Kleine Lügen tun nicht weh, sagen die einen. Lügen zerstören Vertrauen und machen ein Zusammenleben unmöglich, meinen die anderen. Beide haben womöglich Recht.
Es ist tatsächlich so eine Sache mit dem Lügenverbot oder, um es positiv zu formulieren, der Ermutigung zur Wahrheit. Und wir alle kennen das Dilemma: Wohl niemand findet Lügen grundsätzlich richtig, niemand hat noch nie gelogen. Kinder bekommen früh gesagt, dass Lügen nicht in Ordnung ist, aber mit zunehmendem Alter merken sie, dass es verbotene und erlaubte Lügen gibt. Und so wichtig Ehrlichkeit als Basis für eine verlässliche Beziehung ist: Auch Lügen-Lassen kann ein Weg zum Vertrauen sein.
Dürfen wir lügen, um unser Leben in einer Notlage zu schützen? Oder das Leben anderer? Ist es legitim oder sogar geboten, einem Todkranken zu verschweigen, wie es um ihn steht, um ihm nicht die Hoffnung zu nehmen?
Was ist Wahrheit, und wer hat ein Recht darauf?
Ein endgültiges Urteil zur Legitimität der Lüge wird es wohl niemals geben. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen darüber, was Wahrheit ist und wer das Recht hat, sie zu erfahren, ob man nur Gott oder sich selbst gegenüber zur Wahrheit verpflichtet ist oder auch den Mitmenschen.
Die Regeln für die Entscheidung über Lüge und Wahrhaftigkeit, die für ein soziales Miteinander nötig sind, handeln wir im Kleinen wie im Großen jeden Tag neu aus.