Ich denke hier gibt es verschiedene Gründe. Sexualität ist nunmal ein Spektrum. Es gibt wohl wenig Leute, die zeitlebens nie nur den geringsten Gedanken an ein gleichgeschlechtliches Erlebnis hatten. Aber wo beginnt Bi? Soll Mann sich als bisexuell bezeichnen, wenn er es nicht ausschliesst, aber auch nicht sucht? Seltsam ist sicherlich, wenn einer es sucht, aber nicht schreiben möchte. Da dürfte das befürchtete Stigma sicherlich eine Rolle spielen. Scham, Angst, Selbstverleugnung. Aber so einfach ist es eben auch nicht.
In langen Nächten und tiefen Gesprächen habe ich selten jemanden, egal welches Geschlechts, erlebt, der ein gleichgeschlechtliches Experiment wirklich kategorisch ausschliessen würde. Sind deshalb alle bisexuell? Ein heterosexueller Mann, der bei Pornos ohne Schwanz nicht richtig auf touren kommt? Wenn jemand sagt, dass vielleicht in der richtigen Situation mit den richtigen Leuten was laufen könnte? Wenn jemand bi nur in der MMF-Konstellation interessant fände? Das hat nicht zwingend Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und den Fokus bei der Suche nach sexuellen Kontakten.
Um gleichgeschlechtliche zum Knutschen zu bewegen reicht es teilweise, wenn etwas Alkohol geflossen ist, beide Geschlechter anwesend sind und ein «traust dich ja nicht» aufkommt. Deshalb muss sich jemand, egal ob Mann oder Frau weder als bi bezeichnen oder sehen.
Ich hatte auch durchaus schon Gespräche mit Leuten, die bereits Beziehungen mit beiden Geschlechtern hatten, die die Augen verdrehen, wenn sich Leute als bi bezeichnen, weil sie mal einen betrunkenen gleichgeschlechtlichen Kuss hatten oder mal eine Dreier-Phantasie.
Bei Frauen ist möglicherweise die Hemmschwelle geringer. Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn man auf Pornoportalen unterwegs ist, dann ist in heterosexueller Pornographie weibliche Interaktion omnipräsent. Wenn man Bisexualität sucht, findet man nahezu ausschliesslich bisexuelle Männer. So scheint das Eine mittlerweile normalisiert sein und das Andere nicht. Sicherlich auch, weil ein grossteil der Pornographie auf Männer zugeschneidert ist und Männer das im allgemeinen geil finden. Das wirkt sich sicherlich auch auf die Gesellschaft aus.
Aber ich denke, es ist zu kurz gedacht hier einfach auf Scham oder Stigma zu zeigen. Wenn ein Mann eine sexuelle Vorstellung mit einem anderen Mann haben kann, aber diese nicht aktiv sucht, ist es doch auch ehrlicher sich als heterosexuell auszuweisen. Wäre es für Leute, die nach bisexuellen Männern ausschau halten nicht fast noch frustrierender, wenn 70% der Männer das im Profil hätten, aber auf jede solche Anfrage mit einem Nein reagieren?