Diese Diskussion ist ein schöner Spiegel der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Diskussion daüber was noch legitim ist, ob Trigger-Warnungen erforderlich sind, über Befindlichkeiten Einzelner oder Gruppen, über „Woke-Ness“, vermeintlicher oder tatsächlicher Diskriminierung, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit.
Nicht zuletzt auch der vieldiskutierte Sitte- und Anstands-Begriff, der sehr wohl auf moralischen Vorstellungen basiert, auf was den sonst? Sprich kulturellen Vorstellungen was, wie, in welchem Rahmen allgemeingesellschaftlich akzeptables Verhalten darstellt. Derartige Vorstellungen unterliegen einer Entwicklung und sind nicht für alle und für alle Zeiten gleich gültig. In einer pluralistischen Gesellschaft wie unserer hat wohl so ziemlich jeder seine eigene Definition. Daher ist „Sitte / Anstand“ kein valides Argument.
Eine Femdom führt ihren Sub an der Leine, beide nicht nackt, ohne sexuelle Handlungen. Wobei es ja zu diskutieren gilt, ob das „an der Leine führen“ an sich nicht schon eine sexuelle Handlung darstellt, also hier Sexualität in der Öffentlichkeit praktiziert wird.
Ich hab jetzt mal die einschlägigen Paragrafen (§ 183a und 184h des StGb) und ein paar Urteile des Bundesgerichtshofs gelesen. Meine Erkenntnis daraus ist, dass das Führen eines / einer Sub an einer Hundeleine ohne exhibitionistische Handlungen keine Erregung öffentlichen Ärgernisses im Sinne des Strafrechts darstellt.
Ausserdem ist es nicht eindeutig, dass die Handlung (an Leine führen) eine sexuelle Handlung darstellt. Nicht alles, was im BDSM Kontext existiert ist für alle gleichermassen eine sexuelle Handlung. Vieles ist schlicht eine Lebenseinstellung und z.B. Zeichen für ein Beziehungsmachtgefälle. Sozusagen (sub-) kulturell immanent. Vielleicht vergleichbar mit der vollverschleierten Frau, die stets hinter ihrem Gatten läuft.
Bleibt noch der Punkt, dass sich dennoch unbeteiligte Passanten / Augenzeugen der Situation belästigt fühlen könnten. Die Frage lautet dann, ob die mit dieser Handlung konfrontierten Personen diese Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit ganz einfach aushalten müssen, da die Beeinträchtigung schlichtweg nicht ausreichend ist, um die Freiheit anderer einzuschränken.
Und hier setzt meine Kritik ein. Individuen und Gruppierungen sind immer weniger bereit Dinge, wenn sie den eigenen Vorstelllungen widersprechen auszuhalten. Es wird, teilweise auch mit drastischeren Mitteln versucht alles, was einem gegen den Strich geht aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, zu verbieten oder zumindest die Bühne zu nehmen. Das würde eine Gesellschaft, die sich auf Freiheit, Pluralismus und Meinungsvielfalt beruft zerstören.
Auf den konkreten Fall bezogen: Hier wird niemand geschädigt, weder Erwachsene noch Kinder. Meiner Meinung nach handelt es sich hier allerhöchstens um eine minimale Belästigung, die man schlichtweg aushalten muss. Einfach weggucken oder abwarten bis das angeleinte Paar weitergegangen ist und gut.