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Lektion (öffentliche)

****na Frau
1.281 Beiträge
Themenersteller 
Lektion (öffentliche)
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„Hast du das nun verstanden?“ Seine Stimme reitet die Welle der Reizbarkeit.
„Inhaltlich oder akustisch?“ frage ich leichthin. Am Tisch links von uns spitzt sich ein Ohrenpaar.
„Ja, ja, für dich gerinnt alles zum Spaß“, gibt er zurück und ein Stück Boden preis.
„Mein Gott, man kann über alles lachen, vor allem über dich.“ Die Frau, die neben dem Mann mit den gespitzten Ohren sitzt, dreht sich im Stuhl um 90 Grad, sieht mir ins Gesicht, taxiert dann Christoph und stimmt nickend meiner Bewertung zu.
„Eines Tages wird dir das Lachen im Hals stecken bleiben“, kommt er angezornt nach vorn.
„Und dann? Drückst du es mit deinem Piefke abwärts und rettest mich vor dem Ersticken?“
„Nenn ihn nicht Piefke! Ich hasse das, und das weißt du genau!“ Nun dreht sich der ohrengespitzte Mann nach uns um. Ich gebe ihm eine Drei auf der internationalen, nach oben offenen Lämmchen-Skala.
„Würdest du mich denn nun retten oder ertrinkst du schon zuvor in deiner Betroffenheit?“ Christophs Augen fahren die Krallen aus und schlagen in meine Richtung. Seine Haltung ist der eines aufrecht sitzenden Löwen mit hochgehaltenen Pranken und gespannter Aufmerk-samkeit Richtung Dompteur sehr ähnlich.
„Dich zu retten, würde bedeuten, der Welt die sieben Plagen zurückzugeben“, wirft er in die Manege und fühlt sich besser.
„Dann hättest du der Welt wenigstens etwas gegeben“, schlenze ich ihm den Brocken zurück.
„Schatz, wir sollten zahlen“, sagt das Dreier-Lämmchen zum Frauchen.
„Wieso denn? Die Vorführung am Nebentisch ist sicher noch nicht vorbei, oder?“, fragt sie und schaut Christoph aufmunternd an. Einen kurzen Moment ist er perplex, retourniert dann aber: „Darf ich Ihnen noch einen Kaffee dazu servieren?“
„Ach – Sie arbeiten hier?“
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Das hätte ich dem Kuchen-Frauchen nicht zugetraut.
„Nein, angegraute ältere Mädchen zu bedienen, gehört nicht zu meinem Broterwerb“, spritzt Christoph in hohem Bogen in ihren Schoß. Zu diesem Zeitpunkt bin ich mir nicht mehr sicher, ob die „kleine Übung“, die uns unser Schauspiellehrer aufgegeben hat, bis zum Schluss beherrschbar bleiben wird. Da die Lämmchen-Besitzerin schon jetzt von „Vorführung“ spricht, ist ein Strategiewechsel angesagt. Auch meine ich, erste dünne Blutspuren auf Christoph zu bemerken. Was oder was nicht er der Welt zu geben gedenkt, war letzte Nacht zum ersten Mal Gesprächsthema zwischen uns. Damit zu punkten ohne vorherige Schwachstellen-Freigabe, war nicht eben die feine englische Art und ein Wagnis, von dem ich nicht weiß, ob ich den Preis dafür werde bezahlen können, sollte er mich zur Kasse bitten.

Andererseits wurden Christoph und ich für diese Caféhaus-Nummer nicht ohne Hintergedanken ausgesucht. Wir sind am Max Reinhardt Seminar über unsere Klasse hinaus als Burton-und-Taylor-Inkarnation bekannt. Manche haben ihn und mich schon gebeten, ja angefleht, wir möchten einen netteren, weniger gehässigen Umgang miteinander pflegen. Man sei nicht bereit, als menschliche Kulisse zu dienen und sich literweise Zynismus, wenngleich oft höchst amüsant, um die Füße spülen zu lassen. Jenen raten wir dann stets zur Anschaffung hochschaftiger Gummistiefel.
Schüler und Lehrer vermuten, wir seien ein Liebespaar, nicht nur, weil man selten einen von uns ohne den anderen sieht, sondern auch, weil sie sich für unseren Umgang keine andere Basis als Liebe denken können, was Christoph und mich hinwieder an ihrem Verstand zweifeln lässt. Leugnen oder mit der Wahrheit einschreiten, hat ihn und mich nicht weitergebracht, weswegen wir aufgehört haben, irgendwas richtigzustellen. Außerdem kennen wir selbst auch nur einen Teil der eigenen Wahrheit, von der des anderen ganz zu schweigen.

„Hast du mir nicht neulich erst erzählt, das Ältere-Mädchen-Bedienen hätte dir eine Rolex eingebracht?“, eröffne ich die zweite Runde.
„Nein, das muss einer der Gigolos gewesen sein, mit denen du dich gern umgibst“, meint er.
Sofort dreht der vorbeigehende Ober, der Herr, der gerade das Caféhaus betreten hat, sowie das Dreier-Lämmchen den Kopf in meine Richtung. Dass ich für eine Sekunde von ihren Blicken peinlich berührt werde, ärgert mich.
„Im Gegensatz zu dir wissen die sogar, wie man ein junges Mädchen befriedigt“, gifte ich. Dass sich Christophs Augen zu Schlitzen verengen, deute ich als schlechtes Zeichen. Auch unser zuvor besprochener Ablaufplan ist nun nicht mehr haltbar.
„Mit junges Mädchen kannst du schwerlich dich selbst meinen, bist ja schon als Schlampe zur Welt gekommen.“
Christoph dreht am Kassenrad. Ich ahne den Preis. Der Mann, der eben zur Tür hereingekommen ist, setzt sich an den Tisch hinter uns und platzt in meine Befürchtung: „Wenn Sie Ihre Begleitung belästigt, kommen Sie an meinen Tisch. Ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen.“
„Nein, das würden Sie sicher nicht“, meldet sich prompt das Lämmchen und schiebt ein genervtes „Herr Ober, zahlen bittschön“ hinterher. Christoph bläst zur Attacke. Ich muss ihm zuvorkommen, bevor uns die Situation völlig aus dem Ruder läuft und wir beide absaufen.
„Ohren aufgestellt, Christoph: ʹjunge Dameʹ hat er gesagt. Es ist an der Zeit, dass du deine Wahrnehmung überprüfst.“ Mit den Worten schicke ich warnende Blicke und hoffe, dass er die Botschaft zwischen den Zeilen empfängt. Zu spät, der von Lämmchen herbeigerufene Ober tritt an dessen Tisch und lenkt meinen Mitspieler ab.
„Warʹs recht, die Herrschaften?“
„Nein, warʹs nicht. Die Gesellschaft hierin ist unerträglich.“ Lämmchen blitzt mich an.
„Wen meinen Sie da jetzt speziell?“, will Christoph mitmischen.
„Das würde mich auch interessieren“, sagt mein Galan.
„Sie meine ich!“ Er erhebt sich und kommt vor unseren Tisch. „Sie beide!“
Sein Blick schnappt sich zuerst Christoph. „Wie alt sind Sie? Anfang zwanzig? Und Sie wissen noch immer nicht, was eine Frau will? Nein, Sie wissen es nicht! Das Weib will Führung. Braucht sie. Ein intelligentes Weib wie das Ihre braucht eine intelligente Führung. Und Sie denken, Sie sind ein ganzer Kerl, wie? Sind Sie nicht. Sie sitzen hier im Caféhaus, lassen sich öffentlich provozieren, ja demontieren und erneut provozieren. Wie lange brauchen Sie noch, um zu verstehen, was die da von Ihnen will? Mit Verlaub, Sie sind ein ganz und gar dummer Mann!“
Er dreht sich zu mir: „Und Sie? Sie meinen, Sie könnten abschätzig auf mich und meine Frau heruntersehen, wie? Denken, wir alten Leuten wüssten nichts mehr von Leidenschaft und Liebe und all den Sachen, die ihr Jungen meint, jeden Tag aufʹs Neue erfinden zu müssen. Ich sage Ihnen jetzt, was Sie müssen, junge Frau: Sie müssen lernen, das Knie zu beugen, anstelle in seines immer wieder reinzutreten. Er kann Sie nämlich nicht führen und halten und ihnen Schutz gewähren, wenn Sie ihn nicht lassen und stattdessen nach ihm treten, bis Sie ihn endgültig weggetreten haben. Sie denken, ich sei ein Schaf, das seiner Frau hinterhertrottet – wie?“ Ich grinse und nicke.
„Mitnichten“, sagt er und schlägt mir mit der flachen Hand ins Gesicht.

Das Letzte, was ich vor dem Tumult wahrnehme, ist das Lächeln seiner Frau. Sie weiß schon lange, was ich gerade begreife, während eine Hälfte meines Gesichts wie Feuer brennt. Das Löschwasser aus meinen Augen verdampft, noch bevor es vom Unterkiefer tropfen kann.
Plötzlich stehen alle Gäste des Caféhauses auf. Ihre Hände bewegen sich aufeinander zu, voneinander weg, aufeinander zu, voneinander weg. Christoph schüttelt die Hand des Oberkellners, der sich die Perücke vom Kopf zieht und die Maske vom Gesicht. Auch die anderen entledigen sich ihrer Latexgesichter und Kunsthaare. Meine Tränen laufen in den offenen Mund. Christoph kommt zu mir, flüstert mir drei Worte ins Ohr. Ich finde Asyl in seinen Armen. Der Applaus treibt mich tief in die Scham. Nackter als jetzt werde ich mich nie fühlen, auf keiner Bühne.
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© Ozeana (2007)
********rlin Frau
4.012 Beiträge
...und was für eine geniale Vorstellung. Kopfkino vom Feinsten !
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