Die Schwierigkeit bei der Frage, wo Fetisch "anfängt", liegt darin, dass es eine große Bandbreite gibt, also von Leuten, die dieses Objekt oder Körperteil auch erregend finden, aber auch gut darauf verzichten können, die Befriedigung dieser Erregung ausleben zu müssen, bis hin zu den Leuten, die tatsächlich nur noch auf diese Befriedigung aus sind, nichts anderes mehr erregend finden. Von den ersteren gibt es sehr viele, und uns allen ist klar, dass das keine Fetischisten sind, und von den letzteren gibt es sehr wenige und uns ist klar, dass das Fetischisten sind, und da diese Art von Fetischismus im Grunde Beziehungen widerspricht, ist uns auch klar, dass sie sehr wahrscheinlich zu Leidensdruck führt, also pathologisch ist.
Zwischen diesen Extremen aber gibt es diese große Bandbreite und innerhalb dieser sind viele Menschen, denen dieses Objekt oder Körperteil schon deutlich wichtiger ist als der ersten Gruppe, aber eben noch nicht auf ausschließliche, krankhafte Weise. Diese Menschen nennen sich selbst Fetischisten, aber sie sind eben nicht Teil der oben genannten 2.Gruppe, sondern deutlich mehr und meist leiden sie auch nicht unter ihrem Fetisch und können Beziehungen führen und schätzen ihren Partner genauso, wie auch BDSMer, Homosexuelle, Vanillas und Nicht-Fetischisten ihre Partner schätzen. Und da fängt Fetischismus an, nicht erst da, wo ihn hier viele definieren. Er fängt da an, wo Fetischisten selbst sagen: Ich bin ein Fetischist.
Denn warum denn auch nicht? BDSMer und Homosexuelle können doch auch sagen: Ich oute mich als lesbisch, als devoter BDSMer usw.. Und nun ist die Frage, warum tun sie das? Sie tun das nicht, weil sie auch ein wenig homophile Gefühle haben oder auch mal ein wenig BDSM ausprobiert haben und das war ganz cool. Sie tun das auch nicht erst, wenn sie merken, dass sie nur noch BDSM erregt und Nähe und Sex gar nicht mehr. Es kommt nämlich in den meisten Fällen gar nicht so weit. Sie tun das, wenn sie merken, dass ihre Neigung so stark ist, dass sie die Partnerwahl so beeinflusst, dass sie davon erzählen müssen, ein Coming-Out machen, zumindest vor dem (potentiellen) Partner. Ob dazu ein Coming-Out auch vor anderen nötig ist, ob man in die Szene geht, bleibt ihnen überlassen.
Und genau da ist auch die Grenze, wo Fetischismus anfängt. Latex finden alle möglichen Leute ganz cool. Aber wenn man es so cool findet, dass man es in der Partnerschaft erleben will und traurig wird, wenn das nicht geht, und daher dem neuen Partner das vorher sagt, genauso wie BDSMer das machen, dann ist man ein Fetischist. Und das heißt nicht, dass einem Menschen egal sind. Und das heißt nicht, dass man nur noch Sex haben kann, wenn der Fetisch dabei ist. Es heißt nur und immerhin, dass man insgesamt auf den Fetisch nicht verzichten will. Genausowenig, wie BDSMer auf BDSM verzichten wollen.
Ich kenne viele BDSMer*innen, die haben ganz normale Beziehungen und haben oft auch einfach nur ganz normalen Sex oder auch nur Kuscheln. Aber sie möchten eben schon regelmäßig auch BDSM in ihrer Beziehung erleben, ob nun in einem alltäglich vereinbarten Machtgefälle oder in Sessions. Und ähnlich ist es bei Fetischisten. Ich habe zB durchaus mal die Vorurteile gehört, ich bekäme wohl nur dann einen hoch, wenn Latex im Spiel ist, oder ich wäre wohl mehr an Latex interessiert als an meiner Freundin. Und vielleicht könnt ihr euch vorstellen, das einen das ähnlich ärgert, wie es Schwule oder Migranten ärgert, wenn sie sich solchen Vorurteilen ausgesetzt fühlen.