„Sexuelle Revolution oder neuer Biedermeier? Der Vollständigkeit halber sei hier auch noch auf die derzeitige Debatte um den Ballermann-Hit "Layla" verwiesen. Dieses schlichte Lied, das von einer "Puffmama" handelt, die "schöner, jünger, geiler" sei, wurde auf mehreren Volksfesten Deutschlands mehr oder weniger verboten bzw. für unerwünscht erklärt. Das Lied sei sexistisch, sagen Kritiker. Andere dagegen sehen den Aufschrei der Empörten als Indiz für eine Zunahme der Prüderie in Deutschland.
Auf cicero.de heißt es dazu im Artikel "Auf dem Weg in den Neopuritanismus" von Alexander Grau:
Doch weder ist das Lied besonders sexistisch noch sonstwie anstößig – allenfalls etwas albern. Einmal mehr triumphiert dennoch eine Minderheit puritanischer Tugendwächter über die Mehrheit der Bürger, die einfach ihren harmlosen Spaß will.
https://www.cicero.de/kultur/layla-auf-dem-weg-in-den-neopuritanismus-sexismus-cancel-culture
Alexander Kissler bezeichnet in der Neuen Zürcher Zeitung das Lied zwar als "reichlich ordinär", stellt aber auch fest: "Der Puritanismus schreitet voran". Kissler spricht sich abschließend gegen weitere Einschränkungen der Freiheit aus:
Kaum etwas braucht eine ohnehin gereizte Gesellschaft weniger als weitere Verbote, zusätzliche Freudlosigkeit, noch mehr Illiberalität.
https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/layla-das-verbot-des-schlagers-auf-volksfesten-ist-absurd-ld.1693414
Der Meinung schließe ich mich an. Viele Schlager aus den 70ern, übrigens auch alle in deutscher Sprache, sind vom Inhalt sexistischer und die älteren Damen (aus meinem damaligen Blick Marke Schwiegermutter) haben sich von Begeisterung auf die Schenkel geklopft.
Und es scheint, als ob hier in Deutschland immer noch keiner Englisch kann, wenn man im Vergleich sieht, was da alles scheinbar durchgewunken wird.
Ich glaube allerdings nicht, dass es Prüderie ist, die zu beklagen ist. Ich glaube, dass es die Angst vor einem Shitstorm ist. Und da will man in vorauseilendem Gehorsam alles vermeiden, was hinterher öffentlich angeprangert werden kann. Die Macht negativer Kommentaren - insbesondere, weil zusätzlich niemand die Meinung völlig Unbeteiligter als irrelevant bezeichnet - ist in der Lage, alles platt zu machen, solange wir uns davon beeinflussen lassen.
Was interessiert mich, was in Würzburg auf dem Volksfest für Musik gespielt wird, wenn ich gar nicht dort bin und auch ohne diese Thematik beschlossen hatte, nicht hinzugehen? Warum soll sich mein Nachbar dann aufregen, wenn ihm nicht gefallen würde, wenn man dieses Lied dort spielen würde? Und warum soll es eine Rolle spielen, wenn er diesem Ärger öffentlich Luft macht?
Diese Angst vor öffentlicher Entrüstung befeuert die Cancel Culture, lähmt öffentliche Entscheidungen und verschreckt unsere Politiker. Möglich wurde es erst durch die (un-)"sozialen" Medien. Die Welt ist nicht zurück drehbar, aber wir sollten lernen, anders mit diesen Unmutsäußerungen umzugehen, denn es findet sich bei jeder Sache, jeder Entscheidung, etc. immer jemand, der
ist, dafür Anhänger mobilisiert und negative Stimmung macht. In der Regel sind diese "Aufrührer" gar nicht betroffen, weil aus der Ferne agierend. Ihnen geht es darum, den "Etablierten" zu zeigen, wer die Macht hat, sie zu stören, oder sich einfach einen Spaß zu machen.
Aber natürlich nistet sich das alles in den Hirnen der Bevölkerung im Zuge von Erinnerungen ein und kann tatsächlich die Neoprüderie auslösen oder unterstützen. So finden viele heute auch die Cancel Culture für richtig, ohne es genau begründen zu können. Wenn die einzige Argumentation ist, es sei halt Zeitgeist, ist das genau der Beweis für die Einflussnahme dessen, was andere medienwirksam fordern.