„Auch wenn die TE das Thema für sich ad Acta gelegt hat, möchte ich doch auf die ursprünglichen Fragen antworten, da Poly so häufig (gefühlt) mit
Hauptsache viel Sex gleichgesetzt wird.
Meine Sichtweise geht hier in Richtung des enm-poly bzw. der Beziehungsanarchie. Aus Sicht z.B. eines kitchen-table-poly würden viele Dinge sicher anders aussehen / wahrgenommen.
Zitat von **********Zelda:
„Wie ist die Konstellation, liebt ihr beide Partner gleich viel oder wo gibt es Unterschiede?
Bei dieser Frage stelle ich mir immer die Frage, ob man sich diese auch bei Eltern, Kindern usw. stellt.
Sind Gefühle durchgehend konstant stark? Geht man eine
Beziehung erst ein wenn es
echte Liebe ist?
Ich
liebe niemals zwei Menschen gleich viel. Ein Grund für meine Eingruppierung als Beziehungsanarchist ist, dass ich mich weigere Gefühle zu werten und zu gewichten.
Der wichtigste Mensch in meinem Leben ist meine Schwester. Das bedeutet nicht, dass ich meine Eltern weniger sondern nur anders liebe. Und meine Neffen ebenso gleich und doch anders.
Wieso sollte dies bei anderen Menschen für die ich Gefühle habe anders sein?
Zitat von **********Zelda:
„Wie gehen eure Partner mit dem jeweils anderen um?
Ich hoffe doch freundlich / höflich, wie Menschen miteinander umgehen sollten. 😉
Zitat von **********Zelda:
„ Wie habt ihr festgestellt das da der Wunsch nach einem zweiten Partner ist?
Gar nicht, weil es den
Wunsch in dieser Form nie gegeben hat.
Festgestellt, dass ich poly bin habe ich vor Jahren, weil Monogamie für mich nie funktioniert hat. Es ist eher ein Konzept, dass viele als selbstverständlich und alternativlos erachten und daher als selbstverständlich voraussetzen, ohne es jemals ergebnisoffen hinterfragt zu haben. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern jemals gefragt worden zu sein, ob Monogamie und sexuelle Exklusivität für mich überhaupt in Ordnung sei. Es wird vorausgesetzt. Genau so wie Fremdgehen gesellschaftlich akzeptiert ist, so lange man sich nicht erwischen lässt.
Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass ich gar nicht so ein riesen Arsch bin, es auch Beziehungskonzepte jenseits der Monogamie gibt und wunderbare Dinge geschehen können, wenn man seine Bedürfnisse offen kommuniziert. Der Weg zur Erkenntnis waren auch nur rund 10 Jahre Arbeit (an mir und meinen Glaubenssätzen). Und damit beginnt erst der
spannende Teil. 😉
Zitat von **********Zelda:
„Wie geht ihr mit dem Stigma "Man kann nicht zwei haben, man muss sich für einen entscheiden" um?
Für gewöhnlich hat man 2 Eltern, 4 Großeltern, teilweise noch mehr Familie, manche Menschen mehr als ein Kind, platonische Freunde… Für alle diese Menschen kann man (gleichzeitig) Gefühle empfinden. Aber für eine Partner*in ist dieses Gefühl exklusiv reserviert?
Und wenn man dann doch Gefühle für einen anderen Menschen hat. Lassen die Gefühle für den einen Menschen nach, im gleichen Verhältnis, wie diese für den anderen steigen?
Aber das relativiert sich dann wieder wenn aus romantischen Gefühlen platonische Gefühle werden?
Zitat von **********Zelda:
„Wie geht ihr mit Eifersucht und (Selbst-)Zweifeln um?
Reden hilft. Eifersucht ist ja eher ein Gefühl von Verlustangst oder Besitzanspruch.
Zum einen ist meine Definition von Liebe dahingehend, dass ich mir für den geliebten Menschen wünsche, dass dieser glücklich ist. Und selbiges Glück ist primär
nicht von meiner Person abhängig.
So habe ich schon Kontakt zu Menschen abgebrochen, die ich sehr liebte, weil ich sie sehr liebte, es aber miteinander nicht funktionierte. Hier war also Grund und ehrliche Hoffnung, dass diese
ohne mich glücklicher sind.
Bei Dingen wie (Selbst-)Zweifeln hilft miteinander zu sprechen. Seine Zweifel, Gefühle und Bedürfnisse zu formulieren.
Die Möglichkeit offen über Gefühle und Bedürfnisse sprechen und gemeinsam Lösungen finden zu können, hilft ungemein. Zusätzlich ist es extrem hilfreich, dass in einem poly Kontext das Gegenüber nicht zwangsweise die Person sein muss, mit welcher sich diese Bedürfnisse
befriedigen lassen.
Als Beispiel habe ich eine Frau kennengelernt, die ebenfalls poly lebt. Direkt nach der ersten Begrüßung habe ich ihren Ehemann kennengelernt, mit dem ich direkt fest gequatscht habe. Später am Tag eine Partnerin ihres Mannes, die ebenfalls da war.
Dieses (frühe) kennenlernen war nicht geplant und hat sich aus der Situation ergeben. Aber was spricht dagegen?
Sie führt neben ihrer Ehe und dem Kontakt zu mir zwei weitere Beziehungen. Einen ihrer Partner kenne ich über eine Frau, die ich vor zwei Jahren kennengelernt habe, da diese ebenfalls eine Beziehung mit selbigem führt.
Wenn einer ihrer Partner bei ihr ist, freut mich dies, weil ich weiß, dass es ihr gut tut. Und wenn es Probleme gibt, können wir ebenso darüber sprechen.
Im Gegenzug kann ich meine Gefühle ebenso äußern, tue dies und weiß, dass ich damit ernst genommen und gesehen werde. Gleichzeitig weiß ich jedoch auch, dass wenn ich
Probleme / Sorgen habe und mit ihr darüber spreche, sie die Möglichkeit hat sich bei anderen den halt zu holen, um für mich
stark zu sein.
Überall wird wert auf
Teamwork gelegt. Aber in romantischen Beziehungen muss man Einzelkämpfer*in sein oder bestenfalls zu zweit klar kommen? Wo bleibt hier das
Teamwork?
Die
Beziehung die ich zu einem Menschen habe ist doch zwischen mir und diesem Menschen individuell. Wie sollte ein anderer Mensch diese Beziehung (im Sinne von Verbindung / Umgang) beeinträchtigen?
Und wenn wir dann noch annehmen, dass es nicht mit jeder Partner*in (regelmäßig) Sex gibt, sondern die Gefühle und der Umgang individuell sind, stellt sich schnell die Frage ob es „noch poly“ oder schon „nur Freundschaft“ ist, wann es ein „Plus“ wird, was dies von einer Beziehung abgrenzt und wo diese Definitionen verbindlich nachzulesen sind. 😉
Daher meine Entscheidung für enm-poly, die Verweigerung von Definitionen und dafür der (emotional) ehrliche Umgang mit mir und den Menschen, die mir am Herzen liegen. Jede*r auf die ganz eigene Art.
Wäre dein Post nicht so lang, würde ich ihn mir ausdrucken und an die Wand hängen. Ich verneige mich vor soviel Größe und Weitblick.
Ich bin zwar immernoch nicht davon überzeugt, dass man immer alles irgendwie labeln muss, da es auch innerhalb der Labels (s. z.B. Poly) auch viele unterschiedliche Ausprägungen gibt. Aber deinen Vergleich mit der Liebe zu anderen Familien Mitgliedern zu denen man eben in unterschiedlichen Beziehungen steht, empfand ich als sehr treffend.
Das im Hinterkopf zu haben ist meines Erachtens wichtig, um zu verstehen, dass jede wie auch immer geartete Beziehung zwischen Einzelpersonen immer irgendwie einzigartig ist. Völlig egal, ob romantisch, familiär, sexuell, freundschaftlich oder beruflich. Das zu erkennen und sich gegenseitig zu erlauben diese unterschiedlichen Beziehungen zu pflegen und zu erleben, darum geht es m.M.n. irgendwie. Schließlich können wir als Menschen nur wachsen, wenn wir mit anderen Im Kontakt stehen.
Danke also nochmal wirklich von Herzen für deinen Beitrag. Ein toller Denkanstoß!