Darm ohne Charme
Eine gemeinsame Bekannte lud mich und ihn zu ihrem Geburtstag ein. (Er und ich hatten zuvor auf einer Inet-Plattform, wo auch die gemeinsame Bekannte aktiv war, ein paar Nachrichten ausgetauscht und dezentes Interesse am anderen bekundet.)
Der Geburtstag war 3-teilig geplant: Brunch bei der Bekannten zuhause, anschließend eine kleine Wanderung mit Kaffee und Kuchen, abends opulentes Mahl in einem Sterne-Restaurant. Ich war als einziger Gast mit Zug angereist.
Er kam als Letzter und gefiel mir auf Anhieb ausnehmend sehr gut fantastisch toll hechel rosa Sternchen vor den Augen.
Beim Brunch gab es u.a. pochierte Eier in einer Senf-Essig-Sauce, die mir ein wenig auf den Magen schlugen.
Während der Wanderung unterhielten wir uns die ganze Zeit, und es knisterte schon ein wenig. Bei Kaffee und Kuchen im Gartenlokal saßen wir nebeneinander (es war ein sehr heißer Sommertag). Ich trank nur Eiskaffee, war noch zu satt vom Brunch.
Im Sterne-Lokal saßen wir ebenfalls nebeneinander und plauderten munter, da ich nicht mit Auto war, trank ich Weißwein.
Als 1. Gang gab es einen lauwarmen Gartenkräuter-Vogelmiere-Salat, der umwerfend gut schmeckte, in meinem Magen aber auf die nicht mal anverdauten, ebenfalls noch lauwarmen pochierten Senfeier traf - beides umspült von einem gut gekühlten Weißwein und Resten des Eiskaffees.
Die weiteren Gänge waren ebenso superb und unwiderstehlich, dass ich die deutlichen Warnsignale meines Magens und Dünndarms überhörte, zumal der Mann neben und der Wein in mir meinen Verstand vollkommen benebelten.
Es wurde spät und später. Beim Aufbruch nach 23 Uhr rumpelte mein Darm schon dermaßen laut, von den Krämpfen schweige ich, dass klar war, ich muss zur Toilette. Dringend. Ausgiebig. Unabdingbar. ER hatte mir aber angeboten, mich zum Bonner Bahnhof zu fahren, von wo ich einen Zug nach Düsseldorf nehmen wollte. Toilette hätte mindestens 15 Minuten gedauert, in der allgemeinen Aufbruch- und Verabschiedungssituation war dafür nicht genug Zeit.
Ich sitze bei ihm im Auto und denke während der Unterhaltung: kein Problem - im Zug gibt es ja Toiletten. Mein krampfender Darm und mein angespannter Schließmuskel freuten sich wie Bolle darauf.
ER meinte, könne sein, dass um die Zeit kein Zug mehr führe. Ich: „Ach was, von Bonn fährt immer irgendeiner nach Köln, und von Köln fährt immer irgendeiner nach Düsseldorf. Passt schon.“ Trotzdem wartete er vorm Bahnhof (es war kurz vor Mitternacht) auf mein Zeichen, dass er abfahren könne. Konnte er nicht, den letzten Zug hatte ich um 30 Minuten verpasst. Netterweise bot ER mir an, mich nach Hause zu fahren, was für ihn einen Umweg von zwei Stunden bedeutete, denn er wohnte nicht weit von Bonn.
Darm: „Was? Noch mindestens eine Stunde einhalten???? Auf gar keinen Fall machbar!!!!!!“
Gehirn: „Du musst. Nicht verhandelbar. Befehl an Schließmuskel: angespannt bleiben, Stellung halten!“
War waren mittlerweile auf der A 3 (damals Großbaustelle auf der Höhe von Köln). ER wusste und hörte mittlerweile, dass ich Stuhlgangprobleme höchster Dringlichkeit hatte. Immer mal wieder klappte ich im Gespräch über unsere Kindheiten wie ein Taschenmesser stöhnend zusammen, weil ich dachte, die Darmkrämpfe zerreißen und verteilen mich in Stücke im Auto des tollsten Mannes ever.
Und dann kam der Stau!
Nächtliche Sperrung wegen Brückenbauarbeiten!
Samstagnacht in NRW.
Millionen von Menschen mit dem Auto bei lauen 30 Grad von A nach B unterwegs.
Acht Spuren.
Gleißend hell erleuchtet für die Bauarbeiten.
Kein Randstreifen, keine Natur, außerhalb der Scheinwerfer pechschwarze Nacht.
ER meinte, ich könne doch hinter der Betonabsperrung… Aber was, wenn der Stau sich dann auflöst und er weiterfahren muss? Was ist mit den LKW-Fahrern, die beste Sicht auf mich gehabt hätten hinter den Betonpollern, hinter denen vielleicht eine steile Böschung, ein Abhang auf mich wartete? Außerdem: so viele Tempotaschentücher, wie ich gebraucht hätte, gab es auf der gesamten A 3 nicht, ganz zu schweigen von der Dusche, die ich sicher war zu brauchen, von der akustischen Privatsphäre mal ganz abgesehen!
Ich litt weiter, mein Darm röhrte, ich stöhnte vor Schmerzen, dass ER niemals mit mir zusammenkommen wollen würde, war mir da auch schon völlig egal. Ich wollte eigentlich nur noch sterben, endlich alles loslassen - die poschierten Eier, die Vogelmiere, mein Leben…
In Düsseldorf sagte ich ihm noch während der Fahrt (es war mittlerweile 1.30 Uhr), er könne gern bei mir übernachten, aber ich würde sein Auto ohne weiteren Kommentar vor meinem Haus sofort verlassen, die fünf Stockwerke hochhechten und das Bad aufsuchen. Den Schlüssel würde ich außen stecken lassen, ER könne sich in der Küche bedienen oder schon schlafen gehen - ich sei erstmal für sehr lange Zeit im Bad.
ER wollte aber lieber sofort zurückfahren zu sich nach Hause.
Was mir auch lieber war, ich hatte ein fensterloses Bad.
Wochen später hat ER endlich meine Einladung zu einem Dankbarkeitsessen bei mir (unter Auslassung jeglicher blähender oder sonstwie darmkritischer Lebensmittel) angenommen. Wir hatten ein schönes zweites Date ohne Zwischenfälle. Zwei Jahre später haben wir geheiratet.