Dieses Phänomen ist alles andere als neu - gerade von Frauen weiß man, dass sie allgemein dazu neigen, sich selbst in vieler Hinsicht (so auch in Bezug auf ihr Äußeres) viel zu kritisch und negativ zu beurteilen. Persönlich empfinde ich die eigentlich sehr schade, denn oft ist es nur ein Hirngespinst
Eine Studie der University of Glasgow 2001 zeigt, dass viele Frauen bis zu zehn Mal häufiger ein gestörtes Körperbild als Männer haben. In extremer Form findet man dies bei essgestörten (magersüchtigen) Menschen wieder. Hier liegt dann meiner Meinung nach eine sogenannte „Körperschemastörung“ vor, d. h. die Betroffenen nehmen ihren Körper extremst und völlig verzerrt wahr. Wenn sie z. B. aus einer Anzahl vorgegebener Silhouetten diejenige auswählen sollen, die ihre eigene Figur am besten abbildet, wählen sie regelmäßig viel zu voluminöse Silhouetten aus. Aber auch bei gesunden Frauen ist eine realistische Einschätzung ihrer eigenen Figur leider eher die Ausnahme als die Regel - die meisten von uns würden bei einem entsprechenden Experiment wahrscheinlich mindestens eine Silhouettengröße zu groß wählen.
Schon 1987 zeigte eine Studie von Cash & Brown, dass Frauen ihren Körper in Umfang und Größe fast immer überschätzen. Das ist seither nicht besser, sondern eher schlimmer geworden, finde ich. Die eigene normale Figur finden die meisten Frauen zu dick (während viele Männer, die tatsächlich oft übergewichtig sind, sich darüber kaum Gedanken machen - auch das belegte die schon erwähnte Studie aus Glasgow). Und das betrifft nur die Aspekte Gewicht und Figur, aber auch bei allen anderen körperlichen Merkmalen verfahren viele Frauen genauso unfreundlich und grausam mit sich selbst, wenn sie in den Spiegel schauen.
Die seltsame Diskrepanz zwischen dem, was sie im Spiegel sehen, und dem, was andere sehen, wenn sie sie anschauen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Meiner Meinung nach.
Zum einen werden Schönheit und Schlanksein in unserer Gesellschaft überbetont und zunehmend als „machbares“ Ideal propagiert. Sendungen wie „Germany‘s Next Top Hundeknochen“ & Co. formen schon in den Köpfen vorpubertärer Mädchen ganz klar, wie „Frau“ auszusehen hat, um beliebt, erfolgreich und attraktiv zu sein. Und war früher Schönheit eben ein „Gottesgeschenk“, das die einen hatten, die anderen aber nicht, vermitteln diese Sendungen heute einem gleichzeitig die Idee, dass es einzig an einem selbst liegt, diesem Ideal möglichst nahezukommen. Wenn man nicht in Size Zero passt, dann nur, weil man ebenso undiszipliniert ist. (Oder, um Heidi Klum zu zitieren: „Wenn sie vier Donuts die Woche essen und zu viel Brot und Kuchen und wenn ihr Körper darunter leidet und auch ihre Haut, dann muss ich ihnen sagen, dass es nicht der richtige Job ist.“ Vier Donuts pro Woche sind also schon zu viel ...) dazu muss man nicht wirklich etwas sagen.
Aber, das ist nur der Anfang. Der weibliche Körper bietet einem ja so viele Möglichkeiten, sich unattraktiv, nicht-ideal und nicht-normgerecht zu fühlen. Ständig bekommen wir von den Medien photogeshoppte Hochglanzbilder um die Ohren gehauen, wie wir eigentlich aussehen sollten - und auch aussehen könnten, wenn wir uns denn nur endlich zusammenreißen, die Donuts weglassen und uns genügend Mühe geben würden. Dünnes, glanzloses Haar? Falscher Friseur, falsches Shampoo, falsche Föntechnik - sorry, du bist raus!
Ungleichmäßige Haut, womöglich noch mit (igitt!) sichtbaren POREN darin? Falsches Peeling, falsche Creme, falsche Ernährung, falsches Make-up - sorry, du bist auch raus!
Und so geht es weiter ... bis hin zu unseren intimsten Körperzonen. Die Nachfrage nach ästhetisch begründeten Schamlippenkorrekturen steigt in nahezu allen Industrienationen seit Jahren sprunghaft an; im Schnitt zeichnen sich hier jährliche Wachstumsraten von bis zu 30 % ab. Ich sollte mal darüber nachzudenken, eventuell ein Invest in dieser Branche zu tätigen, zumindest müsste ich mir dann nicht wirklich Sorgen über meine Altersfürsorge zu machen. Der Markt in 28 Zoll (0,71 m) Gummischläuche als Lippenbooster, Silikissen für Wangen, Brüste, Po-Beine -Arme boomt halt.
Der Medizinpsychologe und -soziologe Elmar Brähler kommentierte diesen Trend nüchtern wie folgt: „Knapper werdende Badebekleidung sowie die starke Präsenz von Nacktheit in den Medien tragen dazu bei, dass sich für diese Bereiche ästhetische Normen herausbilden. Speziell z.B. für den Bereich der Intimrasuren bei Frauen lässt sich sagen, dass es die ‚neue‘ Sichtbarkeit der äußeren weiblichen Genitalien ist, die dazu führt, dass sich auch hier Schönheitsnormen herausbilden: Erstmals entwickelt sich eine allgemein gültige – für weite Schichten der Bevölkerung – verbindliche Intimästhetik. Eine bis dato primär zur Privatsphäre zählende Körperregion – die Schamregion – unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ.“ - „Allgemein gültig“ ... „verbindlich“ ... „Gestaltungsimperativ“ ... Ach, George Orwell, wie harmlos scheinen deine „1984“-Fantasien vor einem solchen Hintergrund doch heute ...meiner Meinung nach.
Unsere Mütter waren in dieser Hinsicht auch nicht wirklich hilfreich, denke ich - auch wenn sie den Pickel, der uns damals mit 15 vom Fetenbesuch beinahe abgehalten hätte, vielleicht großzügig zu übersehen wussten. Im meist wohlmeinenden Bemühen, uns in Sachen Attraktivität zu „helfen“, gelegentlich vielleicht auch aus bloßer Unüberlegtheit heraus, haben sie vielen von uns auch die eine oder andere Hypothek mit auf den Weg gegeben.
Was Wunder also, dass gerade Frauen in Bezug auf ihr Aussehen mit einem blinden Fleck vor den Augen leben, dessen Größe vermutlich in etwa der des Pazifiks entspricht.
Sehr viele laufen die ganze Zeit mit einer innerlichen Mängelliste hinsichtlich ihrer Erscheinung in der Hand durchs Leben, die Tag um Tag und Jahr um Jahr akribisch ergänzt und vervollständigt wird.
Und wenn dann jemand Außenstehender etwas Nettes sagt oder - Gott behüte! - gar ein richtiges Kompliment macht, dann schütteln viele abwehrend den Kopf und blenden das sofort als unzutreffend aus, weil es nicht zu ihrer Selbstwahrnehmung passt - statt sich öfter mal zu fragen, ob vielleicht mit der eigenen Selbstwahrnehmung irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Und lassen zu, dass es ihnen damit schlecht geht.
Ich jedenfalls, habe bei den Frauen, die ich zutiefst liebte, nie darauf geachtet, ob Ihre Beine zu dick, ihr Po zu prall, ihre Brüste zu schlaff, Ihre Pussy zu groß, klein, weit, eng, oder auf sonstige äußerliche Attribute geschaut, weil mir die Akzeptanz des Individuums und deren einzigartiger Charakter weit mehr an Wohlwollen gab, als irgendeine Äußerlichkeit, die sich ohnehin mit den Jahren auch verändern.
Ich bin daher der Meinung, wenn Menschen (geschlechterunabhängig) ihren wahren Charakter im eigenen Spiegelbild statt ihr Äußeres bewerten würden, würden sie sich wohl sehr erschrecken und fortlaufen. Dann würde die vermeintlichen körperlichen „Mäkel“ gar nicht mehr ans verzerrte Licht kommen.
In diesem Sinne, nur meine Meinung.....