilweise etwas selbst tun: die eigenen Barrieren finden und sich bewußt machen. Aber wenn der andere sich nicht ebenso öffnet und über seine Schatten springt, wird es trotzdem nichts.