Liebe TE:
kniffliges Thema.
Kurz: ja, ich kenne eine ähnliche Situation, in der ich plötzlich zwar nicht als "ungeschickt" galt, aber sie sich nicht mehr hinreichend angeregt fühlte. Die Ausgangslage war bei uns eine völlig andere – wir hatten in den ersten Monaten unglaublich tollen Sex und sie stand total auf meine Berührungen, deren Art und Weise sich seither nach meinem Empfinden in der Intensität und Bezogenheit eher gesteigert als verringert hat. Aber das gehört nicht hierher, will nur sagen: die Situation kommt mir nicht völlig unbekannt vor und manchmal spiegeln sich in den Sichtweisen auf sexuelle Handlungen des jeweils anderen mehr die eigenen Probleme mit der Beziehung.
Ein paar Eindrücke und Fragen zu deinen Schilderungen, die vielleicht etwas rau daher kommen, aber Dir hoffentlich gerade deshalb hilfreich sein können. Ich glaube – mit Caitlin –, dass eine radikale Ehrlichkeit zwischen Euch, und wichtiger vielleicht noch: eine radikale Ehrlichkeit sich selbst gegenüber wichtig ist, um zu einer Lösung zu kommen.
Warum tritt das Problem erst jetzt so in den Vordergrund? Ist das sexuelle Problem vielleicht ein Stellvertreter für etwas ganz anderes, was in der Beziehung nicht gut läuft?
Kann es sein, dass Du eine starke Erwartungshaltung an ihn hast, dass er den aktiven Part einnehmen, es sexuell richten soll und Du ihn deshalb allererst in die Situation bringst, dass er sich bei Nichtgefallen zu „korrigieren“ hat? Was aber, wenn Du ihn einmal beschenkst, er nicht den aktiven Part einnimmt, sondern Du – Du dir mit seinem Körper Lust bereitest?
Anders gewendet: Welchen Anteil hast Du selbst an der sexuellen Problematik? Wenn Du erfahren bist, warum vermittelst Du ihm diese Erfahrung nicht, "lehrst" Du ihn nicht selbst?
Könnte es sein, dass dein Drang, die Beziehung zu öffnen der tiefere Grund ist, warum Du IHN zu anderen Frauen in die Lehre schicken möchtest? Dass deine sexuelle Freiheit im Vordergrund steht und die sexuelle „Unerfahrenheit“ deines Partners dafür eine Art willkommenen Anlass bietet?
Ist es vielleicht seine Abhängigkeit von Dir, die dich so abturnt und ist die Schublade „unerfahrener, schlechter Lover“ eher eine verstandesmäßige Erklärung, die das verhüllen hilft?
Es ist immer eine schlechte Idee, den Partner mit einer bestimmten Erwartungshaltung verändern zu wollen. Denn dann geht es eigentlich nie um ihn, sondern immer um die eigenen Wünsche. Ein Partner muss und kann nicht alle Bedürfnisse befriedigen – gerade im Sexuellen keine schöne Erkenntnis. Vielleicht ist Monogamie für Dich einfach nicht das richtige Beziehungskonzept?
Wenn Du die Beziehung öffnen willst, dann öffne sie, aber sei so ehrlich vor dir selbst und ihm, einzugestehen, dass Du dies (vielleicht) primär deinetwillen tust, nicht seinetwillen. Es kann sein, dass es hilft, wenn Ihr beide sexuell erst einmal getrennte Wege geht – nur sollte er aus sich heraus entscheiden dürfen, ob, inwieweit und in welcher Form er das will. Die Erwartung zu hegen, er könne dann genau so werden, wie Du ihn willst, halte ich nicht für realitätsnah und auch nicht für hilfreich.
Er hat Angst, sich zu verlieben. Das würde ich ernst nehmen. Denn damit spricht er etwas aus, das offenbar da ist: der Wunsch, sich neu zu verlieben und die Angst, sich diesen Wunsch zu erfüllen und Dich dabei zu verlieren. Das muss keine Bedrohung für Eure Beziehung sein, wenn diese stabil im wechselseitigen Vertrauen ist. Man kann mehrere Menschen lieben und die Verliebtheit in einen anderen kann auch Verliebtheit in den „alten Partner“ wieder erwecken.
Zum Thema „verletzen“: Ja, es kann verletzen, mit dem Partner offen über diese Dinge zu sprechen. Aber viel verletzender ist das Unausgesprochene, das dennoch da ist. Es bleibt in der Regel nicht unbemerkt. Wichtig scheint mir in der Kommunikation, bei sich selbst und seinen eigenen Bedürfnissen zu bleiben, nicht über den anderen zu urteilen, ihm Vorwürfe zu machen und ihn schlecht zu reden. Dein Problem mit ihm ist in erster Linie DEIN Problem, nicht seins. Du kannst seine Probleme nicht lösen, ihm nur Offenheit für Veränderung anbieten. Vielleicht ist er wirklich „objektiv“ kein guter Liebhaber, aber Du hast ihn Dir ausgesucht und dafür wird es Gründe geben. Respektiert Euch in euren Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten und sprecht offen darüber. Eine Paartherapie ist nie ein Fehler, insbesondere dann nicht, wenn es erheblich in der Beziehung brodelt.