Ich wollte in jungen Jahren auswandern, was aus unterschiedlichen Gründen dann doch nicht möglich war. Bin dann ein paar Jahrzehnte später ausgewandert. Das war eine meiner interessantesten Lebenserfahrungen. Allerdings macht das niemand, wie oben beschrieben, indem er einfach „alles stehen und liegen liegen“ lässt.
Auszuwandern bedarf eines sehr hohen Planungsaufwandes und psychischer Stärke, wenn man ganz allein auswandert ohne einen vertrauten Menschen an seiner Seite. Einmal im Leben wirklich ein Ausländer zu sein ohne die Option, von jetzt auf sofort nach Hause zurückzukehren, oder, wie bei Kriegsflüchtlingen oder Dissidenten, die Aussicht, nie wieder zurückgehen zu können, weitet das Bewusstsein außerordentlich und lässt einen ein sehr großes Stück wachsen.
Da ich keine unbedarfte Frau mehr war in der Blüte meiner jugendlichen Sorglosigkeit und eines unbändigen Abenteurertums, sondern fast 50 Jahre alt, also jemand, der ein großes Stück Leben und Sicherheit (Job) hinter sich gelassen hatte, hat es fast ein halbes Jahr gedauert, bis ich innerlich in der neuen Heimat Wurzeln schlagen konnte (als ewige Nomadin war ich im Zelteabbruch eigentlich ein Profi).
Ich bin dann nach drei Jahren wieder zurückgegangen nach Deutschland, nicht aus Heimatgefühlen (ich bin kein Schollenmensch), sondern weil ich die Möglichkeit bekam, aufs Land zu ziehen und ein für alle Mal sesshaft zu werden (jedenfalls bis zum letzten Umzug in den Ruheforst).
Als in einer Großstadt Geborene und ewig von einer in die andere Ziehende war es immer mein Traum, das letzte Lebensdrittel auf dem Land zu verbringen. Tatsächlich habe ich in meinem Dorf auf meine alten Tage nun tiefe Wurzeln geschlagen - das erste Mal in meinem Leben. Der Auslandsaufenthalt, also die vorherige komplette Entwurzelung war dafür die wichtigste Voraussetzung.
Als ich mich damals auf dem Amt für öffentliche Ordnung ins Ausland abgemeldet habe, fragte ich die Beamtin, ob sie nicht auch meine Auslandsadresse eingeben wolle (statt nur zu vermerken, wo ich nicht mehr in Deutschland leben würde), worauf sie meinte: „Nö, Sie sind ja ein freier Mensch und können auf der ganzen Welt leben. Wo - das ist für den deutschen Staat egal.“ Auf meinen Personalausweis hat sie einen Aufkleber gemacht, auf dem stand: „Ohne festen Wohnsitz in Deutschland“; da habe ich tatsächlich ein bisschen geschluckt und gedacht: Mimimi, meinem Land ist es egal, wo in der Welt ich vielleicht verlorengehe! Freiheit muss man auch aushalten können, aber wenn man mal ganz loslässt und diese Freiheit (er)lebt, ist es eine wunderbare und für immer stärkende Erfahrung.
Wäre ich noch einmal jung, ich würde nach dem Studium nach Norwegen auswandern. Na ja, vielleicht in der nächsten Reinkarnation