„
Was mich jetzt interessiert, sind ECHTE Erfahrungen von Menschen/Paaren, die sich in einer solchen Situation befunden haben. Wie habt Ihr es gelöst? Was hat Euch geholfen? Was war effektiv? Bereut Ihr etwas und würdet Ihr es gern anders gemacht haben?
Ich war bis Ende 20 an Sex komplett uninteressiert. Er hat mich abgestoßen, nicht im Sinne von "eklig", sondern einfach im Sinne von Widerstand allein beim Gedanken daran. Das war einfach nicht meine Welt. Ich habe keine Pornos gesehen und auch nicht masturbiert. Ich bin keine Beziehungen eingegangen. Sex wurde erst zu einem konkreten Thema, als ich mit 22 meinen Exmann kennenlernte (meine erste und bis heute einzige Beziehung).
Wir hatten Sex und ich wurde sehr schnell schwanger. Die ersten zwei Jahre unserer Beziehung hatten wir relativ viel Sex, den ich nicht mochte, aber ich habe mich sehr angestrengt, war sehr experimentierfreudig, um vielleicht etwas zu finden, das mir Spaß machen könnte. Aber als ich nichts fand, wurde Sex zunehmend belastend für mich, weil ich absolut kein Interesse daran hatte. Ich begann damit, Orgasmen vorzutäuschen, um den Sex schnell abzuschließen. Aber irgendwann war ich an dem Punkt, an dem ich Sex einfach ablehnte.
Es folgten fünf Jahre Beziehung ohne Sex. Mir selbst fehlte absolut gar nichts, mein Exmann litt aber sehr stark darunter. Weil er aber auch sehr unkommunikativ bei Problemen war, redete er nie mit mir darüber und ich war damals noch nicht reif genug, um selbst das Gespräch zu suchen und ihn nach seinen Gefühlen zu fragen. Er betrog mich in diesen fünf Jahren mehrere Male. Zu dem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht konkret, aber mir war klar, dass es vermutlich sein könnte und ich beschloss, ihm deswegen nicht böse zu sein, wenn es sich als wahr herausstellen sollte.
Nach vier Jahren schlug ich erstmals eine offene Beziehung vor. Ich fand es erstaunlich, dass er überhaupt bei mir bleiben wollte und dachte mir, dass er in so einer Situation wenigstens sexuell souverän und ohne Heimlichkeiten und Schuldgefühle leben sollte. Ich hatte mich aus der gemeinsamen Sexualität verabschiedet und fand es nicht fair, dass er da mitziehen sollte. Der Gedanke, dass er mit anderen Sex haben könnte, löste keinerlei Eifersucht in mir aus, darum erschien mir die offene Beziehung mit sexueller Souveränität eine gute Lösung, solange es nicht in starker Promiskuität ausartete.
Wir sprachen ein Jahr lang darüber, innerhalb dieses Jahres lernte er eine Frau kennen, mit der er sich häufig traf. Die Beziehung war noch nicht einvernehmlich offen, dennoch war mir ziemlich klar, dass er wohl Sex mit dieser Frau hatte, darum beschleunigte ich das Gespräch und fragte ihn auch geradeheraus, ob er Sex mit anderen hatte. Er verneinte. Was mich einerseits stutzig, andererseits sauer machte, weil ich ihn mittlerweile gut genug kannte um zu wissen, dass er log. Aber ich schluckte das erstmal herunter und dachte mir, dass er vielleicht noch unsicher war, wie "ernst" mir das mit der offenen Beziehung war, dass er vielleicht nicht einschätzen konnte, wie ich ganz real darauf reagieren würde, wenn er Sex mit anderen hatte, denn bisher hatten wir aus seiner Perspektive nur darüber gesprochen, während mir aus meiner Perspektive bereits klar war, dass er Sex mit anderen hatte.
Erst in den nächsten Wochen sprudelte die Wahrheit aus ihm heraus, aber auch hier immer erst mit Lügen. Erst hieß es, er habe mit dieser Frau nur einmal Sex gehabt. Irgendwann wurden daraus acht Mal. Irgendwann gestand er, dass er schon seit Monaten eine Affäre mit ihr hatte. Und dann erfuhr ich auch von all den Frauen in den Jahren davor.
DAS war es dann eigentlich, was mich sauer machte. Nicht, dass er fremdgegangen war, das hatte ich ja schon lange vermutet und war nicht wirklich imstande, ihm das übelzunehmen. Aber dass er auf Nachfrage eben erstmal gelogen hatte, dann immer wieder log und ich irgendwann nicht mehr sicher sein konnte, was nun stimmte und was nicht. Das hat mich sehr geärgert. Trotzdem habe ich das verziehen, wollte eben dieses ganze Kapitel abschließen und nach vorne blicken, immerhin wollte ich mein Leben mit ihm verbringen und beschloss, diesen immensen Knacks in der Beziehung kitten zu wollen, ohne böses Blut, ohne Nachtragen. Immerhin hatte ich mich auch jahrelang unfair verhalten.
Gut, nun war die Beziehung offen. Allerdings passierte dann etwas, womit wir beide nicht gerechnet hatten. Ich erkrankte recht heftig an einer Bipolaren Störung (genetische Disposition durch meine Mutter, die dieselbe Erkrankung hat; bei mir dann letztendlich ausgelöst durch eine sehr starke, emotionale Stresssituation). In meinem Fall wird mein Gehirn dabei während einer Episode zunächst extrem mit Dopamin überflutet. Da Dopamin stark an sexueller Erregung beteiligt ist, führte das dazu, dass ich zum ersten mal in meinem Leben sexuelles Interesse entwickelte. Und zwar starkes.
Positiv daran war erstmal: Ich wollte Sex mit meinem Mann. VIEL Sex.
Negativ daran war: Mir wurde ssehr schnell klar, dass ich sexuelles Interesse an Dingen bekam, die ihn völlig überforderten und nicht wirklich in seiner Natur lagen.
Die darauf folgenden, letzten Jahre unserer Beziehung wurden dann ehrlich gesagt wirklich schwierig, wobei da sehr viel Unehrlichkeit von seiner Seite aus eine Rolle spielte - aber auch, das gebe ich zu, sehr viel Druck von meiner Seite aus.
Meine Erkrankung führte zum Beispiel eine längere Zeit zu einer belastenden Hypersexualität, die sich erst mit einer Medikation normalisierte. Aber ich verstand unsere Beziehung eben für beide Seiten als offen, obwohl zu dem zeitpunkt, als wir sie öffneten, eine andere Situation herrschte. Es ist nicht so, als hätte ich das vorher nicht angesprochen, ich habe meinen Exmann ganz konkret gefragt, wie er die Situation sieht, jetzt, wo ich auch sexuelles Interesse hatte. Er war damit einverstanden, dass es eine beidseitig offene Beziehung sein sollte.
Angeblich.
Ich frage mich im Nachhinein manchmal, was dümmer gewesen ist: Meine optimistische Naivität, ihn beim Wort zunehmen, darauf zu vertrauen, dass er sich mir mitteilt und die Wahrheit über seine Eindrücke, bedürfnisse und Gefühle sagt und wir beide auf derselben Seite im Buch sind, oder seine Idiotie, über all das fast bis zum Schluss zu lügen und zu schauspielern.
Was passierte war nämlich, dass ich sexuell aus einem Dornröschenschlaf erwachte, Triebe und Bedürfnisse entwickelte, die ganz klar von Beginn an in eine konkrete Richtung liefen und die ich auch befriedigen wollte. Ich wollte, dass wir beide sexuelle Befriedigung fanden, primär miteinander, aber in Teilen auch mit anderen. Ich wollte ihn nicht kontrollieren, ich wollte mich von ihm nicht kontrollieren lassen. Ich lebte ein Ideal, das reine Fantasie war, weil ich es konnte, er aber nicht - er mir das aber nicht sagte, sondern log und log und log und schauspielerte.
Das Ende vom Lied war: Er war mit meiner Sexualität überfordert, selbst dann noch, als sie nicht mehr hypersexuell, sondern normal war. Wir wollten nicht dieselbe Art von Sex. Er war unglücklich mit der offenen Beziehung, war er sie zwar für sich gut fand, aber nicht wollte, dass ich sie ebenfalls in Anspruch nahm und er daraufhin lieber das konsequente Ziel verfolgen wollte, die Beziehung wieder komplett zu schließen. Parallel zum Thema Sex und Beziehung wollte er unbedingt weitere Kinder - ich auf keinen Fall.
Ich habe erst wenige Wochen vor unserer Trennung wirklich erfahren, wie er sich fühlt, was er will und womit er alles nicht klarkommt. Ich weiß nicht, warum er das nicht früher sagen konnte, warum er mich in dem Glauben ließ, es sei alles in Ordnung zwischen uns und er würde genauso denken wie ich. Im Nachhinein nervt mich das so dermaßen, dass ich manchmal noch Zorneswallungen bekomme, weil das einfach so unnötig und dämlich war.
Aber es half ja am Ende alles nichts, weil wir in ganz wesentlichen, beziehungsentscheidenden Punkten nicht mehr dasselbe wollten. War früher das Thema "Zu wenig/kein Sex", was ihn belastete, war es nun "Zu viel/zu krasser Sex" - was auch ihn belastete. Aber ich konnte und wollte auf diesen Sex nicht verzichten, ich konnte mich nicht mehr "zurückfahren", weil es die einzige Art von Sex ist, die mich
wirklich glücklich macht. Und ich auf keinen Fall mehr zurück zu diesem asexuellen Wesen wollte, das ich früher war und das ich unweigerlich wieder geworden wäre, wenn ich Sex haben müsste, der mich nicht befriedigte.
Hier noch einmal mein Unverständnis, warum er mich damals in unseren fünf Jahren ohne Sex nicht verlassen hatte. Ich meine - ja, es ist vielleicht nobel und vielleicht war ihm die Beziehung zu wichtig. Aber ich habe nicht so nobel sein können. Ich habe nicht verzichten können. Ich habe kein schlechtes Gewissen deswegen, ich finde nicht, dass ich ihm etwas schuldig war, seinen Verzicht damals hätte "zurückzahlen" sollen, indem ich auch verzichte. Ich fand tatsächlich, dass angesichts der Tatsache, dass wir unterschiedlichen Sex wollten, unterschiedliche Beziehungsformen und unterschiedliche Familienplanungen, eine Trennung besser wäre, weil es uns beiden die Chance geben würde, genau diese Ziele zu verfolgen. Nur nicht mehr miteinander.
Und da nach der Trennung ohnehin noch weitere Lügen ans Tageslicht kamen - wie zum Beispiel, dass er nie ein Kondom bei den anderen Frauen benutzt hatte und sich einmal sogar Clamydien eingefangen hatte - und ich auch herausfand, dass er aus unterdrückter Wut und Frustration über die Situation der letzten Jahre vor der Trennung auch Gaslighting mit mir betrieben und andere Dinge manipuliert hat, um irgendwie ein Stück Kontrolle zu behalten, wurde mir auch einfach klar, dass es mir nicht mehr möglich sein würde, eine Beziehung mit ihm zu führen, ohne Gefahr zu laufen, wieder belogen und manipuliert zu werden, wenn er Angst hätte, die Kontrolle zu verlieren, weil er eben nicht richtig und vor allem nicht
rechtzeitig kommunizieren kann und erst etwas sagt, wenn der Vulkan an Scheiße ausbricht und Pompeji unwiederbringlich begräbt.
Zusammenfassend:
So abgedroschen es klingt, aber kein Weg führt vorbei an echter,
aufrichtiger und zeitnaher Kommunikation. Nicht erst reden, wenn es zu spät ist. Kein schwammiges Herumgedruckse, kein "wird schon, einfach abwarten", keine "Nichts" als Antwort auf die Frage, was mit einem los ist.
Wenn was los ist, sagt es! Sagt es zeitig und sagt es klar, sodass es der andere auch wirklich versteht und nicht rätselraten muss oder denkt, es sei eigentlich alles okay und nur halb so wild.
Ja, Sex ist nicht alles in einer Beziehung, aber wenn man langfristig unglücklich in der Beziehung ist, ist eine Trennung nicht die schlechteste aller Optionen, sie kann sogar die beste sein. Sehr viele Menschen würden sich gern trennen, tun es aber nicht aus Gründen von Gewohnheit und Bequemlichkeit. Sie würden am liebsten einfach den Partner ändern, oder gegen jemand komplett Neuen austauschen, aber trotzdem alles Nette behalten, was bis dahin angehäuft wurde. Angst davor, neu anfangen zu müssen, Angst davor, sich wieder etwas erarbeiten zu müssen, Angst davor, nie wieder, oder nicht so schnell jemand Neuen zu finden, der an ihrer Seite sein möchte.
Das alles hält sie zurück. das sind aber keine guten Gründe, eine Beziehung aufrecht zu erhalten. Alles, was für mich zählt, ist die Antwort auf die Fragen:
Bin ich mit diesem Menschen an meiner Seite so glücklich, dass ich mein Leben mit ihm verbringen will?