Genitale Präferenz – Ist sie transphob?
Hallo ihr Lieben,Nachdem ich im „Ask me anything“ Thread doch Freude am Fragen beantworten und allem derley bekommen habe,dachte ich mir ich bring mal ein Thema auf, dass auch in der Trans Community nicht ganz einheitlich beantwortet wird. Alle die hier lesen, besonders andere Trans Menschen, sind gern dazu eingeladen ihre Perspektive mit einzubringen, das folgende ist entsprechend meine Erkenntnis auf Stand meiner aktuellen Informationslage, durch meine persönliche Lebenserfahrung und was ich aus der Community gehört habe:
Also, ist es transphob eine Transperson abzulehnen weil sie Genitalien hat die einem nicht zusagen?
Kurze Antwort: Viiiiiieelleicht.
Lange Antwort: Es kommt immer auf die Gründe an. Genitale Präferenzen können einfach Teil unserer angeborenen Sexualität sein, aber sie können uns auch anerzogen worden sein und hier ist die Frage, ob hier „Dekonstruktionsbedarf“ besteht.
Angenommen ihr lernt eine Transfrau kennen (ich nehme meine Niesche mal als Beispiel weil bekannt und ich hier den meisten Einblick habe aber umgekehrt gilt das selbe für Transmänner). Ihr versteht euch gut, ihr verspürt Anziehung zu einander doch dann erfahrt ihr: Sie ist unten rum nicht operiert, sprich sie hat einen Penis. Wenn euch das erstmal einen Dämpfer gibt ist das okay!
Dafür kann es erstmal viele Gründe geben. Grund 1: Es ist vielleicht einfach nicht was ihr erwartet habt und das nimmt euch erstmal den Wind aus den Segeln. Vielleicht ist es aber auch, dass ihr mit der Vorstellung aufgewachsen seid, dass Frauen bestimmte Genitalien haben müssten und nur so empfindet ihr es als richtig (hier wird es schon pikanter). Vielleicht habt ihr Sorge dass eure Sexualität in Frage gestellt wird, wenn ihr mit dieser Frau intimen Kontakt habt (Kann genauso für Heteromänner wie für Lesben gelten).
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ihr eure Sexualität nicht in Zuneigung zu einer Seite, sondern in Abneigung zu einer anderen definiert. Angenommen ihr seid eine Lesbe, habt euer Leben lang schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht (tun wir oft^^) und wollt einfach nichts mit irgendwas zu tun haben dass ihr als männlich empfindet (und Penisse sind leider oft sehr mit der Idee von Männlichkeit verbunden. „Phallische“ Ritusobjekte sind älter als manche Höhlenmalerei). Oder,das ist auch eine Möglichkeit: Vielleicht findet ihr einen Penis schlicht nicht anregend. Ihr habt in euch reingehorcht, ihr habt es vielleicht ausprobiert und es regt sich einfach nichts beim besten Willen.
Gehen wir die Optionen mal durch:
Wenn sich schlicht und ergreifend nichts regt weil euch ein Penis einfach nicht anregt, dann ist es halt so. Manchmal ist es so simpel, es steht nichts besonderes dahinter, man mag es einfach nicht obwohl man die Person sonst total anziehend findet. Das ist dann eine blöde Situation aber eine die einfach möglichst klar (und frühzeitig nach Möglichkeit) kommuniziert werden sollte. - Nicht transphob!
Wenn ihr schlicht überrascht ward, dann ist der beste Weg auch das klar zu kommunizieren. Wenn ihr euch unsicher seid wie ihr gegenüber einem Penis empfindet, dann bringt es zur Sprache. Dann kann die Transfrau entweder sagen „Hey, ich bin auch willends es einfach drauf ankommen zu lassen.“ oder „Du, nichts für ungut aber das sind Experimente die ich nicht machen möchte“. Beides sind Optionen. Ebenso wie niemand in der Pflicht ist bestimmte Genitalien zu mögen müssen Transmenschen sich nicht als „Versuchsobjekte“ hinstellen.
Ihr habt Sorge dass eure Sexualität in Frage gestellt würde obwohl ihr die Frau vor euch mit allem drumm und drann super anziehend findet oder ihr glaubt „Frau und Vulva“ gehören einfach zusammen:
Das ist schon etwas komplizierer und bedarf zweier Ansätze.Zum einen und das ist nicht ganz leicht,müsste man hier die Verbindung zwischen „Sex“ (Also biologisches Geschlecht) und „Gender „(Inneres/soziales Geschlecht) entfitzen. Und es ist okay wenn ihr das vorher nie musstet. Ungefähr 98% der Bevölkerung sind cis, sprich ihr Gender und ihr „Sex“ sind miteinander koherent, da passt alles. Es ist (wenn man nicht speziell nach transmenschen sucht) garnicht so warscheinlich auf eine Transperson zu treffen. Wenn ihr aber in der Situaion seid dass ihr diesen mentalen Link lösen müsst (oder schlicht für euer eigenes inneres Wachstum lösen wollt), dann ist es in Ordnung wenn das eine gewisse Zeit braucht. Wir alle bekommen eine Menge Unfug in unserer Erziehung in die Köpfe gebläut, vieles davon muss man erstmal dekonstruieren. Aber wenn es euch garnicht gelingen mag, wirft das die Frage nach dem warum auf. Würde diese Frage vielleicht andere Fragen aufwerfen die nicht so angenehm sind. Fragen nach der eigenen Identität? Vielleicht gar der Sexualität was uns zum zweiten Ansatz bringt:
Mit der Idee dass „Frau und Vulva zusammen hängen“ einher geht oft die Idee, dass es doch (aus der Perspektive eines Cis Manns) „Irgendwie schwul/bi“ wäre auf einen Penis zu stehen. Während die Quelle hier die selbe ist, ist die Perspektive eine andere, denn sie legt sich mehr auf die Frage „was denken andere von mir wenn ich das hier tue“. Und dieser Punkt führt auf kurz oder lang zu der Frage: „Wie stabil ist mein Selbstbild.“ Und es ist ok damit Probleme zu haben! Ich selbst habe eine Weile mit meiner lesbischen Identität gehadert weil ich theorethisch unter Umständen einen Mann sexuell nicht zwangsweise ablehnen würde. Bin aber dann irgendwann zu der erkenntnis gekommen dass diese kleine Chance meine lesbische Identität (mit der viel mehr einher geht als sexualität) nicht nennenswert ankratz. Sie macht sie allenfalls ein wenig flexibel.
Und auch hier, das kann etwas dauern. Ein stabiles Selbstbild ist in vielen Dingen schwierig zu erlangen und Sexualität ist in unserer Gesellschaft ein sehr „geladenes“ Thema. Gerade für Menschen die einen Hintergrund in noch patriarchaleren Kulturen haben kann das ein schwieriges Thema sein (In der amerikanischen Black Community, um ein Beispiel zu nennen,ist Homophobie allein ein großes Problem unter dem viele schwarze Männer leiden). Wichtig ist dass man diese Fragen angeht und sich selbst kritisch untersucht.
Bleibt noch das schwierigste Thema: Definition der Sexualität in Opposition zu einer Gruppe die man vermeiden möchte. Das betrifft primär Lesben und meistens Jene die schon etwas länger auf dieser Erde wandeln.
Hand aufs Herz? Das ist schwierig. Denn hier ist oft eine Menge Trauma, eine Menge Missbrauch und einige andere unschöne Dinge mit dem Thema der Sexualität verwoben. Nahezu jede Lesbe kennt es, dass ihre Sexualität (grade von cis heteronormativen Männern) nicht respektiert wird. Welche hat nicht den Satz „Eine Nacht mit mir und du bist keine Lesbe mehr“ gehört. * hebt die Hand*.
Wie viele (gerade Ältere!) mussten nicht unter forcierter Heterosexualität leiden (mussten sich in Heterobeziehungen begeben weil die Familie sie forciert hat, oder weil alles andere ökonomisch sehr schwierig gewesen wäre. Vielleicht wurden sie auch ungewollt schwanger und konnten oder wollten nicht abtreiben und dann steht man da mit Kind und braucht auf einmal „einen Provider“ und die einzige Option ist der Typ der sie geschwängert hat,vielleicht gegen ihren Willen!)
Es gibt so viele Schicksale die Frauen dazu veranlassen können alles was sie ansatzweise als männlich empfinden abzulehnen und das ist verständlich. Wer geschlagen wurde schlägt lieber mal vorsichtshalber um sich, besser keine Risiken eingehen.
Grade in so einem Fall kann es schwierig sein sich generell auf eine Transfrau einzulassen, noch dazu wenn sie einen Penis hat oder sonst irgendwie nicht Passing ist. Wenn ein gewisses Körperteil oder Struktur eine Person „triggert“ dann ist das erstmal so.
Was wäre also hier der Ansatz? Nun zunächst einmal gilt das selbe wie weiter oben, man muss lernen „Gender“ und „Sex“ zu entwirren. Und wie oben beschrieben, das kann dauern.
In diesem speziellen Fall aber ist so viel Trauma im Spiel dass mein persönlicher Rat wäre: Man halte erstmal respektvoll Abstand zu allem was unschöne Erinnerungen hoch holt (soweit möglich) auch wenn das eine Transfrau ist. Aber in jedem Falle besteht hier Therapiebedarf. Kein Mensch sollte mit Traumata egal welcher Art leben müssen.
Und grade in so einem Fall wäre eine Beziehung egal welcher Art mit einer Transfrau vermutlich auch einfach keine gute Idee bis man alles durchgearbeitet hat. Und auch hier: Das kann dauern.
Ich glaube, grade als Transfrau, kann ich mit einer gewissen Sicherheit sagen: Es ist verdammt schwierig die eigene Identität und welche Erfahrungen und vielleicht Traumata und zu dieser geführt haben von grund auf zu hinterfragen. Aber das macht es meistens nicht weniger notwendig.
Also, in Konklusion: Von gewissen Genitalien nicht erregt zu sein oder zu überrascht zu sein um Erregung zu verspüren ist nicht transphob.
Ein Genital abzulehnen weil man irgenwann mal gelernt hat,dass das eine zum anderen gehört oder Sorge zu haben man könnte in seiner Sexualität falsch wahrgenommen werden hat transphobe gründe (Internalisierte Transphobie ist hier der Fachbegriff.) Aber daran kann man arbeiten. Internalisierte Trans-/Homo-phobie zu haben ist nichts was einem zu einem schlechten Menschen macht, man muss nur drann arbeiten.
Wenn Traumata im Spiel sind (das gilt natürlich auch von Männern die von Frauen missbraucht wurden o.Ä. Kommt seltener vor, kann aber auch sein!), dann sind es oft auch internalisierte Phobien aber der Knackpunkt is hier das Trauma. Und da kann man einfach keinen Schalter umlegen.Heilungsprozesse sind lang und schwierig.Wenn man das kann, sollte man in so einem Fall kommunizieren warum man Distanz hält aber hier kommt es sehr auf das Individuum an.
Ein Satz noch zum letzten Punkt: Opfer werden oft zu Tätern. Wer Hass und Gewalt erfährt lenkt diese nicht selten auf Andere. Aber das muss nicht sein, man kann sich selbst (oder andere) rechtzeitig abfangen. Am Ende gilt: Schmerz ist ein Motivator, eine Tat (und dazu zählen Worte) ist eine Entscheidung.
Huih das wurde jetzt vielleicht ein bisschen schwer am Ende aber, ich wollte grade dem Punkt Traumata auch Raum geben. Gerade weil unaufgearbeitete Traumata sich gerne mehren. Ich hoffe grade mit dem letzten Punkt hab ich niemandem ins Fleisch geschnitten, aber wie gesagt, das ist der Erkenntnisstand an dem ich nach einer Weile autodidaktischem Studium der ganzen Thematik angelangt bin.
Liebe Grüße
Lyriel!