„Mein Punkt ist ja gerade, dass diese Rollbilder nicht passen können und in uns deshalb Spannungen verursachen. Wir sind alle Menschen und haben alle Aspekte in uns. Die Aufteilung mach absolut keinen Sinn.
OK. Darin sind wir uns einig.
Dann müssten wir auf die Zeitverschiebung zu sprechen kommen.
Manche Familien sind in der Emanzipation bereits wesentlich weiter voran geschritten als andere Familien.
Meine Familie war bereits recht weit voran geschritten.
Mein Opa (Jahrgang 1921) hatte Körperpflege und Gesundheitsfürsorge bereits in sein eigenes Männer-Ideal integriert. Das hatte er schon immer. Und als meine Oma an Krebs erkrankte, flog ihm auch kein Zacken aus der Krone, sie bis zu ihrem Tod zu pflegen. Nur die Pflegedienstleistungen, die er nicht übernehmen konnte, überließ er dem Pflegedienst. Denn die hätten ja eh nicht genug Zeit fürs Wesentliche...
Mit Opa auf Reisen sein, bedeutete: Opa blockiert Morgens das Bad für mindestens eine Stunde.
Das war eben die Zeit, die er für sich brauchte.
Btw.: Im hohen Alter schwärmte Opa über die Vorzüge von Baby-Pflege-Öl. Wie herrlich sich seine Haut danach anfühle. Und wie wenig Giftstoffe im Vergleich zu anderen Körper-Pflege-Produkten darin enthalten sei. Welche neuen Massage-Techniken er ausprobiert habe. Etc.pp. Kurzum: Für Opa war seine Körperpflege Entspannung & Genuss. Er tat es für sich. Um gut in den Tag zu starten.
Nach seinem Morgenritual war Opa nicht nur tip top gepflegt sondern auch hellwach & gut drauf.
Und die Frauen liefen Opa noch im hohen Alter hinterher.
Warum sollte Opa sich dafür interessieren, was andere Männer von seinem morgentlichen Körperpflegeritual halten?
Es könne doch nicht männlich sein, seinen eigenen Körper zu vernachlässigen!
Oder darauf zu bauen, dass irgendeine Frau seine Körperpflege, Ernährung, Gesundheitsfürsorge übernähme. Schließlich sei er schon lange kein Baby mehr!
Um nur mal ein Beispiel aus meiner Familie zu nennen.
„Um ehrlich zu sein, sollte ich das auch mal dringend anfangen, aber wenn ich dann "5Minuten" höre...
Bist du dir sicher, dass du dir keine 5 Minuten Zeit für Entspannung, Wohlbefinden (und nebenbei Hautpflege) pro Tag nehmen magst?
Aber zurück zur Zeitverschiebung...
Das Medienangebot, welches mir meine Eltern als Kind unterbreiteten war breit gefächert.
Klar gab es auch mal Märchen & Legenden mit Prinzessinnen. - Die mochte ich aber nicht und begann rasch zu quängeln.
Stattdessen hatte ich bereits früh ein Faible für Feen, Hexen, Jägerinnen und Kriegerinnen entwickelt.
Märchen & Legenden mit eigenwilligen, verspielten, risikofreudigen Mädchen/ Frauen waren meine Lieblinge.
Ronja Räubertochter war ebenfalls eine meiner Lieblingsfiguren.
Und mein absoluter Liebling als Kleinkind: Das kleine Ich-bin-Ich.
Und dieses Ich-bin-Ich hatte gar kein Geschlecht!
Im Grunde genommen wählt sich doch jeder Mensch seine ganz individuelle Mischung eigener Vorbilder - sofern dieser von wichtigen Bezugsperson darin bestärkt wird, er/ sie selbst zu sein.
Ich weiß zwar, dass es da das Rollenmodell der Prinzessin oder anderer extrem fürsorglicher Mädchen/ Frauen gibt, die eines Tages in Not geraten und dann von Männern gerettet & beschützt werden müssen.
Aber ich habe diese Rollenbilder nie als "weiblich" verinnerlicht.
Ur-Weiblich finde ich eigenwillige, verspielte, risikofreudige Frauen, die für das einstehen, für das sie brennen, Mitstreiter an ihrer Seite haben und die die Menschen, Tiere, Pflanzen, Brunnen etc.pp. beschützen, die sie lieben.
Dass die Gesellschaft insgesamt in ihrer Entwicklung an einem anderen Punkt war als meine Familie, erzeugte selbstverständlich Spannungen.
Hier und dort versuchten meine Eltern mich dazu zu bewegen, mich ausnahmsweise mehr "wie ein braves Mädchen" zu verhalten. Denn damit würde ich weniger Probleme im Leben bekommen bzw könnte bei konkreten Problemen mehr Unterstützung mobilisieren.
Doch durch meine Familie habe ich mehr innere Distanz zu den patriarchalistischen Rollenvorgaben als Kinder, die mit vielen patriarchalen Verhaltensmustern innerhalb der Familie aufwuchsen.
Die Spannungen wüten dementsprechend nicht in mir.
Und ich habe die freie Wahl, diese Diskrepanzen zwischen Ich & Du offensichtlich werden zu lassen oder mir vorübergehend eine Maske aufzusetzen, um reibungslos ans Ziel zu kommen.
Mein eigenes Frau-Sein berührt dies jedoch nicht. Frau bin ich so oder so. Und in den meisten Situationen ist mein Geschlecht überhaupt nicht wichtig.