Ich bin zweimal ausgewandert, zuerst nach England (London) wo ich gut 18 Jahre gelebt habe, dann zurück in ein verändertes Deutschland. Beide Male spielten berufliche Gründe eine Rolle, aber die Sehnsucht nach Veränderung war bestimmend. Das hat auch geklappt: Neue Partnerin, gute Stelle und nette Wohngegend.
Wohnen und Leben war etwas teuer und nicht ganz der Standard den ich erwartete, dafür half der britische Humor mit den kleinen Unannehmlichkeiten fertig zu werden. Alles wurde etwas lockerer als in Deutschland gesehen, nicht so verbissen und regelbasiert wie in Deutschland. Rechte für Mieter gibt es kaum und so bin ich im ersten Jahr dreimal umgezogen, weil die Vermieter die Wohnungen verkaufen wollten, dafür habe ich immer innerhalb weniger Wochen etwas Neues gefunden und konnte gleich einziehen. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran die Gasrechnung als Wohnsitznachweis vorzulegen oder schlechte Hitlerwitze in der Kneipe zu hören. Das Leben war gut, nicht überragend, aber es gab eine Perspektive und ein Auskommen.
Und dann kam Brexit: Alles was in England schief lief, von dem Zusammenbruch der produzierenden Wirtschaft im Norden bis zur Einwanderung von Osteuropäern und Asiaten war Schuld der EU.
Die britischen Medien überschlugen sich mit Sensationsmeldungen wie Brüssel und Berlin wieder gegen die ehrlichen Briten gearbeitet haben. Eine ganze Menge dieser Geschichten hat ein gewisser Boris Johnson in die Welt gesetzt, unterstützt von einem Nigel Farage, einem der faulsten, aber lautesten Abgeordneten im EU Parlament.
Eine rationale Diskussion war nicht möglich, die Abstimmung ging zwar knapp aber deutlich aus.
Danach wurde es schlimmer: Ich wurde - trotz erfolgter Einbürgerung und Doppelpass- gefragt warum ich noch da bin und wann ich denn zurück ginge. Jeder der nicht unbedingt für einen harten Brexit war, war ein Verräter. Fremdenfeindlichkeit kehrte auch nach London zurück, das Leben dort machte keinen Spaß mehr. Einige Freundschaften gingen dabei zu Bruch, auch meine Beziehung ging (nicht nur aus diesen Gründen) kaputt. Als im Coronalockdown meine Firma beschlossen hat, den teuren Standort London aufzugeben und die europäischen Kunden aus Polen zu betreuen, habe ich dann auch beschlossen, England wieder zu verlassen.
Corona und Brexit haben die Wirtschaft geschadet, mehr als 9% Inflation und ein Zusammenbruch Der Sozial- und Gesundheitssysteme lassen mich auch als Gutverdiener an der Zukunft zweifeln.
Also wieder zurück nach Deutschland, nach Köln. Bürokratie gibt es immer noch, Preise haben angezogen und Wohnungsmieten haben fast Londoner Niveau, bei allerdings besserer Qualität.
Der kölsche Humor ist etwas seltsam, aber die Offenheit gefällt mir, also werde ich erstmal hier bleiben.
Für Leute die Auswandern wollen habe ich ein paar Empfehlungen:
• ohne Sprachkenntnisse kommt ihr nicht weiter, nicht überall wird Deutsch gesprochen
• Die Kultur bekommt ihr nicht durch deutsche Medien mit, also lokales Fernsehen, Radio und Zeitungen lesen und sich aktiv unter die Bevölkerung mischen
• England ist nicht nur Rosamunde Pilcher und Herrenhäuser an der Themse, es ist auch das heruntergekommene Ostlondon und inner Manchester.
• schaut euch die Aufenthalts- und Arbeitsregeln an, insbesondere ob berufliche Abschlüsse und Qualifikationen anerkannt werden.
• Das gleiche gilt für Führerscheine und andere Lizenzen
• Deutsche Krankenversicherungen übernehmen nur sehr beschränkt die Kosten im Ausland, Krank sein im Ausland kann teuer werden, zum Glück hat England ein staatliches Gesundheitssystem, das aber z.Tl. überlastet und riesige Wartelisten hat.
• Vergleicht das Deutsche und das ausländische Rentensystem, besonders wenn ihr schon eingezahlt habt. So ist in England die maximale staatliche Rente relativ niedrig und gedeckelt, man sollte unbedingt eine Privatrente anlegen und versuchen die deutsche Rente durch freiwillige Zahlungen weiter zu führen, es kommt nicht nur auf die Zeiten sondern auch auf die Punkte an.
• Es macht Spaß in eine andere Kultur einzutauchen, aber es ist auch hilfreich sich an seien eigene Kultur zu erinnern